Metropolregion. Enjoy-Jazz-Chef Rainer Kern fordert von der Politik indirekt, Kultur als Staatsziel anzuerkennen. Dass dies nicht der Fall ist, sei „ein Systemfehler“ aus der Gründungszeit des Landes, sagt er und startet gleichzeitig mit seinem Erfolgskonzept Enjoy Jazz ins Festival.
Herr Kern, alles ächzt in der Kulturszene. Sparen, wo man hinsieht. Bleiben Sie da ruhig?
Rainer Kern: Bei dieser Frage kann kein Kunstschaffender und kein kultureller Player ruhig bleiben. Solidarität ist wichtig, besonders in Krisenzeiten. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Trotzdem erlaube ich mir den Hinweis, dass uns hier gerade ein Systemfehler aus den Gründungszeiten unseres Landes einholt. Ein Fehler, der nie korrigiert wurde und für dessen Korrektur sich, keine politische Kraft jemals eingesetzt hätte.
Und der wäre?
Kern: Die staatliche Unterstützung von Kunst und Kultur ist nach wie vor unter den „freiwilligen Leistungen“ gelistet. Was bedeutet diese Festschreibung eigentlich für eine „Kulturnation“, also ein Land, in dem wesentliche Impulse in praktisch allen gesellschaftlich relevanten Diskursen auch und zum Teil sogar wesentlich aus der Kultur kommen? Das ist der Rahmen, in welchem ich das Problem grundsätzlich betrachte. Aber unser Auftrag ist ja nicht nur ein systemischer. Er kommt vor allem von unserem Publikum. Für sie haben wir jedes Jahr ein Festival zu entwickeln. Dem stellen sich mein Team und ich mit großer Leidenschaft, und das bereits im 27. Jahr. Wir freuen uns sehr, dass es jetzt, nach einem Jahr Vorarbeit, endlich wieder losgeht.
Klingt jetzt doch, als wäre der Puls beim Thema schnell auf 180 - obwohl Enjoy Jazz wahrscheinlich nichts zu befürchten hat, oder?
Kern: Die derzeitige Realität hat die Furcht ja bereits überholt. Das sichern und absichern ist wie die Programmauswahl unser tägliches Geschäft, da geht es uns so, wie allen Anderen auch. Und natürlich sind wir von der – nicht selbst verschuldeten - Finanziellen Situation der Kommunen genauso betroffen. Wie sehr, werden wir in der nächsten Zeit sehen. Es wäre schöner mit anderen Gedanken in eine Festival Saison zu starten, die bereits vor Beginn 14 ausverkaufte Konzerte hat.
14 ausverkaufte Konzerte, die Auslastung wird demnach wieder sehr hoch werden bei Enjoy Jazz. Sollten die Kulturinstitutionen sich mehr darum bemühen, volle Häuser zu haben - dann müssten die Zuschüsse nicht so hoch sein?
Kern: Ich kann mir keinen Grund vorstellen, warum jemand keine hohe Auslastung anstreben sollte. Aber die ist nicht immer möglich und rechnet sich oft nicht, weil die Gäste, mit denen ich das erreiche, entsprechend teurer sind. Deshalb hat sich unsere Gesellschaft ja entschieden, Teile der Kultur den Marktgesetzen zu entziehen. Genauso wie Bildung und Gesundheit. Das ist sinnvoll, wenn man die Wirkung und Rolle von Kunst versteht, was ja zum Glück auch ausgiebig erforscht ist. Stichwort „Knowing“, unser diesjähriges Festivalmotto.
Sie meinen, für die Kunst und Kultur gäbe es eine feste Rolle?
Kern: Nein.
Aber Sie hatten doch gerade davon gesprochen, dass, wenn man die Wirkung und Rolle von Kunst verstehe, es sinnvoll sei, sie auch den Marktgesetzen zu entziehen...
Kern: ... damit meinte ich nicht, es gebe die eine feste Rolle von Kunst. Dennoch leisten die unterschiedlichen Dimensionen von Kunst jeweils einen Beitrag zu Aspekten des Zusammenlebens, oder nennen Sie es Gesellschaft.
Und welche Beträge sind das?
Kern: Neben der ästhetischen Dimension, gemeinhin leider unterschätzt, weil ökonomisch schwer bezifferbar, gibt es zum Beispiel die wirtschaftliche, die intergenerationale, die ethnische Dimension und einige mehr, auch von kultureller Bildung wurde ja viel gesprochen in den letzten Jahren.
Und gleich sprechen Sie über Demokratie, stimmt’s?
Kern: Unbedingt, denn offenbar ist die Freiheit der Kunst – ähnlich wie die der Presse - konstituierend für demokratische Gesellschaften. Eine Erkenntnis, die in Diktaturen nicht bezweifelt wird, weshalb beides - Pressefreiheit und Freiheit der Kunst - dort zuallererst eingeschränkt werden. In freiheitlichen Gesellschaften wird das Selbstverständliche aber oft nicht wertgeschätzt und als schützenswert gesehen. Deshalb hatten wir in der Pandemie diese unsinnige wie dümmliche Fragestellung nach der sogenannten Systemrelevanz von Kultur, der wohl vor allem die Unkenntnis des Begriffs „System“ zugrunde lag.
Womit wir wieder am Anfang wären: Deswegen ist Kultur immer noch eine freiwillige Leistung...
Kern: ... genau, und das Erste, woran in Krisenzeiten sofort eingespart wird, ist wieder die Kunst, das Erste wonach sofort gerufen und was dann herangezogen wird, um Krisen zu überwinden und Gesellschaft zu rekonstituieren ist Kunst. Das war nach dem Zweiten Weltkrieg so, in der ausgehenden Pandemie und bei der nächsten Krise wird es wieder so sein. Logisch ist das nicht, eher ein Fall von Lernverweigerung.
Rainer Kern und Enjoy Jazz
- Rainer Kern: Er ist seit vielen Jahren Intendant des internationalen Festivals Enjoy Jazz. Der 1970 geborene Mannheimer hat das Festival 1999 gegründet und es zu einer der wichtigsten Jazzveranstaltungen Europas entwickelt. Kern setzt sich dabei nicht nur für hochkarätige Musik ein, sondern fördert gezielt den kulturellen Austausch und innovative Formate. Neben seiner Arbeit bei Enjoy Jazz engagiert er sich auch als Berater, Kurator und Produzent in der internationalen Jazzszene sowie als Experte für Internationale Beziehung und City Diplomacy.
- Enjoy Jazz: Die 27. Ausgabe des Festivals findet von 2. Oktober bis 8. November statt. Rund 50 Konzerte und Formate bietet das Festival, das an vielen Spielstätten der Metropolregion stattfindet. Der Etat, 1,65 Millionen Euro, summiert sich aus 55 Prozent privaten Mitteln, 25 Prozent öffentlicher Förderung und 20 Prozent Eigenanteil. Bei einem Drittel der Veranstaltungen ist Enjoy Jazz alleiniger Veranstalter, beim Rest Mitveranstalter. Das Auftaktkonzert mit Ibrahim Maalouf im BASF-Feierabendhaus ist wie einige andere Konzerte bereits ausverkauft.
- Info und Karten: Auf der Website des Festivals und bei Reservix.
Apropos: Was haben Sie in den vielen Jahren Enjoy Jazz über die Menschen gelernt, die Sie treffen?
Kern: Einiges, und ich lerne noch. Und zwar mit jeder Ausgabe mehr und neu. Es ist schwer, darüber zu sprechen, weil die Verbindung zu Menschen, mit denen man, in meinem Fall über die Kunst, eine Verbindung eingeht, etwas sehr Persönliches und Kostbares ist.
Aber über Publikum lässt sich sicher etwas allgemeiner sprechen...
Kern: Man darf sein Publikum nie unterschätzen und denken, es müsse alles unkompliziert sein. Wir haben sehr Herausforderndes präsentiert in den 26 Jahren und sehr schnell gelernt, dass die Menschen sich dafür interessieren und begeistern. Wenn die Qualität vor und auf der Bühne hoch ist, dann sind die Zuhörenden glücklich über Neues und Anderes, es inspiriert sie. Und sie gehen anders nachhause, als sie gekommen sind. Ich schätze diese Menschen wirklich sehr. Ich bin ihnen dankbar. Für Ihre Offenheit, für ihre Leidenschaft, für ihren Willen zum Diskurs. Sie sind für unsere Arbeit Antrieb, unverzichtbare Inspiration. Und ich hoffe, dass es umgekehrt zumindest ähnlich ist. Das wäre schön.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/kultur_artikel,-kultur-enjoy-jazz-trotzt-finanzdruck-14-konzerte-ausverkauft-_arid,2331669.html
Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Heidelberger Stadthalle: Rückkehr des kulturellen Herzstücks