Mannheim. Die lebensbejahende Konzertorgie der österreichischen Indie-Rock-Superstars von Wanda im Mannheimer Maimarktclub endete am 22. März 2017 schlagzeilenträchtig im Krankenhaus. Die Band um Frontmann Michael Marco Fitzthum, Künstlername Marco Michael Wanda, hatte der Bühne eine ausgiebige Bierdusche verpasst. Die Folge: Einige Mikrophone standen unter Strom. Der Frontmann erlitt nach 25 Spielminuten einen Schlag, ging zu Boden, blieb lange liegen und das Konzert wurde abgebrochen.
Die rund 2000 geschockten Fans wurden später via Facebook beruhigt und bekamen im Juni beim Zeltfestival eine Ersatzshow geboten. Veranstalter Timo Kumpf erinnert sich auf Nachfrage an den Moment, als die Musik aussetzte. „Ich glaube, es waren nur acht Volt. Aber er stand wohl voll unter Adrenalin“ (hier ein paar Bilder vom abgebrochenen Konzert).
Neu erschienene Autobiografie und Mannheimer Unfall
In seiner frisch erschienenen, exzellenten Autobiografie „Dass es uns überhaupt gegeben hat“ (Paul Zsolnay Verlag, 288 Seiten, 25 Euro) macht der 38-jährige Marco Wanda klar, dass zu seinem Lebenswandel vor und während des Senkrechtstarts der Band bei weitem nicht nur körpereigene Aufbaumittel eine Rolle spielten. Und er ordnet den Mannheimer Unfall dort in den größeren Kontext der Bandgeschichte und seines persönlichen Entwicklungsromans ein: „In Mannheim streckte mich ein Stromschlag auf der Bühne nieder (…) Ray, den es an der Hand erwischte, und ich wurden in ein Krankenhaus gebracht.
Meine Haare standen zu Berge, wie in einem schlechten Film. Im Moment des Schlags hielt ich den Mikrofonständer mit beiden Händen. Ich konnte ihn sekundenlang nicht loslassen.“ Am nächsten Tag hätten sie im Münchner Zenith vor 7000 Menschen auf der Bühne gestanden – bezeichnend für diese atemlose Karriere, die alle Rock-Klischees der 60er aufleben ließ wie zuletzt nur Amy Winehouse, Pete Doherty oder die Wanda-Vorbilder Oasis.
Das war so, als würde ich meinen eigenen Nachruf lesen“
Marco Wanda erinnert sich im Buch an die medialen Folgen des Stromschlags: „In den folgenden Tagen erschienen unzählige Artikel über den Vorfall in Mannheim. Ich lernte – eine Tragödie erhält weitaus mehr Aufmerksamkeit als eine gute Nachricht. Ich wurde noch monatelang in Interviews und auf der Straße auf den Stromschlag angesprochen, eine regelrechte Geilheit nach Gefahr und Abgrund verbarg sich in diesen Fragen.“
2020 reflektierte er diese Zeit im Interview mit dieser Redaktion: „Ich fand daran vor allem gespenstisch, dass danach in den Medien breiter berichtet wurde als über ein neues Album von uns. Das war überall! (…) Wahrscheinlich hat Falco recht, dass sie einen erst richtig hochleben lassen, wenn man tot ist. Das war so, als würde ich meinen eigenen Nachruf lesen.“
Das alles hatte Folgen für das Verhalten der Band, als es richtig ernst wurde: Rund vier Monate nach dem Auftritt in Mannheim erfuhren die anderen Musiker, dass ihr jüngstes und gesündestes Gründungsmitglied, Keyboarder Christan Hummer, an Blutkrebs erkrankt ist. Und man beschloss, es konsequent geheim zu halten. Das gelang fast bis zu Hummers Tod 2022 – hatte aber enorme Folgen für das Seelenleben der Gruppe. Kollektiv, wie individuell.
Entwicklungsroman, der kunstvoll Pop- und Zeitgeschichte verbindet
Solche Prozesse beschreibt Marco Wanda auf 288 fesselnden Seiten, die man auf einen Rutsch weg-bingen kann. Konsequent und offen, aber beinahe lakonisch. Trotzdem blitzt immer wieder eine sehr wienerische Sprachgewalt („Das Leben ist ein Urlaub vom Totsein“) auf, die vor allem belegt: Wenn der Impuls zur Karriere als humanistischer Rockstar mit der gar nicht unpolitischen Kernbotschaft „Amore“ nicht so erfolgreich ausgeartet wäre, hätte aus dem Studenten der Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst Wien auch ein Romancier werden können.
Denn es ist wirklich kunstvoll, wie Wanda autobiografische Elemente, Bandentwicklung und musikjournalistische Einordnung von Austropop bis Bilderbuch und Voodoo Jürgens spielerisch leicht mit Zeitgeschichte zwischen europaweitem Rechtsruck, arabischem Frühling und Ukraine-Krieg verbindet. Nebenbei ist es ein rauschhafter Coming-of-Age Roman mit besonderer Pointe entstanden: Ausgerechnet die Pandemie als Zwangspause vom selbstmörderischen Rock-`n‘-Roll-Zirkus verhalf dem Hauptdarsteller beim Lösen diverser gordischer Knoten. Inklusive der Selbsterkenntnis, dass er Alkoholiker war und damit aufhören muss.
So liest sich das Werk des inzwischen auch optisch fast asketisch wie der Schlusspunkt einer erfolgreichen (Selbst-)Therapie, die nicht nur für Wanda-Fans lesenswert ist. Schon allein wegen der relativ schonungslosen, aber stets analytischen Einblicken in das Auge eines Rock-Orkans, der im deutschsprachigen Raum in diesem Jahrhundert einmalig sein dürfte - inklusive einem Gewaltexzess im Rausch, der ein halbes Dorf zerstörte.
Marco Wanda ordnet das heute zwangsläufig nüchtern, vor allem geradezu allgemeingültig ein und erforscht die psychologischen Ursachen im Spannungsfeld permanenter Selbstzweifel und aufkommendem Größenwahn - ohne den wohl kein Weg auf die großen Bühnen führt. Schon gar nicht, wenn man die Quadratur des Kreises praktiziert, und wie Wanda den Geist des Underground in die Hitparaden und Award-Shows des Mainstream-Pop bringen will.
Erfolg ist keine Salbe, Anerkennung heilt keine Wunden. Im Gegenteil“
Gesund ist das nicht: „Wir wurden in den folgenden Monaten und Jahren in einem absurden Tempo viel zu bekannt. Wir alle schleppten unsere emotionalen Lasten aus der Kindheit und Jugend mit uns herum. Erfolg ist keine Salbe, Anerkennung heilt keine Wunden. Im Gegenteil, Anerkennung kann, wenn man das Gefühl hat, diese gar nicht zu verdienen, negative und destruktive Energien heraufbeschwören“, schreibt Wanda. Über Jahre hinweg in Tourbussen, Backstagebereichen und Hotelzimmern eingesperrt zu sein, könne einen verrückt machen. „Man it was fun … aber halleluja! Nicht immer …“
Zur Person, zum Buch
- Michael Marco Fitzthum, Künstlername Marco Michael Wanda, wurde am 25. März 1987 in Wien geboren .
- 2012 gründete der Sänger mit Gitarrist Manuel Christoph Poppe, Bassist Reinhold „Ray“ Weber undDrummer Lukas Hasitschka die Band Wanda. Der Bandname spielt an auf die „Wilde Wanda“ Kuchwalek (1947-2014), die lange als „Wiens einziger weiblicher Zuhälter“ galt.
- Wanda erreichten mit Ihrem Debütalbum „Amore“ (2014) Kultstatus auch in Deutschland . Die Nachfolger „Bussi“ (2015) und „Niente“ (2017) kamen auf Platz fünf der Charts,
- Marco Wanda: „Dass es uns überhaupt gegeben hat“ (Paul Zsolnay Verlag, 288 Seiten, 25 Euro).
Spannend auch die immer gleiche Erkenntnis, dass der Weg nach oben das Beste am Erfolg ist: „Wir lebten kein Rock-and-Roll-Klischee, uns erfasste eine Logik, die sich in den ewig selben Mustern durch alle Erfolgsgeschichten zieht. Es gibt als Band nichts Schöneres, als groß zu werden. Groß zu sein ist eine andere Kategorie. Aber es zu werden, zu fühlen, wie die Sterne langsam zusammenlaufen und alle in eine Richtung weisen, das ist ein irrer Trip.“ Wie dieses Buch.
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