Kabarett

Hagen Rether: Raus aus den komfortablen Kuschelnestern!

Der Kabarettist Hagen Rether gab ein gewohnt ausgedehntes Gastspiel im Mannheimer Capitol. Warum er sich vom Bildschirm und von CDs verabschiedet hat.

Von 
Waltraud Kirsch-Mayer
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Wortgewandt und komisch: Hagen Rather war im Capitol in Mannheim zu Gast. © Markus Proßwitz / masterpress

Mannheim. Der schwarze Flügel mit mindestens zwei darauf drapierten Bananen, von denen sich eine in die Korpusbiegung neben den Tasten schmiegt, ist sein Markenzeichen. Und natürlich jener „Fläzsessel“, in dem er mindestens drei Stunden monologisiert - mit Singsangstimme wie Schwadronierattitüde und dabei sarkastisch sezierend. Mitternacht ist vorbei, als Hagen Rether im vollen Mannheimer Capitol den Schlussakkord setzt und eine der knallgelben Krummen in den Saal wirft.

Das Publikum applaudiert begeistert, ist aber zu erschöpft, eine Zugabe herbei zu klatschen. „Liebe“ nennt der studierte Pianist, der sich der Klaviatur des Polit-Kabaretts zugewandt hat, sein Dauer-Programm - freilich ohne Liebeslieder, wie der Titel nahelegt. „Vom Winde verweht“ sei ja auch keine Segel-Doku merkt der Mann mit ergrautem Pferdeschwanz und dunklem Anzug samt Weste lakonisch an. Seine Liebe gilt der Schöpfung, der Enkel-Generation mit dem Recht auf einen unzerstörten Planeten und damit allen Menschen.

Der Kabarettist Hagen Rether liebt abstruse Vergleiche

Außerdem liebt er, bissig und boshaft komfortable Kuschelnester der Heuchler, Verdränger, Nichtwissenwoller auszuleuchten. Es gibt eigentlich kein Thema, das an dem Abend nicht aufploppt. Und dies sprachlich pointiert, aber ohne gedrechselte Pointen. Gags sind Rether zuwider. Auch wenn er gern Wortspiele einschleust. Beispielsweise dass den Wunsch nach Kindern, die das Leben ihrer Eltern auf den Kopf stellen, die Natur „gefickt eingeschädelt hat“. Rether liebt abstruse Vergleiche und so wirft er bei seinem Plädoyer für E-Autos ein, dass wohl niemand auf die Idee käme, die elektrische Zahnbürste gegen ein „Diesel-Modell“ einzutauschen.

Gekicher gluckert ebenfalls im Saal, als sich Rether angesichts von „Ausländer raus“-Parolen und fehlender Krankenschwestern wie Altenbetreuer fragt, wie es wohl sein wird, „wenn der Höcke den Gauland pflegt“. Befreiendes Lachen brandet freilich selten auf. Das Monologisieren als Zwiegespräch mit dem Publikum erweist sich eher schmerzhaft als scherzhaft. Und Rethers einem roten Faden gleichendes „Ich versteh` das nicht!“ signalisiert sein Ringen mit der Resignation. Manchmal überlege er während einer Tour im Hotelzimmer: „Hagen, warum machst du das noch und nimmst nicht Whiskey aus der Minibar, ‚ne Pille und machst den Barschel in der Badewanne?“

Das Publikum bei Hagen Rether in Mannheim kann auch eigene Ideen beisteuern

Weil kein Mensch allein das Großeganze - von Antifaschismus über Bildung, Geschlechterverhältnis, Kapitalismus bis zur Zerstörung der Umwelt - im Blick behalten könne, greift der Wahl-Essener zum Klemmbrett samt Papier und erkundigt sich nach Ideen. „Generalstreik“ schreit jemand, außerdem explodiert verbal der Zwischenruf „Kernfusion“.

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Nein, Patentrezepte für eine bessere Welt samt Politik will er nicht verkünden, aber Denkangebote geben, bitte schön zum Umsetzen. Und da geht Rether beispielhaft voran. Weil es schon genug Plastik in der Welt und ihren Meeren gibt, hat er aufgehört, seine Apokalypse-Auslegungen in CDs zu pressen. Und weil sich mehr als genug komische alte weiße Männer im Fernsehen tummeln, habe er sich vom Bildschirm zurückgezogen.

Ach ja, der Flügel mit Bananen. Der bleibt bis zum furiosen Abschluss-Medley im wahrsten Sinne des Wortes unangestastet.

Hagen Rether auf der Bühne: www.hagenrether.de

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