Heidelberg. Es ist die erhoffte Gala-Vorstellung: Der Saxofonist James Brandon Lewis gibt mit seinem Quartett im Karlstorbahnhof ein Enjoy-Jazz-Konzert, wie man es nur alle Jubeljahre mal erleben darf. Ein Triumph menschlicher Intelligenz und Kreativität: Die Band wirkt, als ob jemand sie mit allen Informationen über Geschichte und Wesen des Jazz gefüttert hätte - und sie generiert daraus eine Musik, die Stile, Epochen, Spieltechniken zu etwas Neuem transformiert. Dass Lewis sich im Interview mit dieser Redaktion gegen jegliche Kategorisierung verwahrte, macht Sinn: Es gibt sie nicht in seiner Tonkunst.
Zu Beginn musiziert das Quartett in hymnischem Prediger-Gestus, dass man meint, Lewis habe sein Saxofon ins Weihwasserbecken von John Coltrane getaucht. Die Piano-Akkorde wogen, der Bass pulsiert hypnotisch, das Schlagzeug schäumt euphorisch. Aber bald schon verschlägt es das Publikum in ganz andere Stimmungslagen. Der Bandleader verblüfft etwa mit eingängig liedhaften Melodien, bei denen sein Horn klingt wie die Stimme eines Sängers. Dann wieder entlockt er dem Instrument rasant verschlungene Liniengeflechte, die den Geist des Bebop in sich tragen. Oder er lässt es plakativ röhren wie einer der Honkers & Screamers, die wilden Saxofonisten der Rhythm-‘n‘-Blues-Ära.
Eine auf allen Positionen brillant besetzte Band
Die Ereignisdichte zwischen betörender Balladen-Schwermut und freien Simultan-Improvisationen ist gewaltig. Lewis steuert sie nicht nur als Improvisator, sondern auch als kluger Komponist. Im Zentrum steht sein voluminöser, intensiver Ton auf dem Tenorsaxofon, mit dem er Phrasen schmiedet, die anmuten wie akustische Skulpturen: metallisch hart, konturenstark, unverrückbar. Von geballter Kraft erfüllt ist jede Note und punktgenau platziert, da gibt’s kein Zaudern. Alles in sich schlüssig, auch bei Ausbrüchen in kreischende Überblasregionen, rollenden Tempo-Passagen, ja sogar bei fragilen Spaltklängen.
Solche Exzellenz ist nur möglich, weil hier eine Allstar-Band agiert. Chad Taylor heizt dem Ensemble durch ein Dauer-Trommelfeuer ein. Das Drumset handhabt er mit fast pianistischer Klangfülle, kommentiert reaktionsschnell mit immer neuen Schlagfolgen, die er über das gesamte Instrument ausdehnt und mit unerhört flexiblen Bassdrum-Akzenten kombiniert.
Für Überraschungen sorgt auch Aruan Ortiz am Klavier. Auf bedächtig ausbalancierte Akkordsequenzen folgen bei ihm jäh perkussive, sprunghaft impulsive Single-Note-Attacken. Mal verlagert er das Geschehen unversehens in den Bassbereich, wo er in engem tonalen Raum vielfältigste Abenteuer entdeckt, dann verblüfft er mit einer kontrapunktischen Barock-Einlage. Brad Jones ist nicht minder spektakulär: Permanent setzt er eigenständige melodische Gegenlinien, brilliert mit filigran verästelten Texturen, die er in höchste Lagen empor windet, was den Bass mitunter stechend scharf klingen lässt wie eine Violine.
Elementare Freude am Austausch
Was aber macht die Klangkunst dieses Quartetts so einzigartig? Es ist die elementare Freude am kommunikativen Austausch. In einer Zeit allgegenwärtiger Spaltung vereint sie: Ideen, Gefühle, Mentalitäten. Dass sie derart eindrücklich die Kraft des menschlichen Miteinanders beschwört, das macht diese Musik so wertvoll.
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