Mannheim. Um 21 Uhr ist die Welt plötzlich in Ordnung. Zumindest beim Konzert von Simply Red am Samstagabend in der ausverkauften Mannheimer SAP Arena. Bandgründer und Frontmann Mick Hucknall tourt 2025 mit einer reinen „Greatest Hits“-Show: „Guten Abend, vielen Dank, dass ihr vorbeigekommen seid. Wir feiern heute 40 Jahre Simply Red“, sagt der 65-jährige Rotschopf, der seine Band auch nach seiner Vorliebe für die „Red Devils“ von Manchester United „Einfach Rot“ genannt hat, zur Begrüßung.
Geliefert wird von Anfang an – auf Topniveau. Auch klanglich. Besser kann eine Show in einer Multifunktionshalle kaum klingen. Kein Wunder, dass Simply Red zu den Stammgästen in der SAP Arena zählen: Sechs ihrer insgesamt neun Mannheimer Konzerte liefen hier. Es sieht auch nach Heimspiel aus: Schon beim von rund 8000 Fans rhythmisch herbeigeklatschte erste Auftritt füllt Hucknalls Charisma auf Anhieb den kompletten Luftraum über der bestuhlten Arena. Fast noch wichtiger als perfekter Sound: Die fast zweistündige Show verbreitet puren musikalischen Sonnenschein in (Abend)Rot, von einer der prägendsten Figuren des britischen Blue-eyed-Soul.
Schon das dritte Lied “Money‘s Too Tight (To Mention)“ räumt total ab
Dabei beginnt der Abend subtil, mit „Sad Old Red“. Das swingt so lässig und wirkt trotz groovendem Drive derart tiefenentspannt, dass es auf Anhieb den Alltag an diesem vernieselten Herbsttag und die komplizierte Weltlage vergessen lässt.
Und musikalisch kann der Hauptdarsteller auf seine Band Häuser bauen, so verlässlich ist das Fundament. Dementsprechend bekommen die Instrumentalisten schon ab dem ersten Song Raum: Etwa Gary Sanctuarys Bar-Jazz-Piano. Vor allem natürlich der altgediente – und mit 39 Jahren bei Simply Red dienstälteste Hucknall-Mitstreiter – Ian Kirkham am Saxophon. Der 62-Jährige füllt – typisch 1980er – mit expressiven Soli die zweite Hauptrolle immer wieder brillant aus.
Exzellente Band sorgt für nahezu perfekten Sound
Zentral bei dieser zeitlosen Form von Pop-R&B: Die makellose Rhythmussektion mit den zwei frischesten Mitgliedern der Live-Formation: Jazz-Bassist Orefo Orakwue, der 2024 den verstorbenen Steve Lewinson ersetzt hat, und Schlagzeuger Roman Roth. Ihn lobt Hucknall treffend als „our swiss timekeeper“ – ihr Schweizer Uhrwerk. Den songdienlichen Gitarristen Kenji Suzuki kann man hier quasi dazu zählen. Trompeter
Kevin Robinson ergänzt sich glänzend mit Kirkham. Dass sein Sound dabei klanglich manchmal etwas arg grell aus den Boxen peitscht, ist der einzige kleine Makel am klanglichen Meisterwerk. Hucknall selbst ist gesanglich in alterslos großer Form. Dass er gerade eine Halsentzündung überstanden hat, hört man allenfalls minimal. Aber seine leicht angerauten Stimmbänder machen die Performance an manchen Stellen eher noch spannender.
Die Besetzung
Gesang: Mick Hucknall (1985-2010, seit 2015)
Saxophone, Keyboard: Ian Kirkham (1986-2010, seit 2015)
Gitarre, Gesang: Kenji Suzuki ((1998-2010, seit 2015)
Trompete, Flügelhorn: Kevin Robinson (1999-2010, seit 2015)
Schlagzeug, Gesang: Roman Roth (seit 2015)
Keyboard: Gary Sanctuary (seit 2023)
Bass, Gesang: Orefo Orakwue (seit 2024
Dass schon die ersten Songs so eine Wohlfühlatmosphäre verbreiten, ist eigentlich paradox. Denn inhaltlich sind sie nicht unbedingt Gute-Laune-Nummern. Der „nur“ 39 Jahre alte Opener „Sad Old Red“ handelt vom Verlassenheitsgefühl Hucknalls nach dem Tod seiner Mutter. Und der früh abgeschossene erste Superhit „Money’s Too Tight (To Mention)“ passt für viele leider zu gut in die Zeit: Das Geld ist zu knapp, um darüber zu reden – ein Thema, nicht nur im katastrophal abgewirtschafteten England im Jahr 1985. Aber die Coverversion der Valentine Brothers reißt mit seinem zwingenden Soul-Funk-Rhythmus immer noch so mit wie am ersten Tag, dem 20. Mai 1985. Als erste Simply-Red-Single wurde der Song überhaupt erst zum Welthit. Tosender Applaus.
„If You Don’t Know Me By Now“ zum zweiten großen Höhepunkt
15 Jahre nach der Abschiedstournee und zehn Jahre nach dem Neustart wirken der 65-jährige Sänger aus Manchester, die Musiker und seine Hits immer noch frisch und hungrig. Auch das Publikum bejubelt jeden Song wie einen alten, aber gut gealterten Freund. Herausragend und schwelgend mitgesungen wird die große Ballade „If You Don’t Know Me By Now“ zum zweiten großen Höhepunkt. Spätestens bei „Stars“ steht fast der komplette Saal und klatscht energisch mit.
Enthusiastische Liebe zur Soul-Musik als Erfolgsgarant von Mick Hucknall
Hucknall erweist sich wie gewohnt auch mit knappen, aber oft witzigen und immer instruktiven Ansagen als Rundum-Entertainer. Er erzählt mitunter etwas zur Entstehung der Songs und huldigt seinen Idolen wie Barry White, deren Nummern er noch mal zu Hits gemacht hat. Besonders wichtig ist ihm die Zusammenarbeit mit Lamont Dozier, einem der prägenden Songwriter des legendären Motown-Labels. Mit ihm hat der Brite unter anderem „You’ve Got It“ geschrieben – bei der Session habe er sich gefühlt „wie ein Kind im Süßigkeitenladen“.
Dieser Enthusiasmus ist neben der – auf diesem Niveau heute natürlich selbstverständlichen – musikalischen Qualität der wesentliche Grund für seinen enormen Erfolg seit vier Jahrzehnten. Das hört man deutlich in der Zugabe beim von Dozier mitgeschriebenen Four-Tops-Hit „Reach Out I’ll Be There“, der einzigen (noch?) nicht von Simply Red veröffentlichten Nummer des Abends.
Simply Red 2025 in der SAP Arena - das Programm
Hauptteil
1. Sad Old Red (1986)
2. Jericho (1986)
3. Money‘s Too Tight (To Mention) (The Valentine Brothers, von Simply Red 1985)
4. The Right Thing (1987)
5. A New Flame (1989)
6. It‘s Only Love (Barry White, 1989)
7. You‘ve Got It (1989)
8. Enough (1989)
9. If You Don‘t Know Me By Now (Harold Melvin & The Blue Notes, 1989 )
10. For Your Babies (1992)
11. Stars (1991)
12. Thrill Me (1992)
13. Say You Love Me (1998)
14. The Air That I Breathe (Albert Hammond, 1998)
15. You Make Me Feel Brand New (The Stylistics, 2003)
16. Fake (2003)
17. Sunrise (2003)
18. Fairground (1995)
Zugabe
19. Something Got Me Started (1991)
20. Reach Out I‘ll Be There (Four Tops)
21. Holding Back The Years (The Frantic Elevators, 1985)
Als das nahezu chronologisch konzipierte Programm in die späten 90er und frühen 00er Jahre abbiegt, flacht das hohe Niveau kurz etwas ab. Albert Hammonds „The Air That I Breathe“ oder „You Make Me Feel Brand New“ von The Stylistics klingen etwas glatt und poppig. Mit „Sunrise“ (2003), einem der jüngsten Lieder, geht es wieder bergauf und „Fairground“ setzt noch mal ein absolutes Ausrufezeichen zum Abschluss des 90-minütigen Hauptteils.
Hucknall provoziert dabei mit einer Tanzeinlage noch mal eine Begeisterungseruption. Die Bestuhlung im Innenraum ist da längst überflüssig – alle stehen und tanzen. Die Zugabe setzt noch mal einen drauf: „Something Got Me Started“ ist pure Energie. Die gefeierte Ballade „Holding Back The Years“ ist der ideale Schlusspunkt. Hucknall erzählt davor, dass dieser Evergreen einer seiner ersten selbstgeschriebenen Songs gewesen sei – „da war ich 18 oder 19“. Und Sänger der mäßig erfolgreichen Punkband The Frantic Elevators. Mit „Meine Damen und Herren – Simply Reedddd!“ lenkt der Bandleader die Aufmerksamkeit noch einmal auf seine exzellente Band – im Stil von Box-Einpeitscher Michael Buffer. Das klingt nicht nach zweiter Abschiedstournee. Hucknall bekommt in der SAP Arena gar nicht genug vom Applaus. Das beruht auf Gegenseitigkeit, erst nach zahllosen Verbeugungen geht es in eine kühle Oktobernacht. Wohlig aufgewärmt von der Simply-Red-Sonne, die nachwirkt wie eine Infrarot-Wellness-Behandlung für die Seele.
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