Mannheim. Unlängst präsentierten die Mannheimer Schillertage einen „Heteraclub“ für Frauen, die Männer begehren, aber nicht ins Publikum lassen wollen. Beim Theaterfestival im Ludwigshafener Pfalzbau leuchtete das amerikanische Kushner-Drama „Engel in Amerika“ aus, wie das in den USA grassierende HI-Virus nicht nur homosexuelle Männer tödlich attackierte, sondern gesellschaftlichen Normen Todesstöße versetzte. Sexualität als Polit-Brennglas ist längst akzeptierter Bühnenstoff. Das war nicht immer so. Als das Mannheimer Nationaltheater 1980 „Bent – Rosa Winkel“ als deutschsprachige Erstaufführung herausbrachte, reichten die bundesweiten Schlagzeilen von „Theater-Schock“ bis „eindrucksvoll stark“. Ein Rückblick mit Spurensuche.
Fünf Jahrzehnte ist es her, dass der Österreicher Hans Neumann die Erlebnisse homosexueller Überlebender von Konzentrationslagern veröffentlichte. Bezeichnenderweise wählte der Autor ein Pseudonym – Heinz Heger – weil er als Schwuler Diskriminierung fürchtete. Das erschütternde Buch „Die Männer mit dem Rosa Winkel“ sollte den US-Dramatiker Martin Sherman nicht von ungefähr aufwühlen: Schließlich war dieser selbst homosexuell und Sohn jüdischer Einwanderer.
Peter Rühring erinnert sich
Seinem davon inspirierten Theaterstück gab er den Titel „Bent“ (gebogen), weil der Einsilber im Englischen „schwul“ wie „verbrecherisch“ meint. Sowohl in London wie am New Yorker Broadway erwies sich das so beklemmende und doch befreiende Drama als Erfolg. Gleichwohl bedeutete es ein Wagnis, das was bislang als unsagbar gegolten hatte, auf eine deutsche Bühne zu bringen. Der Mannheimer Schauspieldirektor und Regisseur Jürgen Bosse traute sich.
„Und wieder einmal wurde das Mannheimer Publikum hart gefordert. Doch es hielt stand, ging mit.“ So begann im „Mannheimer Morgen“ die Kritik, die auch Bravorufe, insbesondere für die Darsteller, festhielt. Der inzwischen 81-jährige Peter Rühring, der während seiner 16 Jahre auf der Schillerbühne und danach in Stuttgart wie München viele Charaktere unverwechselbar mit Leben erfüllt hat, erinnert sich noch gut an den von ihm verkörperten schwulen KZ-Häftling Horst, dem die Nazis Freiheit und Leben zu nehmen vermochten – nicht aber dessen Menschsein und Liebe zu Max. Die Rolle gehöre zu den „einprägsamsten“ seiner Karriere, kommentiert der ebenfalls vom Fernsehen bekannte Schauspieler. Allenfalls zwei, drei Besucher, blickt der Wahl-Berliner zurück, hätten die Premiere verlassen. „Und selbst die schlossen beim Rausgehen ganz leise die Tür hinter sich.“
Auch wenn Feuilleton-Kritiken unterschiedlich ausfielen – die „Süddeutsche“ titelte „Peinlich effektvoll“ – , sollte die Inszenierung der Emanzipationsbewegung von Schwulen wie Lesben einen Schub verleihen. Dazu beigetragen hat wohl auch, dass im Werkhaus ein Themenabend zu Homosexualität die Erstaufführung ergänzte. Dazu holte das Nationaltheater den Verein „Schwule Aktion Mannheim“ (SchAM“) mit einem eigenen Stück auf die Studiobühne.
Hollywoodstar spielte am Theater
Historiker Christian Könne wertet die danach einsetzende Debatte samt kontroverser Leserbriefe als „medialen Durchbruch der Schwulenbewegung in der Stadtgesellschaft“ – auch wenn dieser nichts darüber aussage, wie viele Menschen ihn tatsächlich zur Kenntnis nahmen. Immerhin fand ein Jahr später die erste „Schwule Woche Mannheim“ statt. Gleichwohl, so Historiker Könne, sollte in der Rhein-Neckar-Region noch bis weit in die 1980er „mit vielen Problemen verbunden bleiben, als Schwuler aufzutreten“.
Auch wenn „Bent“ später in Mannheim nie mehr auf den Spielplan kam, verschwand das Stück keineswegs. 37 Jahre nach der deutschen Erstaufführung hat das Göttinger „Theater im OP“ das Drama ebenfalls als Premiere präsentiert – mit neuer Übersetzung. Wer zu dem Stoff recherchiert, stößt auf Richard Gere, den wir aus Kinohits wie „Pretty Woman“ oder „Der Schakal“ kennen. Ein ins Netz gestellter alter US-Zeitungsbericht verblüfft mit der Schlagzeile „How Richard Gere goes from American Gigolo to Bent“.
Der inzwischen 73-Jährige hat vor seinen Leinwanderfolgen in der frühen Broadway-Inszenierung des Sherman-Stückes einen der schwulen KZ-Häftlinge gespielt und dafür 1980 den „Theatre World Award“ bekommen.. Aber wie das Leben so spielt: Fünf Jahre später wurde Gere als schlechtester Darsteller, nämlich als König David im gleichnamigen Bibelfilm, für die „Goldene Himbeere“ nominiert. Bekanntlich sollten später hochkarätige Auszeichnungen folgen. Die „emotionale Herausforderung“ in Bent, pflegt der Star in Interviews zu betonen, bleibe für ihn unvergesslich.
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