Mannheim. Es gibt ein Datum, an dem will Marco Spies nicht rütteln. „Wir wollen 2028 halten“, betont der Projektleiter Generalsanierung Spielhaus des Nationaltheaters. Alle Beteiligten würden derzeit „größte Anstrengungen unternehmen“, dass das Nationaltheater zu Beginn seiner dann 250. Spielzeit im September 2028 wieder am Goetheplatz spielen kann. Nicht halten wird man indes die Kostenberechnung. Stand jetzt wird die Generalsanierung 14 Millionen Euro mehr und damit 261 statt der zuletzt beschlossenen 247 Millionen Euro kosten. Eine vorsichtige Prognose geht sogar davon aus, dass es am Ende 282 Millionen Euro sind.
„Das ist weit unter der derzeitigen amtlichen Baupreissteigerung“, betont Kulturbürgermeister Torsten Riehle. Beim Nationaltheater geht man von 5,83 Prozent Mehrkosten aus. Im Jahresdurchschnitt 2021 hatte der Preis für Leistungen des Bauhauptgewerbes nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes um 9,1 Prozent, 2022 um weitere 16,7 Prozent und 2023 noch um 6,5 Prozent zugelegt. Die 247 Millionen sind 2020 beschlossen worden.
Dabei seien die jetzigen Zahlen „nur eine Momentaufnahme“, stellt Marcus Augsburger, Technischer Betriebsleiter der Generalsanierung, klar. Sie basiert darauf, dass bisher 80 Prozent der Arbeiten ausgeschrieben sind. Teils habe es Ausschreibungsgewinne, also günstigere Angebote, gegeben, teils teurere.
Arbeitsplätze verstießen bisher gegen Arbeitsstätten-Regeln
„Dabei sind auch gute Verhandlungsergebnisse gelungen“, ist Riehle dankbar, dass die Generalsanierung von einer eigens beim Theater angesiedelten Geschäftsstelle gesteuert wird. Diese Konstruktion habe sich „mehrfach rentiert“, betont der Bürgermeister. Dennoch wollte Riehle, dass eine Prognose für den schlechtesten anzunehmenden Fall erstellt wird. Die geht davon aus, dass es bis zum Abschluss des Projekts zu einer weiteren Kostensteigerung auf dann bis zu 282 Millionen Euro kommen kann – mit allen Unwägbarkeiten solcher Prognosen.
Und Unwägbarkeiten gibt es ständig auf der Baustelle. Das liegt vor allem an unerwarteten Schadstoffen, die an vielen Stellen auftauchen. Zwar habe es vor Baubeginn bei der Planung zahlreiche Untersuchungen gegeben, sagt Marco Spies. „Aber das war bei laufendem Theaterbetrieb, da kann man nicht alles sehen.“ Ein Beispiel ist derzeit auf der Baustelle Richtung Goethestraße zu sehen.
Hier sind tiefe Löcher gegraben, um unterirdisch Platz für Proberäume und Stimmzimmer zu schaffen, wofür bisher – provisorisch und unter Verstoß gegen Arbeitsschutz- und Brandschutzauflagen – der Bunker genutzt worden war. Richtung Friedrichsring entstehen, ebenso unterirdisch, Werkstätten, die in Bühnennähe sein müssen, aber dort bei Beachtung der Arbeitsstätten-Regeln keinen Platz haben.
Asbest-Entfernung ist sehr aufwendig und sehr teurer
Beide Räume werden unterirdisch verbunden und erhalten über die ehemalige Kassenhalle einen gemeinsamen Notausgang. Dazu sind die Wände des alten Bunkers aus dem Zweiten Weltkrieg freigelegt worden – und prompt Schadstoffe aufgetaucht. „Die beim Bau verwendeten Dichtschlämme enthalten Asbest“, informiert Spies. Der muss abschnittsweise entfernt werden – unter einer Kunststoff-Abdeckung, damit keine Fasern nach außen gelangen. „Sehr aufwendig, sehr teuer“ nennt Spies das Verfahren. Weil heute kaum mehr eine Deponie asbesthaltigen Bauschutt in großen Mengen annehme, müsse der Schadstoff in einem komplizierten Prozess vom Beton abgestemmt werden.
Unter dem ehemaligen Kassenhaus, das ja künftig als Gastronomie und für kleine Aufführungen dienen soll, sind die Wände des alten Bunkers gut zu sehen – und auch die Betonstützen, auf denen das Kassenhaus ruht. Richtung Friedrichsring ist der Aushub schon komplett abgeschlossen, auf 6,50 Meter Tiefe. Hier liegt nur noch 20 Zentimeter Erdreich als Schutzschicht auf dem Grund der Baugrube. Mitte April, so Spies, werde hier mit der Betonierung der Bodenplatte für die künftigen Werkstätten begonnen.
Bei den unterirdischen Bauten an der Goethestraße ziehe sich das noch etwas länger hin. „Etwa Juli, August“, glaubt Spies, werde man hier mit dem Betonieren loslegen. „Wir versuchen, dass so viele Gewerke Hand in Hand arbeiten, damit wir eine Optimierung der Arbeitsabläufe erreichen“, so der Projektleiter mit Blick auf den engen Zeitplan.
Kampfmittelräumung machen die Saneirung des Nationaltheaters Mannheim teurer
Allerdings machen den Bauleuten noch einige Themen zu schaffen. Eines davon ist Schichtenwasser. Es sei immer klar gewesen, dass man nahe, aber eben nicht im Grundwasser arbeite und daher nicht dauerhaft abpumpen müsse. Aber zwischen einigen der unterirdischen Tonschichten, in die man vorgestoßen sei, habe sich versickertes Wasser angestaut – also mussten die Bauleute doch Pumpen anwerfen. „Das weiß man nie vorher“, so der Projektleiter.
„Auch Kampfmittel beschäftigen uns immer noch“, seufzt Spies. Sie sind einer der Gründe für die Teuerung, weil sich die Sondierung nach hier aufgeschlagenen, aber nicht gezündeten Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg als viel aufwendiger als gedacht erwiesen habe. „Bei jedem Ausschlagen der Sonde ist Vorsicht geboten“, so der Projektleiter, wenngleich es sich bisher zum Glück stets nur um Munitionsreste oder Schrottteile gehandelt habe.
Besonders aufwendig ist die Sondierung dort, wo unter den Ostflügel des Nationaltheaters unterirdisch ein neuer Orchesterprobensaal eingebaut wird. Derzeit sichern Spezialisten mit einem Injektionsverfahren, bei dem eine Zementemulsion in den Boden gespritzt wird, die Stabilität der Baugrube. „Das liegt in den letzten Zügen“, sagt der Projektleiter und schätzt, dass bis Mai die neue Betonwanne gegossen ist. Ein Stahlgerüst sichert den Bau, der derzeit quasi darüber schwebt. Mit Laser wird kontrolliert, dass dem Theater nichts passiert. „Bisher keine Bewegung, alles stabil“, versichert er.
Im Nationaltheater Mannheim sind die Wände mittlerweile nackt
Schließlich geht innerhalb des Hauses die Sanierung bereits sichtbar voran. Aber auch da haben Schadstoffe die Arbeiter zunächst gebremst. Sie stießen auf polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe. Auch die könne man nicht einfach mit dem Meißel entfernen und entsorgen, sondern müsse den Schadstoff abschleifen und den Stein zu 80 mal 80 Zentimeter großen Blöcken zerschneiden.
Die meisten Wände im Spielhaus sind nackt. „In großen Teilen des Gebäudes war beim Bau 1957 schadstoffhaltige Farbe verwendet worden, das musste man alles abschleifen“, erklärt Spies. „Sehr, sehr aufwendig“ sei das gewesen und bei vorherigen Bohrungen nicht zu erkennen. An allen Lüftungsauslässen in den Zuschauerreihen sowohl vom Opern- als auch vom Schauspielhaus sei Asbest aufgetaucht. Abgekapselt zwar, also seinerzeit für die Zuschauer nicht schädlich – doch durch die Bauarbeiten nun freigelegt und daher zu entfernen.
In oberen Stockwerken des Nationaltheaters wird schon neu gebaut
Die Stühle von Opern- und Schauspielhaus sind derzeit alle abmontiert und eingelagert. Sie stehen unter Denkmalschutz – aber dürfen aus Hygienegründen trotz Denkmalschutz in etwas anderer Form zurückkehren: Die Sitzpolster werden erneuert, aber an die Armlehnen kommt kein Polster mehr, sondern Holz. „Da sind wir gerade bei der Bemusterung“, sprich die Optik wird ausgesucht, erklärt Spies. In oberen Stockwerken ist nicht nur alles entkernt. „Da bauen wir schon neu.“ Erste Wände von Garderoben und Maske werden eingezogen, Leitungen verlegt.
„Es kann daher kein Abrücken von der Baumaßnahme mehr geben, wir sind viel zu weit gekommen“, stellt Kulturbürgermeister Riehle klar, dass unter seiner Leitung an dem Projekt nicht gerüttelt wird. Allerdings wolle er „versuchen, die Menschen mehr ins Boot zu holen“, wozu es ab Juni einen Infocontainer an der Goethestraße geben soll. „Es muss gelingen, die Menschen für das Projekt zu begeistern“, hat Riehle sich mit dem Geschäftsführenden Intendanten Tilmann Pröllochs vorgenommen. Dazu zählt für ihn auch, „mit den Menschen zu sprechen, warum es derzeit viele Vorbehalte in der Bevölkerung gegenüber dem Theater gibt, zum Teil auch von Leuten, die bisher Befürworter waren“. Das werde er jetzt angehen.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Nationaltheater: Es wird teurer – das war klar