Kulturpolitik

Sind die Milliarden fürs Nationaltheater auch gut angelegt?

Angesichts gigantischer Summen für die Sanierung von Deutschlands Kulturgebäuden fragen kritische Stimmen: Muss das so sein, wie es die letzten 50 bis 100 Jahre war?

Von 
Stefan M. Dettlinger
Lesedauer: 
Von außen wird von der Sanierung kaum etwas zu sehen sein: Blick auf das Nationaltheater Mannheim am Goetheplatz, wie es nach der Sanierung 2028 aussehen soll. © Rendering von Schmucker und Partner

Oper, Theater, Museen: Die Kosten und Bauzeiten für neue oder sanierte Kulturbauten in Deutschland steigen überall. Ob Frankfurt oder Düsseldorf: Manch einer stellt angesichts von Klimakrise und Krieg die Frage, ob so ein Milliarden-Bau sein muss.

Manchmal fehlen eben sieben Millionen. Wie in Marl, dessen renommiertes Skulpturenmuseum „Glaskasten“ in ein neues Domizil umziehen soll, eine Schule aus den 1960er Jahren. Mit 20 Millionen Euro war der Umbau ursprünglich veranschlagt, doch dann stiegen die Kosten, wie überall im Bausektor. Ende vergangenen Jahres verweigerte der Stadtrat den notwendigen Aufschlag. Jetzt, Mitte Juni, stimmte er nach vielen Protesten aus der Kulturwelt doch noch zu.

Sieben Millionen, darüber können viele nur lachen, wenn es um Kulturbauten in Deutschland geht, egal ob neue oder solche, die in die Jahre gekommen sind und saniert, renoviert oder umgebaut werden sollen. Da gilt vielerorts die Milliarden-Marke als neues Normal. So in Frankfurt am Main, wo für Sanierung oder Neubau von Schauspiel und Oper zuletzt 1,3 Milliarden Euro aufgerufen wurden. Oder in München, wo ein neues Konzerthaus mit einer ähnlichen Summe kalkuliert wird. Oder bei den Plänen für Stuttgarts Oper.

Ganz so heftig ist es in Mannheim noch nicht, doch mit Städten wie der Mainmetropole oder den Landeshauptstädten in Deutschlands Süden kann sich die Quadratestadt auch nicht messen. Dennoch sind die Summen enorm. Zuletzt wurde die Sanierung des Nationaltheatergebäudes am Mannheimer Goetheplatz auf 287 Millionen Euro beziffert – allerdings ohne die Finanzierung und den Betrieb der Ersatzspielstätten, die derzeit nochmals mit knapp 32 Millionen zu Buche schlagen und nach der Insolvenz eines Bauunternehmens bei der Oper am Luisenpark (Opal) weiter steigen werden. Erst im Juni hat der Mannheimer Gemeinderat einer Finanzspritze zugestimmt: der Erhöhung der Baukosten um 6,3 Millionen Euro auf 22,7 Millionen Euro.

Mannheim bei über 300 Millionen

Auch hier hieß es, ein Rückbau sei wirtschaftlich nicht sinnvoll, wie der Bürgermeister für Kultur Michael Grötsch (CDU) neulich erklärte. Die Fertigstellung der Oper am Luisenpark (Opal) ermöglicht insbesondere der Opernsparte eine sinnvolle und notwendige Ersatzspielstätte, die, so Grötsch, anschließend wesentlich besser vermarktet werden könne als das derzeitige unvollständige Gebäude. Die Fertigstellung voraussichtlich zum Ende der Spielzeit 2023/24 sei alternativlos. Der Eigenbetrieb des ältesten kommunalen Theaters Deutschlands übernimmt den Weiterbau kreditfinanziert.

Doch auch bei der Sanierung des Stammhauses stockt es. Grund sind Störungen bei der Schadstoffsanierung und der Sondierung von Kampfmitteln. Deshalb ist laut NTM derzeit mit einer verspäteten Wiederaufnahme des Betriebs um rund ein Jahr zu rechnen, also zur Spielzeit 2028/2029. Auf Überraschungen darf man trotz scheinbar verbindlicher Aussagen gespannt sein.

Mehr zum Thema

Kommentar Kosten und Zeitplan der NTM-Sanierung: Kommt Mannheim noch glimpflich davon?

Veröffentlicht
Kommentar von
Peter W. Ragge
Mehr erfahren
Sanierung

Mannheimer Nationaltheater: Warum „Opal“ teurer wird und der Bau länger braucht

Veröffentlicht
Von
Peter W. Ragge
Mehr erfahren
OB-Wahl

Höhere Kosten: Das sagen die Kandidierenden zum Nationaltheater

Veröffentlicht
Von
Timo Schmidhuber , Florian Karlein und Sebastian Koch
Mehr erfahren

In Köln sieht es nicht besser aus. Im Gegenteil: Hier wird die Milliarden-Latte sicher reißen, wenn die aufwendige Sanierung von Schauspielhaus und Oper tatsächlich im Jahr 2024 abgeschlossen sein sollte – nach einem Dutzend Jahren. Bürgerproteste hatten den schon beschlossenen Abriss verhindert, zugunsten einer grundlegenden Sanierung und Ertüchtigung: Brandschutz, Klimaoptimierung, Arbeitsstättenverordnung, technische Aufrüstung.

Da muten die Kosten für die Hamburger Elbphilharmonie (Bauphase: 2007 bis 2016) im Vergleich fast gering an. Die erste Skizze des Architekturbüros Herzog & de Meuron – ein gläsernes Großsegel auf dem Backsteinkubus eines alten Hafenspeichers – hatte große Begeisterung ausgelöst. Dass die Kosten von ursprünglich angenommenen 77 Millionen auf 866 Millionen Euro steigen sollten, ahnten anfangs die wenigsten. Oder wollten es nicht wissen. Heute ist die zwischenzeitliche Kritik an den enormen Summen weitgehend verstummt, die „Elphi“ zum stolz vorgezeigten neuen Wahrzeichen geworden.

Fraglich ist, ob das auch anderswo gelingt. In Berlin ist das „Museum der Moderne“ im Bau, das von Anfang an auf harsche Kritik gestoßen ist. Entworfen wurde es von denselben Architekten, die für die Elbphilharmonie so viel Lob geerntet haben. In Berlin hingegen gab es Hohn und Spott wegen der Grundform einer Scheune. 200 Millionen Euro waren vor gut zehn Jahren bewilligt worden, inzwischen rechnet man mit 650 Millionen. Die Fertigstellung ist auf 2026 terminiert, bei einschneidenden Umplanungen.

Überhaupt Berlin: Generalsanierung samt Neubau für die Komische Oper sollen fast 480 Millionen Euro kosten, Bauzeit: sechs Jahre. Das Pergamon-Museum wird ab Herbst für dreieinhalb Jahre komplett geschlossen. Der Südflügel, letzter Teil der umfangreichen Sanierung, soll sogar erst 2037 wieder eröffnet werden. Geplante Gesamtsumme: 1,2 Milliarden Euro.

Zu viel äußerer Aufwand?

In Düsseldorf wird darüber nachgedacht, das Opernhaus abzureißen, um es durch eine moderne Variante zu ersetzen. Allerdings verweisen die oppositionellen Grünen im Stadtrat auf die aktuellen Krisen, Krieg in der Ukraine, Inflation, Klimawandel: Die zu erwartenden Kosten von einer Milliarde Euro passten nicht mehr zur aktuellen Zeit.

Auch in Frankfurt am Main ist nach über zehnjähriger intensiver Diskussion völlig offen, in welcher Form die derzeit hinter einer gemeinsamen Fassade residierenden Häuser von Schauspiel und Oper saniert oder lieber neu gebaut werden sollen. Die Varianten geben sich finanziell nicht viel, um die 1,3 Milliarden werden veranschlagt. Realistisches Zeitziel mit Wettbewerben, Planungen, Ausschreibungen, Bauphasen: 2035.

Dass es auch anders geht, zeigen zwei Beispiele aus München: das viel gelobte neue Volkstheater – fertiggestellt allerdings schon 2021 – und ein inzwischen geliebter Interimskonzertsaal („Isarphilharmonie“) in Holzbauweise für 1900 Menschen. 130 Millionen und 43 Millionen fielen dafür an. Peter Cachola Schmal, Direktor des Deutschen Architekturmuseums, führt die niedrige Bausumme beim Volkstheater auf eine äußerste enge Zusammenarbeit der beteiligten Stellen zurück und vor allem auf das Engagement des Intendanten Christian Stückl – als Vorbild für „wirkliche Bauherrenschaft“.

Angesichts der gigantischen Summen mehren sich kritische Stimmen, die monieren: Allzu oft wird bei Kulturbauten viel auf äußeren Aufwand geachtet, dagegen zu wenig auf durchdachte und haltbare Inhalte zur Nutzung. „Müssen ein Theater und ein Opernhaus so sein, wie es die letzten 50 bis 100 Jahre war?“, fragten beispielsweise die ehemaligen Frankfurter Stadtverordneten und kulturpolitischen Sprecher Thomas Dürbeck (CDU) und Sebastian Popp (Grüne) in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“: „Warum nicht ein Opernhaus mit einer Jugendmusikschule oder einer Tanzschule verbinden und ein Theater mit einer Bibliothek?“ (mit epd)

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen