Mannheim. Da kommt Stimmung auf! Nach so viel körperlichem Akrobatenwirbel muss die Energie im Raum auch irgendwie durch die Publikumskörper. Man klatscht, johlt, trampelt und steht auf. Was da über eine Stunde auch mit viel Szenen- und Zwischenapplaus so heftig gefeiert wird, ist eine Art zeitgenössischer Zirkus, ein kinderfreundliches Schillertage-Event für die ganze Familie.
Die 15 sportlichen Männer und Frauen der Groupe Acrobatique de Tanger leisten ganze Arbeit, der marokkanische Top-DJ Dino auch. Schneller als das Auge es verfolgen kann werden in farbenfrohen Kostümen Salti, Flic-Flacs und Räder geschlagen - und das einhändig, synchron oder gar vom Sprungtuch aus. Auch Equilibrage, Cheerleading oder Motorradakrobatik sorgt für Staunen, Entzücken und leuchtende Kinderaugen.
Lied erzählt von Fluchtvorhaben
Die aus allen Ecken Marokkos stammenden Körperkünstler sind Meister ihres Faches, wie auch die französische Fernseh-Zeitschrift Télérama oder das Festspielhaus St. Pölten wissen. Ihre Show setzt sich zusammen aus Elementen, die von Bodenturnen über Breakdance und Taekwondo bis zu Freestyle-Fußball reichen, das hier - ein echtes Kunststück - am Ende sogar ganz ohne Ball funktioniert.
Dazwischen hat Regisseurin und Zirkographin (ja, das gibt’s) Maroussia Diaz Verbèke kritischen Zeitgeist geschrieben. „Wach auf!“ heißt ein Lied, das von einem heimlichen Fluchtvorhaben erzählt. Bedingungsloses Grundeinkommen, wer wollte es nicht? „Wer ist wir?“ fragt ein im einhändigen Handstand erschriebenes Plakat auf dem immer bunter werdenden Orientteppich des Bühnenbodens.
Das Geld ist ungerecht verteilt auf der Welt, wie wahr. Vom Arabischen Frühling der nordafrikanischen Monarchie ist der Wunsch nach Freiheit und Wohlstand geblieben - und natürlich die kunterbunte gute Laune der Jugend. Positiv denken! Lebensfreude spüren, herrlich.
Die Show zum Festival
„Ein Energiekonzentrat aus Licht, Farben, Bewegung und Musik. Genau das, was die ,schöne neue Welt’ gebrauchen kann.“ So leitet die stets kluge Dramaturgie des Nationaltheaters den Bezug der Show zum Festivalmotto her. Na dann. Es geht nicht um die Leistung einer fraglos fitten und unterhaltsamen Akrobatengruppe. „Es war toll, wie Palazzo ohne Essen“, sagt jemand. Andere, sündige Kreuzfahrer etwa, kennen solche quirlige Ethno-Shows eher vom Abendprogramm des Bordtheaters eines Ozeandampfers. Oder gar vom Pier beim Ablegen. Nein, das ist nicht böse, sondern nur wahr.
Bei Landgängen lassen sich da übrigens auf Touristenmärkten tolle Blechspielzeuge aus alten Bier-Dosen, irrwitzige Ketten aus Kronkorken oder lustige Sandalen aus alten Autoreifen als Mitbringsel erwerben. Seht her, wie kreativ der Afrikaner in seiner Not ist, freut sich da der Wohlstandswestler. In woken Diskursrunden sind Kreuzfaher nicht nur (zurecht) als Umweltsünder, sondern auch als postkolonialstische Ausbeuter verpönt.
In „FIQ“ turnt man mit 100 roten Getränkekisten eines US-Brauseherstellers - und der kulturinteressierte Besserverdiener freut sich über so viel körperliche Kreativität beim Wunsch nach Freiheit. In der Hitze des Sommerfestivals hat die stets aufklärende Schauspielsparte in Sachen Schiller-Auslegung nicht immer den Hut, sondern manchmal eben auch nur den Sombrero auf.
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