Nationaltheater

Rundgang über die NTM-Ersatzspielstätte in Mannheim-Neckarau

Die Räume wirken unscheinbar. Doch der Ort, an dem die Oper des Nationaltheaters ab 1. April spielt, sieht dennoch beeindruckend aus. Es ist das Kesselhaus der früheren Schildkröt-Fabrik

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Peter W. Ragge
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Hier, im alten Kesselhaus der Schildkröt-Fabrik, spielt nun die Oper des Nationaltheaters. Im Bild vorne der Technische Direktor Harald Frings. © Thomas Tröster

Die Räume wirken unscheinbar, liegen am Ende des Parkplatzes vom Großhandel Metro in der Floßwörthstraße 36-38 in Neckarau. Aber hinter den Türen des dunklen Backsteinbaus stellt sich sofort ein Wow-Effekt ein. Eine 20 Meter hohe Halle, ein Tonnengewölbe mit einem Oberlichtband als Dach, herrliche historische und fast bodentiefe Rundbogensprossenfenster – beeindruckend sieht der Ort aus, an dem die Oper des Nationaltheaters ab 1. April spielt. Es ist das Kesselhaus der früheren Schildkröt-Fabrik.

„Großartig“, bewundert Opernintendant Albrecht Puhlmann die Halle, „ein wirklich besonderer Ort“. Das ist er wirklich. Die „Electr. Centrale“, wie das Gebäude auf alten Plänen genannt wird, diente der Energieversorgung der einst weltberühmten Schildkröt-Fabrik. 1873 als Rheinische Hartgummi-Waaren-Fabrik gegründet, produzierte sie zunächst Gebrauchsgegenstände aus Kautschuk, dann aus Celluloid und ab 1895 die berühmten Puppen der Marke Schildkröt aus Kunststoff, die bis 1975 in Mannheim hergestellt wurden.

Gute Akustik

Das Firmengelände erstreckt sich in den guten Jahren der Firma, als sie bis zu 6000 Mitarbeiter beschäftigt, bis an die heutige Morchfeldstraße und an die Eisenbahnstraße. Hier nutzt das Nationaltheater schon ein ehemaliges Schildkröt-Verwaltungsgebäude als Probenzentrum. Das alte Kesselhaus ist in einer ganz anderen Ecke des früheren, heute von zahlreichen anderen Firmen genutzten Schildkröt-Geländes. Da wird einst der Dampf für die Produktion erzeugt. Gemauerte Reste der riesigen Öfen sind zwar noch vorhanden, aber im Untergeschoss – und damit verborgen vor Publikum.

Platz für Garderobe, Kasse und Bar: das Foyer, wo die Besucher ankommen und sich in Pausen aufhalten. © Pressefotoagentur Thomas Tröste

Im November, bei einem Ballett zur Musik des polnischen Komponisten Frédéric Chopin, bespielt das Nationaltheater das frühere Kesselhaus erstmals. Als dann Anfang Dezember klar wird, dass das Musiktheater seine Ersatzspielstätte „Oper am Luisenpark“ (Opal) vorerst nicht nutzen kann, empfiehlt Tanz-Intendant Stephan Thoss seinen Opern-Kollegen den Ort. „Er hat mich auf die Idee gebracht“, dankt Opernintendant Albrecht Puhlmann.

Das Nationaltheater hat die Räume nun gemietet – in zwei Blöcken mit einer Unterbrechung. In der nutzt dem Vernehmen nach eine Künstlerin die Halle, um sich auf ihre Auftritte in der SAP Arena vorzubereiten. Aber jetzt sind erstmal Bühnentechniker, Beleuchter und viele weitere Mitarbeiter da, um das Kesselhaus in ein Theater zu verwandeln. „Für uns ist das alles erst mal ungewohnt, eine völlig neue Halle, eine völlig neue Umgebung“, so Harald Frings, der Technische Direktor. Sie hat auch ungewohnte Maße – etwa 40 Meter lang, 15 Meter breit.

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„Aber alle, die hier reinkommen, sind erst mal positiv überrascht und von der Architektur begeistert“, sagt Albrecht Puhlmann. Zwar gibt es anfangs Zweifel, was die Akustik angeht. „Aber wir haben das getestet, und die Akustik ist großartig, warm, klar, ausgesprochnen deutlich“, verweist Puhlmann auf Tests mit dem Berliner Tondesigner, Diplom-Tonmeister und Musikproduzenten Holger Schwark bei einer Probe mit Dirigent und Orchester in Originalbesetzung.

Doch auch wenn sich die Akustik als gut erwiesen habe, bleibe die Nutzung des Kesselhauses „schon eine Herausforderung“, gesteht Frings. Es ist schließlich nicht als Theater gebaut, hatte auch nicht den Status einer öffentlichen Versammlungsstätte. Alles, was dafür notwendig war, musste das Theater nun in kurzer Zeit mit den Behörden regeln. „Es war eine Herausforderung, aber zu meistern“, so Frings.

Nicht für Publikum zugänglich: die Halle mit Richard Longs riesigem Steinkreis. Hinten und seitlich sind provisorische Garderoben eingebaut. © Pressefotoagentur Thomas Tröste

Das Publikum kommt direkt über eine Tür am Metro-Parkplatz in das Gebäude. Im Foyer haben die Theaterleute Garderoben, Kasse und eine kleine Bar für die Pause eingerichtet. Dann folgt der große Raum. Auch wenn er architektonisch und durch das Ambiente beeindruckt, „können wir hier natürlich nicht die Qualität von einem großen Theatersaal haben“, bittet Frings um Verständnis. So haben die Stühle auf der angemieteten Tribüne keine Armlehnen, aber eine Breite von 50 Zentimetern. Insgesamt werden 390 Plätze zur Verfügung stehen.

Lange Tribüne

Allerdings werde man von einer Guckkastenbühne hin zu einer Raumbühne wechseln. Für die ab 1. April laufende Oper „Dido and Aeneas“, die erste der drei Produktionen, hat Bühnenbildner Fritz Eggert eine in die Länge gezogene Tribüne und davor eine große, ebenerdige Szenenfläche gestaltet. „Eine Szenenfläche in dieser Breite haben wir auch noch nie gehabt“, so Puhlmann. Die großen Wandflächen sollen zudem für Projektionen genutzt werden, weshalb die Aufführungen erst um 20.30 Uhr beginnen.

Das bleibt weiter verborgen: die beeindruckende Installation „Das letzte Hemd“ von Christian Boltanski im Keller. © Pressefotoagentur Thomas Tröste

Auch bei „The Lighthouse“ wird die breite Szenenfläche ausgenutzt. Im Juli, beim Musical „Anatevka“, „probieren wir einen neuen, ganz anderen Stil und setzen Orchester und Szenerie in die Mitte, das Publikum seitlich“, kündigt Puhlmann an.

Von der kostbaren Kunst, die sich immer noch in dem Gebäude befindet, wird das Publikum nichts sehen. In der hinteren Halle, rund um Richard Longs Steinkreis „Rhein Circle/Mud Arc“, sind provisorisch Garderoben eingebaut – aber nur für schnelle Wechsel während des Stücks. „Die Künstler werden im Probenzentrum geschminkt und eingekleidet“, kündigt Puhlmann an. Ohnehin dürfen die hinteren, internen Räume nur 100 Leute gleichzeitig nutzen – weil die Rettungswege zu eng sind. Gar nicht mit angemietet hat das Nationaltheater die Kellerräume. Dort findet sich die beeindruckende Installation „Das letzte Hemd“ des 2021 verstorbenen französischen Künstlers Christian Boltanski, aus unzähligen auf dem Boden liegenden oder an einem Endlosband hängenden alten Mänteln – scheinbare Hinterlassenschaften von KZ-Opfern.

Redaktion Chefreporter

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