Mehr als 300 Jahre altes Werk - Händels Oratorium „Der Triumph der Zeit und der Erkenntnis“ gerät am Nationaltheater zum Sänger- und Musikerinnenfest / Rauschender Jubel im Publikum

Oper "Trionfo" wird zum Sängerfest am Mannheimer Nationaltheater

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Spiegeln sich und sind doch verschieden: Shachar Lavi als Piacere (das Vergnügen) mit Amelia Scicolone als Bellezza (die Schönheit). © Christian Kleiner

Mannheim. Was wird die Konsequenz sein aus solchen Abenden der Schlichtheit? Auch die neueste Produktion an der Mannheimer Oper, Händels Oratorium „Il Trionfo del tempo e del disinganno“, verschiebt unsere Maßstäbe und Parameter wieder einmal: Was ist möglich in der Zaubergattung Musiktheater? Und was ist nötig? Dieser Abend mit dem mehr als 300 Jahre alten Werk antwortet darauf eindeutig: Weniger kann mehr sein! Minimalistisch, konzentriert, direkt, charmant, poetisch, transparent und schlicht mitreißend kommt dieser Händel daher.

Nach der Pandemie wird man sicherlich immer wieder vor aufwendigen Kulissen in Schauspiel und vor allem Oper sitzen und sich fragen, ob sie wirklich notwendig sind für das, was eigentlich intendiert ist. Oder ob nicht eben diese radikale Reduktion der Mittel auch dorthin führt, wohin man - auch nach Ansicht der meisten Regisseure - unbedingt vordringen möchte: zum Kern des Werks.

Konzertant sollte das Ganze also sein (weil einige aus dem Regieteam laut NTM pandemisch mit dem Reisen Probleme hatten). Daraus geworden ist aber viel mehr: Vor der in Gold schimmernden Holzwand von Robert Schweer lässt Victoria Stevens (Szene) hier die Story der Allegorien Zeit, Erkenntnis und Vergnügen spielen, die, wer könnte es ihnen verübeln, allesamt nach der Schönheit buhlen. Kulissen: ein Stuhl, ein Apfel, eine Blume. Das war’s.

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Beseelte, zarte, edle Shachar Lavi

Der Orchestergraben ist hoch gefahren, die vier Sänger singen fantastisch, und Alte-Musik-Experte Bernhard Forck, der als Primus inter Pares an der Violine leitet, entwickelt mit dem reduziert besetzten Nationaltheater Orchester plus Basso-Continuo-Duo mit Lauten und Orgel/Cembalo einen unfassbar starken Sog, der dem Panorama barocker Affekte zwischen radikaler Innerlichkeit und dramatisch-ernster Zuspitzung ins Öffentliche immer den richtigen klanglichen Ausdruck verleiht.

Wie in „Lascia la spina cogli la rosa“, dem wohl bekanntesten Titel des Werks. Sopranistin Shachar Lavi (Vergnügen) singt es unverblümt, mit beseelter Schönheit, zartester Phrasierung und edlem Timbre. Ihr feines Vibrato setzt sie sparsam ein. Das ist sehr gut. Lavi fällt auch durch coole Bühnenpräsenz auf und kommentiert mit kleinsten Gesten das Geschehen. Ihre Konkurrenten beim Werben um die Schönheit sind der gastierende Countertenor Benno Schachtner (Erkenntnis) und Christopher Diffey (Zeit). Der eine, Schachtner, ist ohnehin ein Spezialist, der andere, Diffey, legt am NTM - man denke an seinen „Albert Herring“ - ein ums andere Mal Meisterleistungen ab. Allein das „Stereo-Duett“ der beiden, „Il bel pianto dell’aurora“ (Die schöne Träne der Morgenröte) in zart schimmerndem a-Moll, gerät zum Ereignis. Rechts und links rund zehn Meter auseinander stehend singen sie die in sich verschlungenen kontrapunktischen Imitationen, weiden sich in Dissonanz und Konsonanz. Das geht unter die Haut.

Und das alles nur wegen ihr: Bellezza. Amelia Scicolone verkörpert die Allegorie von Beginn an mit Noblesse, die schon ihre finale Umkehr weg vom Vergnügen vorwegnimmt: „Und wenn ich gegenüber Gott undankbar lebte, sollst du, Wächter meines Herzens, ihm das neue Herz zutragen.“ Scicolones Sopran macht einen quirligen Händel. Sie hat Furor und schert in stratosphärische Höhen aus, die sie mit bemerkenswerter Sicherheit trifft und ihre Exaltiertheit zum Ausdruck bringt. Ihre Koloraturen sind wendig, aber wäre da etwas weniger Vibrato noch besser? Egal: Ihr Vortrag betört, auch weil sie die melancholischen Nebentöne bestens koloriert. Großartig. Nun darf man gespannt sein, wie dieser Abend von Krystian Lada in acht Sessions digital verarbeitet wird. Es soll um Maria Magdalena gehen. Amelia Scicolones Zeichnung war schon nah dran an der biblischen Figur. Was für ein genialer Abend! Das Publikum jubelt.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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