Sanierung

Nach Baustopp: Das Nationaltheater Mannheim hofft auf die Schildkrötfabrik

Nach der Insolvenz der Baufirma stand die Baustelle der Ersatzspielstätte still. Nun besteht Grund zur Hoffnung für die Oper ohne Heimat - die Stimmung im Orchester ist trotzdem mies

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Vorerst passiert hier gar nichts mehr: Baustelle für die Oper am Luisenpark. Wann weiter gebaut wird, weiß niemand. © Thomas Tröster

Mannheim. Es rumpelt und rauscht in der Leitung. Opernintendant Albrecht Puhlmann ist unterwegs. Im Zug. Man könnte - cum grano salis - in dieser Situation freilich auch sagen: Die Lage ist ja auch zum Davonlaufen. Doch so einfach ist es nicht. Nachdem die zentrale NTM-Ersatzspielstätte Oper am Luisenpark (Opal) zuerst pünktlich, dann spät und dann noch später eröffnen sollte, steht eine Inbetriebnahme des Leichtbautheaters beim Carl-Benz-Stadion nun ganz in den Sternen. Der Totalunternehmer Metron Vilshofen GmbH: insolvent. Die Baustelle: verwaist. Die Nerven: blankliegend.

NTM Mannheim auf kleiner Bühne

„Jetzt haben wir das Problem, dass wir keine große Spielstätte haben“, sagt Puhlmann durch das Rauschen und Rumpeln, „wo spielen Orchester, Chor und „Ensemble jetzt?“ Die Lage ist nicht nur für die Oper schlecht. Auch der Tanz von Stephan Thoss leidet mit - und muss sich vorerst ganz auf die kleine Bühne zurückziehen. Puhlmann hofft natürlich, dass das Insolvenzverfahren rasch geht und mit den Mitteln, die das NTM hat, weitergebaut werden kann. Puhlmann: „Wenn wir jetzt neu ausschreiben und einen neuen Totalunternehmer finden müssten - das dauert alles sehr lange. Ich hoffe, dass das etwas überschaubar bleibt.“

Gemeinderat muss weitere Miete des Pfalzbaus zustimmen

Er klingt, als sei er auf alles gefasst. Auch, dass die Opal zu Beginn der Saison 23/24 nicht fertig ist. Falls dem so sein sollte - und wir wissen, dass heute nichts unmöglich ist -, bleibt im Herbst ’23 noch eine Premiere im Ludwigshafener Pfalzbau, wobei: Der Vertrag für die nächsten Spielzeiten ist noch nicht unterzeichnet, mehr: Der Stadtrat in Ludwigshafen stimmt erst am Montag (12.12.) darüber ab, ob die „Vereinbarung mit der Stadt Mannheim“ so zur Unterzeichnung vorgelegt wird.

Reine Formsache? Der dieser Redaktion vorliegende Entwurf sieht zwei Phasen des Untermieters NTM vor: 2. Januar bis 10. März (68 Tage) sowie 1. September bis 10. Oktober (40 Tage). Angemietet werden knapp 10 000 Quadratmeter. Kosten: eine Millionen Euro. Geregelt ist auch, dass das NTM bis 31. März 2023 weitere Zeitkorridore signalisieren muss. Puhlmann: „Klar, wir müssen sehen, wie wir die Verträge mit Ludwigshafen für die nächsten drei Jahre danach gestalten können.“

Schildkrötfabrik Neckarau bietet Platz für 400 Gäste

Unterdessen ist bekannt, dass Pfalzbau-Intendant Tilmann Gersch für seine exzellenten Gastspiele um jeden Tag in „seinem Haus“ eisern kämpft. Zum Vertrag sagt er nur: „Ich bin erst befugt, mich zu äußern, wenn der Beschluss am 12. Dezember durch den Stadtrat gegangen ist.“

Einen Schimmer Hoffnung sieht Puhlmann am Horizont aufflackern. Er spricht von „Glück im Unglück“, meint, es sei gelungen, die Schildkrötfabrik in Neckarau anzumieten. „Eine sehr schöne Halle“, findet er, „die können wir ab März für einen größeren Zeitraum anmieten.“ Drei Produktionen mit Kammeropern will er dort spielen.

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In der Kessel-Halle der Schildkrötfabrik kann man - wie im Rokokotheater für 400 Gäste - nur kleine Besetzungen spielen, aber: „Wir werden wenigstens acht neue Produktionen in Mannheim, Ludwigshafen und Schwetzingen spielen können“, so Puhlmann, damit seien „wenigstens die Ensembles etwas beschäftigt“.

Steuerzahler finanziert unterbeschäftigte Angestellte - Stimmung ist mies

Damit spricht er einen wunden Punkt an, denn das rund 100-köpfige Nationaltheaterorchester, der knapp 60-köpfige Opernchor sowie die knapp 30 Ensemblemitglieder machen samt Personal drumherum schon an die 200 Künstlerinnen und Künstler aus, die normalerweise rund 160 Vorstellungen spielen. Laut Pressereferentin Doreen Röder werden es nun immerhin 91 sein.

Die Stimmung, so hört man aus den Ensembles, ist mies. Kritik wird laut. Sätze wie „wir würden uns halt gern präsentieren“ und „da wurde zu hoch gepokert“ hört man genauso wie: „War das nicht gleich klar, dass das zeitlich nicht hinhaut? Hätte es nicht gleich einen Plan B geben müssen?“ Musikerinnen und Musiker, die nicht spielen dürfen, leiden eben.

Sie werden natürlich auch dafür bezahlt. Allein das jetzt drastisch unterbeschäftigte Orchester kostet den Steuerzahler rund zehn Millionen Euro im Jahr. Weil die kommenden Jahre deutlich dünner ausfallen dürften, sucht Puhlmann zwar noch nach „einem attraktiven Chorkonzert“. Aber die Lage in Mannheim ist mau.

Wie es weitergeht, bleibt unklar

Wäre das alles zu vermeiden gewesen? Gab es Versäumnisse vonseiten des Intendantenteams? Fragen, die wie von selbst vor dem Auge aufploppen. Doch Puhlmann verneint: „Es war gut, dass wir bei der Planung der Interimsspielstätten nicht nur auf eine neue, exklusive Bühne gesetzt haben.“ Die Planung, die Sommerpause für den ersten Teil des Auszugs aus dem Spielhaus zu nutzen und dann im Herbst die Bühnentechnik in die neuen Interimsspielstätte einzubauen, so dass dort dann ab Dezember Vorstellungen stattfinden können, war laut Puhlmann „gut und durchdacht und hätte unter normalen Umständen auch funktioniert“.

Doch die Auswirkungen der Corona-Krise und des Ukrainekriegs seien zum Zeitpunkt der Planungen nicht vorhersehbar und kalkulierbar gewesen, so Puhlmann, ebenso wenig der nun gestellte Insolvenzantrag von Metron Vilshofen: „Mit diesem renommierten und gut aufgestellten Partner glaubten wir, einen sicheren und zuverlässigen Totalunternehmer an unserer Seite zu haben.“

In der Tat hatte Puhlmann seit sechs, sieben Jahren bereits Spielorte geprüft. Lange hatte er ein Holztheater aus Genf im Visier, doch das stellte sich beim Abbau als marode heraus. Und das Trafowerk in der Käfertaler Boveristraße - erinnert sei an den Streit mit den Künstlern im Atelierhaus - war laut Puhlmann am Ende finanziell „nicht mehr zu verantworten“. Die Leichtbauhalle, die nun halb fertig dasteht, war die dritte Option - und wäre sicherlich nicht die schlechteste gewesen, wenn nicht gekommen wäre, was kam.

Publikum beschwert sich kaum 

Dass es in solchen Zeiten extrem schwierig sein dürfte, Publikum zu halten - klar. „Ich bleibe Optimist“, sagt Puhlmann und hofft, dass das Publikum den beschwerlichen Weg nach Ludwigshafen, Schwetzingen, an den Friedrichsplatz, nach Käfertal und Neckarau mitgeht. Ausgehungert ist der Opernfan jetzt schon. Doch Puhlmann „erreichen wenig verärgerte Zuschriften“, sagt er, „wir müssen jetzt nach vorn blicken und einen attraktiven Spielplan machen.“

Leicht gesagt. Denn zu all dem kommt, dass selbst, wenn etwa ab Februar wieder weitergebaut werden sollte, momentan keiner sagen kann, wie lange es dann bis zur ersten Aufführung noch dauert.

„Das Ganze ist ein komplexer Prozess, an dessen Anfang wir uns gerade befinden. Wir stehen seit gestern in Kontakt mit dem jetzt eingesetzten vorläufigen Insolvenzverwalter und stimmen das weitere Vorgehen ab“, so Puhlmann. Ein öffentlich bestellter und vereidigter Bausachverständiger startet ab 12. Dezember eine neutrale Baudokumentation vor Ort. Bis der mit seiner Arbeit fertig ist, dürfte es noch viel rumpeln und rauschen.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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