Wenn sich bei Theaterpremieren im sonst schweigsamen Zuschauerraum ein Grüppchen permanent kichernd über das Dargebotene amüsiert, weiß man: Das ist das Regieteam. Im Falle von „Für alle Ewigkeit“ ist es gar ein Performance-Kollektiv namens Imaginary Company und besteht aus Ossian Hain, Arthur Romanowski, Anja Schneidereit, Anne Mahlow und Anne Kapsner.
Umgang mit Geschichte und Geschichten
Die haben Spaß im Studio der Alten Feuerwache. Generell auch daran, anspruchsvolles politisches Theater für Kinder und Jugendliche zu realisieren. In Mannheim, wo Intendantin Ulrike Stöck den eingeschlagenen Weg fortsetzt, den Nachwuchs an real existierende zeitgenössische Theaterformen wie Trash, Doku, Impro und mutig Performatives heranzuführen, geht der gemeinsame (generell sinnvolle) Plan leider nicht auf. Man hat sich, auch das spannend wie sinnvoll, an das städtische Marchivum gewandt, wo es gilt, zu entdecken, zu klären, zu belegen, zu bewahren - und zu mahnen.
Ein Archiv und Ungeziefer
Historisches und dessen Dokumentation, ja das Archivwesen selbst, soll Jugendlichen ab 14 Jahren näher gebracht werden. Bis es auf Nationalsozialismus und später im großen Rundumschlag gleich auch auf Wiedervereinigung („Make Germany great again“), NSU und Reichsbürger kommt, würde das quirlige Gewese auch für Sechsjährige taugen. Wobei man dabei dennoch den unermüdlichen Einsatz des dreiköpfigen Ensembles loben muss: Katharina Breier, Sebastian Reich und Uwe Topmann geben in Sachen Spieleinsatz, Improvisation, Stimmungsmache und Kostümwechsel wirklich alles.
Die KZ-Außenstelle Sandhofen
Was es Teenagern dann zu Geschichtsbewusstsein, demokratischer Kontrollfunktion und Zeitzeugenbefragung zu sagen gilt, geschieht in Addition in rund 15 destillierten von 75 Minuten, bleibt also eine Stunde Zeit für lustigen Quatsch. Für viel Geschrei und Improvisation, Küchenpsychologie, Filme (im Marchivum und im Sandhöfer Gasthaus Adler), allerlei kuriose Einlagen, unangemessen „spacige“ Zeitreisen, kafkaeske Verwandlungen zu Dokumente fressenden Papierfischchen - und die Geschichte der Aufarbeitungsgeschichte der KZ-Gedenkstätte mit Dokumentationszentrum in der heutigen Gustav-Wiederkehr-Schule. Der heilige Ernst, der dann eintreten muss, wirkt wie ein pädagogischer Fremdkörper, sozusagen wie eine Blitzeinheit „Jetzt Obacht, bitte!“ .
„Für alle Ewigkeit“ gewinnt immer dann, wenn die Regie Schauspiel zulässt, das Protagonisten-Trio im normalen Gesprächston Gedanken über das eigene Geschichtsbewusstsein austauschen darf. Dann gelingt auch die Hinwendung zur selbstbewussten Geschichtsteilnahme - und eine Schleife zum zwar befremdlichen und überlangen, dann doch zumindest rückblickend plausiblen Anfang. Menschliches Leben selbst wird ja, so sagt man, vorwärts gelebt und rückwärts verstanden.
Wäre die Imaginary Company hier etwas weniger verliebt in die eigene Einbildungskraft und Humorbegabung gewesen, hätte daraus wesentlich mehr werden können. Am Schluss ist dann im Stück auch der erlebte Theaterbesuch selbst Geschichte. Endlich.
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