Es ist „ein Tag von herausragender Bedeutung für die Stadt und ich hoffe darüber hinaus“, sagt Oberbürgermeister Peter Kurz – aber wie nötig er ist, zeigt später eine Randbemerkung: Marchivum-Direktor Ulrich Nieß erwähnt, dass sich viele Geschäfte geweigert hätten, die Plakate für die jetzt eröffnete Ausstellung zur Zeit des Nationalsozialismus aufzuhängen. Sie zeigen den Wasserturm mit vielen grellroten Hakenkreuz-Fahnen.
Doch das sei eben „leider die Realität“ gewesen, „die wir abbilden müssen“, so Nieß. Dafür hätten sein Team und er „bewusst dieses ikonische Bild gewählt“, das dafür stehe, dass von den Nationalsozialisten „Mannheims Symbol erobert“ worden sei. „Geschichte ist nichts Abstraktes, sie spielt sich hier ab, sie spielt sich in meinem Umfeld ab – das soll die Botschaft dieser Ausstellung sein“, so Ulrich Nieß.
"Geschichtsdidaktisches Neuland"
Und für dieses Konzept gratuliert der Oberbürgermeister, stellvertretend für alle Premierengäste, den Machern sehr herzlich. Mit der Ausstellung werde nicht nur der vor acht Jahren mit einem einstimmigen Gemeinderatsbeschluss begonnene Prozess abgeschlossen, aus dem einstigen Stadtarchiv eine Institution mit umfassendem Bildungsauftrag zu machen.
In „enormen Überstunden“ und Nachtarbeit, wie Kurz anerkennend sagt, sei dem Kuratorenteam „mit großer Ambition“ eine Darstellung gelungen, „wie sie in dieser Konsequenz in keinem deutschen Stadtmuseum, in keiner Gedenkstätte zu finden ist“, würdigt der OB die digitale und interaktive Umsetzung des Themas. „Eine vollständig digitalisierte Ausstellung in dieser Form ist an keinem anderen Ort zu finden“, bekräftigt er. „Hier wird geschichtsdidaktisches Neuland betreten.“
Zeiten und Preise
- Eröffnung: Während des Eröffnungswochenendes am Samstag, 3. Dezember, und Sonntag, 4. Dezember, jeweils 10 bis 18 Uhr, ist die Ausstellung kostenfrei zugänglich.
- Öffnungszeiten: Nach der Eröffnung dann jeweils Dienstag, Donnerstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr und Mittwoch 10 bis 20 Uhr.
- Führung: Jeweils sonntags findet künftig um 16 Uhr eine öffentliche Führung durch die Ausstellung statt.
- Eintritt: Sieben Euro, ermäßigt 3,50 Euro, Schulklassen zahlen zwei Euro pro Person, Familien zehn Euro für zwei Erwachsene und Kinder. Es handelt sich um ein Kombiticket mit der Stadtgeschichtlichen Ausstellung im Erdgeschoss.
Peter Kurz erhofft sich davon „ein Zeichen über Mannheim hinaus“. Er wünsche sich, dass die Ausstellung im Marchivum „eine Debatte auslöst“, wie „durch einen veränderten Zugang“ Erinnerungsarbeit in Zukunft geleistet werden könne in einer Gesellschaft, in der es immer weniger Zeitzeugen und mehr Menschen mit Migrationshintergrund gebe, welche die Zeit des Nationalsozialismus nicht als Teil ihrer Geschichte ansehen. Dabei seien das Konzept und der Titel der Mannheimer Ausstellung „Was hat das mit mir zu tun?“ genau der richtige Ansatz. Schließlich gehe es darum, „welchen Schluss wir als Zivilgesellschaft aus diesem beispiellosen Zivilisationsbruch ziehen wollen“ – nämlich sich stets mit aller Konsequenz gegen jeden antidemokratischen Geist zu stellen.
Auftrag zum Handeln
Dazu solle die Ausstellung „ein Weckruf, ein Auftrag zum Handeln“ sein, so der kanadische Medienkünstler Stacey Spiegel. Auf ihn geht die digitale, interaktive und künstlerische Gestaltung der Ausstellung zurück. Sie sei, so sagt er selbst, „einzigartig“, aber genau richtig, um das komplexe Thema umzusetzen. Es sei ihm mit dem gesamten Ausstellungsteam darum gegangen, zu zeigen, „wie zerbrechlich Demokratie ist, wie leicht sie Risse bekommt und zerstört wird“. Und so, wie die Nationalsozialisten zur Beeinflussung der Massen konsequent die damals modernsten Medien, nämlich Radio und Film, genutzt hätten, so habe er eben nun die jetzt neuen technologischen Mittel genutzt.
„Total spannend und ziemlich gelungen“ findet das Steffen Jost von der Alfred-Landecker-Stiftung. Die von der Unternehmerfamilie Reimann (Ursprung Reckitt Benckiser) nach Erforschung der starken Verstrickung ihrer Vorfahren in das Hitler-Regime gegründete Stiftung ist neben der Heinrich-Vetter-Stiftung, der Baden-Württemberg-Stiftung und dem Freundeskreis Marchivum Hauptsponsor der Ausstellung. Als deren „ganz, ganz große Stärke“ bezeichnet es Jost, dass neben den Opfern auch die Täter und die Mitläufer thematisiert werden. Die „immense Herausforderung“, das „einigermaßen ausgewogen zu präsenteren“, habe das Marchivum bestanden, urteilt Angela Borgstedt, Geschäftsführerin der Forschungsstelle Widerstand gegen den Nationalsozialismus im Südwesten an der Universität Mannheim. Dabei habe sie überrascht, über wie viel Original-Bilder und Filme das Marchivum aus dieser Zeit verfüge. Das mache die Ausstellung „sehr, sehr attraktiv“.
Genau das, nämlich „ein hochmodernes Archiv, das alle Mannheimer gerne und oft besuchen“, sei immer seine Vision gewesen, sagt Nieß in seinem sehr persönlichen Schlusswort. Da dankt er Oberbürgermeister Kurz, dass er für diesen Kurs stets Rückhalt, ja Wertschätzung im Rathaus erfahren habe. Und Nieß kündigt an, sich ebenso wie der Oberbürgermeister im Sommer 2023, wenn er 63 Jahre alt wird, zurückziehen zu wollen. Das berührt viele Besucher dann ebenso wie die Musik von Thomas Siffling und Claus Boesser-Ferrari – nämlich Lieder aus dem Warschauer Ghetto.
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