Familienstück am NTM

So sieht in Mannheim "Don Quijotes" schöne neue Ritterwelt aus

Es ist der erste Abend der Saison, den die Oper des Nationaltheater in der laufenden Saison bietet - und er zeigt in Kooperation mit der Musikhochschule das vergnügliche Familienstück „Don Quijote und Sancho Panza“ im Musensaal

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Wenn Fantasie im Spiel ist, braucht man zum Reiten nur zwei Einkaufswägen: Sancho Panza (Ronja Donath) und Don Quijote (Konstantin Marsch). © Maximilian Borchardt

Also hier wird sogar der Musen- zum Rittersaal. Obwohl! Eigentlich ist Don Quijote ja gar kein Ritter. Seine Abenteuer sind von Musen kreierte Hirngespinste. Seine Heldentaten narzisstische Narrative. Und das Tragen seines Helms ist ein Vorbote all der Aluhut-Träger, deren Pseudo-Wissenschaft sich darauf versteift, zu glauben, was wissenschaftlich längst widerlegt ist. Aber von vorn.

Mit dem Familienstück „Don Quijote und Sancho Panza“ landet das Nationaltheater in Kooperation mit der Musikhochschule Mannheim einen wirklich über weite Strecken vergnüglichen Erfolg. Der bei der Premiere anwesende und derzeit wohl jüngste Feuilletonist der Republik, Alexander (Namen von der Redaktion geändert), beurteilte den Abend in etwa so: „Es war gut. Das meiste war toll. Mir war nicht langweilig. Zum Besten gehörte die Szene mit den Wespen, aber ein bisschen kürzer wäre gut gewesen.“ In immerhin runden und pausenlosen 90 Minuten erzählen Miguel de Cervantes, Oliver Riedmüller (Vermittlung), Polina Sandler (Dramaturgie) und Maren Schäfer (Regie) einen der größten Klassiker der Weltliteratur als musikalisches Familienstück ab 8 Jahren - da muss etwas geboten sein.

Ein bisschen Salsa muss sein

Bunt geht es daher zu, musikalisch fassbar mit vielen bekannten Melodien und, wie es sich für gute Kinder- und Jugendkunst gehört, mit generationsübergreifender Tiefe, sprich: an der Oberfläche hohe Verständlichkeit und einer Botschaft auch für die Eltern und Erwachsenen. Sie lautet: Es gibt nicht nur Ritter, sondern auch nicht binäre Ritter*innen und Ritterinnen (was entweder falsch ist oder für das Prädikat „richtiges Gendern“ schlicht noch zu beweisen wäre), und unsere Welt ist voller Müll und Schrecken, lasst uns also eine neue und bessere Welt bauen (was leider richtig ist).

Don Quijote als Familienstück am NTM

Der Don Quijote: Der Ritterroman „El ingenioso hidalgo Don Quixote de la Mancha“ („Der sinnreiche Junker Don Quijote von der Mancha“) von Miguel de Cervantes ist eines der einflussreichsten und bekanntesten Bücher der Weltliteratur. Es handelt von einem obsessiven Leser von Ritterromanen, der irgendwann nicht mehr zwischen Dichtung und Wahrheit unterscheiden kann und denkt, er selbst sei ein Ritter, der allerlei Abenteuer erlebt, auf denen er meist verprügelt wird.

Die Produktion: Die Version im Mannheimer Musensaal in Kooperation mit der Musikhochschule Mannheim ist eine sogenannte Stückentwicklung von Oliver Riedmüller, Polina Sandler und Maren Schäfer und will „mit abwechslungsreicher Kammermusik für verschiedene Ensembles sowie der fantasievollen Bildsprache der Videodesignerin Judith Selenko“ ein musikalisches Familienstück und den „Ritter von der traurigen Gestalt“ in neuem Licht zeigen.

Die Termine: 18. Dezember (15 Uhr), 19. Dezember (11 Uhr) sowie 12. (11 Uhr), 13. (11 Uhr) und 14. Januar (16 Uhr).

Restkarten: 0621/1680 150.

Diese neue Welt mit kitschverdächtigem Regenbogen wird im Musensaal gleich zweimal gebaut. Don Quijote wird dabei auch mal vom Spanier zum Lateinamerikaner gemacht, denn nicht nur am Ende erklingt mit der teutonisierten Version des Volksliedklassikers „Un poquito Cantas“ eine durch afrokubanische Rhythmik - von Mambo über Cha-Cha-Cha bis hin zu Rumba - und kindliche Texten wie „Le Lo La“ Südamerikanisches, bei dem die Kinder (und ihre Begleitung) im Musensaal zum Mitwirken eingeladen sind - und dieser Einladung auch folgen.

Unmittelbar wirksam

Auch sonst schwebt ein Hauch bunte Salsa über dem Abend, der sich auf der Bühne zauberhaft um einen großen Zauberwürfel auf der rechten Bühnenseite dreht, während ein Nonett aus Bläsern und Schlagwerk unter der Leitung von Matteo Pirola links dezent allerlei Heterogenes zu Gehör bringt. Der Rubik’s Cube, wie der Zauberwürfel im englischen Original heißt, scheint das Zentrum von Don Quijotes Fantasie zu sein, denn er hat das Ding im Taschenformat um den Hals und spielt immer wieder an den Farbflächen herum. Auf dem Zauberwürfel erscheinen dann per Projektion (Judith Selenko) nicht nur die Chimären all der Monster und Feinde, die letztlich nur in Don Quijotes Hirn existieren, weil er ja nur Ritterromane liest und sich - ähnlich wie Bastian in „Die unendliche Geschichte - in diese andere Welt hineinträumt, in der er zum Helden wird. Dort erscheint auch jene schöne neue Welt, die sich vor allem die Kinder einer Art letzten Generation von Umweltzerstörern erträumen.

Die Rollen sind verkehrt. Es ist Don Quijotes Knappe Sancho Panza sowie zwölf auf der Bühne agierende, tanzende und singende Kinder (Chor: Anke-Christine Kober), die letztlich genau das versuchen, was normalerweise Eltern mit Kindern machen: sie zur Realität zu zwingen.

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Ein alles in allem guter Abend, der trotz der für Kinder einschüchternden Übergröße des Saals, der recht großen Abstände zwischen den jungen Gästen und der Bühne sowie der Länge der Vorstellung den Sog einer so unterhaltsamen wie anspruchsvollen Show entwickelt. Positiv ist auch, dass „Don Quijote und Sancho Panza“ unmittelbar wirkt und nicht - wie immer wieder mal bei Kindertheater - verkopft und abstrakt. Alexander jedenfalls, unser junger Spezialist, meint, er habe alles kapiert. Also wenn das keine Auszeichnung für ein Familienstück ist! Der Ritter …, äh, Musensaal tobt.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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