Mannheim. Schöne Welt, wo bist du?“, fragen die am 22. Juni beginnenden Internationalen Schillertage am Nationaltheater Mannheim sehr offen. Am Kooperationsort Eintanzhaus ist man sogar so offen, die Antwort auf Steuerkosten künstlerisch in einer Art Bordell für Frauen zu suchen. Ein Kritiker ist auch als Mann nur ein Mensch, darf aber nicht rein, und sieht ausreichend Grund zur Klage...
Frau Peters, wir treffen uns heute im Eintanzhaus, beinahe hätten wir uns vor Gericht getroffen ...
Sibylle Peters: Ja, das habe ich gehört. Da ist doch besser, wir reden.
Hier richten Sie sich mit Ihrer Produktion „Queens. Der Heteraclub“ ausschließlich an „Frauen, die Männer begehren“. Männer, egal welcher sexuellen Orientierung, dürfen nicht rein. Stehen Sie auf dem Boden des Grundgesetzes?
Peters: Ja, sicher. Ich bin ja sonst auch viel in der Kulturellen Bildung unterwegs und da ist das etwas relativ Normales.
Sibylle Peters
- Privatdozentin Sibylle Peters ist Performancekünstlerin und promovierte Kulturwissenschaftlerin, künstlerische Leiterin des Fundus Theaters/Forschungstheaters in Hamburg und Mitgründerin des Graduiertenkollegs Performing Citizenship.
- Wichtig sind ihr in Selbstaussage die Themen: „Theorie und Praxis der Versammlung, partizipative Forschungsprozesse, soziale Intimität, der Vortrag als Performance, Performancekunst für Kinder und die feministische Seefahrt“.
- „Queens. Der Heteraclub“ feierte 2020 auf St. Pauli Premiere, war zum Impulse Festival 2022 eingeladen und wird als Koproduktion des Nationaltheaters und des Eintanzhaus für die Schillertage neu eingerichtet. Termine: 22. bis 25. Juni je 15, 17, 19 und 21 Uhr im Eintanzhaus (G 4), Restkarten unter 0621/16 80 150.
Die Internationalen Schillertage sind ein von Bund, Land und Stadt aus öffentlichen Mitteln finanziertes Festival, verstehen Sie, dass man und Mann da verärgert ist?
Peters: Na ja, in Hamburg wie auch hier in Mannheim gibt es Mädchentreffs, da dürfen keine Jungs rein, oder auch Projekte wie hier vor Ort „Girls go Movie“, die sind öffentlich gefördert. Wir sind bei Weitem nicht das einzige von öffentlichen Mitteln getragene Projekt dieser Art, das sich an bestimmte Gruppen richtet.
„Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ So heißt es in Artikel 3, Absatz 2. Und im darauffolgenden: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, (...) benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Das tun Sie aber.
Peters: (lacht)
Sie schließen mich gleich zweifach aus, wegen meines Geschlechts und meiner sexuellen Orientierung. Sie verstoßen auch gegen Artikel 12 Grundgesetz, da sie mich als Theaterkritiker sowohl in meiner Berufsausübung als auch in der in Artikel 5 garantierten Berichterstattungsfreiheit beschränken, gar ausschließen. Ist Ihnen das bewusst?
Peters: Dass das für Sie professionell ein Problem ist, kann ich nachvollziehen, aber ich denke, dass es in der gesellschaftlichen Praxis etabliert ist, dass es immer auch Schutzräume gibt. Sie könnten ja auch nicht über den Frauensaunaabend im Städtischen Hallenbad berichten, da würde man Sie auch nicht reinlassen. Im Übrigen bin auch ich immer sehr kritisch, was den Umgang mit öffentlichen Geldern angeht, insofern bin ich da auch sehr offen, genau anzuschauen, was damit passiert.
Wie kamen Sie dann auf die Idee mit „Queens. Der Heteraclub“?
Peters: Immer, wenn ich nach meiner sexuellen Orientierung gefragt werde, sage ich heterosexuell, tatsächlich ist meine Heterosexualität aber anders als die der Männer, die auch heterosexuell sind. In meiner Studienzeit wurde ich dann in feministischen Frauengruppen scherzhaft als „Hetera“ beschimpft, weil wir die safe spaces der sonst eher lesbischen Belegschaft dieser Gruppen gestört haben, weil wir unsere Freunde mitbrachten. Die Idee, künstlerisch an einem Schutzraum für heterosexuelle Frauen zu arbeiten, hat sich von da an entwickelt.
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Glauben Sie ernsthaft, dass Frauen in Zeiten von Tinder, offenen Beziehungen, „Freundschaft+“-Modellen, Single- und Sexportalen noch Schützinnenhilfe durch das Theater brauchen?
Peters: Das glaube ich in der Tat. Die Angebote, die sie eben nannten, schaffen keine horizontale Spielfläche. Uns wird suggeriert, dass wir uns auf einem egalitären Spielfeld bewegen, aber das tun wir eben nicht, weil Frauen da sehr viel mehr Gefahren ausgeliefert sind, in der Nutzung dieser „Märkte“: Übergriffigkeit, Gewalt und Vergewaltigung. Es gibt aber auch weichere Faktoren wie Agism (Altersdiskriminierung, d. Red.), dass Frauen ab 40 als nicht mehr attraktiv wahrgenommen werden, Männer aber schon. „Männer altern wie Wein, Frauen wie Milch“, solche „Weisheiten“ eben. Auch das Selbstbewusstsein, mit der eigenen Sexualität umzugehen, ist wesentlich niedriger.
Inwiefern?
Peters: Wir nennen das im Club „Orgasmen und Phantasmen“, denn das Nichtwissen über weibliche Sexualität und Begehren ist immer noch erstaunlich hoch. Erst 1998 wurde die Klitoris in ihrer tatsächlichen Form erstmals medizinisch abgebildet. Vorher hat man das für einen Knopf gehalten. Immer noch glauben erschreckend viele Menschen daran, dass es einen klitoralen und einen vaginalen Orgasmus gibt – und dass sich Frauen ihr ganzes Leben anstrengen müssen, einen durch Penetration hervorgerufen Orgasmus zu erreichen. Insofern gibt es genug Grund, unter Frauen zu sprechen.
„Auf dem schmalen Grat zwischen Kunst, Sex- und Sorgearbeit erleben die Besucherinnen eine neue Art der Nähe...“, heißt es in der Ankündigung. Eine Kollegin, die ich für den Termin gewinnen wollte, schrieb mir in ihrer Absage Folgendes: „einen öffentlichen Theater-Diskurs über die Lust der ,älteren’ Frau zu führen und das auch noch in Verbindung mit ,Care-Arbeit’ zu setzen finde ich anmaßend und diskriminierend.“ Was sagen Sie?
Peters: Wir müssen ja nicht allen gefallen. Außerdem haben wir uns nicht spezifisch auf „ältere“ Frauen bezogen. Ich kann aber gut verstehen, dass die Frage, ob man in diesen Club geht, sich anders stellt, als wenn ich mir ein Ticket für „Iphigenie“ kaufe oder nicht.
Da bin ich froh ...
Peters: Natürlich macht man da eine intensivere Erfahrung, öffnet sich vielleicht auch mehr, wobei die Besucherin im Club natürlich frei entscheiden kann, wie weit sie sich einlassen möchte. Man kann diese 100 Minuten erleben, ohne eine direkte Berührung. Bisher ist noch kein Platz unbesetzt geblieben. Unser Prinzip heißt: Alle haben das Recht, sexy zu sein. Das aktuelle Schönheitsregime, dem wir unterworfen sind, ist grausam. Wir fühlen uns eigentlich alle nicht besonders schön.
Das gilt aber auch für Männer ...
Peters: Klar, das gilt für alle. Wir wollen deshalb im Club eine Atmosphäre schaffen, wo man nicht das Gefühl hat, die ganze Zeit be- oder auch verurteilt zu werden. Bei uns stellt sich das Gefühl „Ich bin sexy“ eher ein als vielleicht in der Disco, beim Tindern oder auch im Swingerclub.
In sieben Separées bieten sie intime One-on-One-Performances an, in denen jeweils ein Performer und eine Besucherin einander begegnen. Per Ankündigung geht es um „die Wünsche der Frauen, um ihre Lust und ihre persönliche Definition von Intimität“.
Peters: Ja, so haben wir es beschrieben, was war die Frage?
In der „taz“ war zu lesen, dass es schon auch um Anfassen und Zungenküsse geht und ein Schild mit der Aufschrift „keine Penetration!“ zu sehen ist. In Mannheim steht in der Ankündigung „Es geht aber nicht um Sex.“ Um was geht es dann, bitte?
Peters: Was Sex ist und was nicht, ist ja eine Frage der Wahrnehmung. Insofern ist der Satz in der Tat fragwürdig. Richtig ist, im Club gibt es keine Penetration, was erst auch mal dem Schutz der Performer dient. Erektionen lassen sich bekanntlich nicht kontrollieren – und sollen nicht Gegenstand von Arbeit sein, meine ich. Außerdem gibt es ganz wenig Besucherinnen, die in diesen 100 Spielminuten so viel Vertrauen fassen würden, dass sie Sex in penetrativer Form würden haben wollen. Insofern dient das Plakat also eher der Beruhigung.
Was läuft da sonst so ab?
Peters: Es gibt ganz unterschiedliche Formen der Nähe in diesen One-on-Ones, aber auch als Gruppe im Salon, einige haben mehr mit Nähe und Berührung zu tun, andere sind hauptsächlich ein Gespräch. Zentrales Ziel unserer Projektentwicklung und Probenarbeit ist es, die Situation so herzustellen, dass die Besucherinnen nie nein sagen müssen, aber immer ja sagen können. Weil ich sonst immer Angst hätte, dass Besucherinnen mitperformen, weil sie denken, das gehört sich jetzt so.
Sind die Performer professionelle Sexarbeiter?
Peters: Tatsächlich gibt es nur einen Performer, der auch professionell als Tantra-Masseur gearbeitet hat, aber allerdings auch Künstler ist. Ansonsten haben wir auch einen Fernsehschauspieler, der aber auch Masseur ist, dann einen Performer aus London, der solche Eins-zu-eins-Formate schon vor dem Heteraclub gemacht und uns inspiriert hat. Sie haben alle unterschiedliche Profile, aber nicht mehrheitlich Sexwork-Erfahrung.
Ich habe gehört, einige der Performer seien schwul. Was macht das mit der Wahrhaftigkeitserfahrung der Theaterbesucherinnen? Was sagt das wiederum über den Ausschluss nicht-heterosexueller Frauen – und Männer?
Peters: Wir schließen ja nicht nicht-heterosexuelle Frauen speziell aus. Die sexuelle Orientierung der Performer ist ja erstmal Privatsache und ist nicht entscheidend, da es ja um das Begehren der Besucher*innen geht. Das Team möchte deshalb eigentlich auch gerne mehr nonbinäre, queere Menschen einladen.
Warum tun Sie es nicht?
Peters: Wir haben das Gefühl, dass der Schutzraum, den unserer Kernbesucherinnen suchen und brauchen, dies noch nicht so gut aushält. Wir arbeiten an einem nächsten Projekt, in dem das vielleicht anders sein wird. Tatsache ist, dass alle. die bei uns an der Kasse erscheinen und sich als weiblich identifizieren. auch reinkommen. Wir haben bisher keine Diskussion der Art „Ich lese dich aber als Mann“ geführt. Natürlich dient es aber dem safe space nicht, wenn jetzt lauter Hetero-Männer sich mal eben einen Rock anziehen und den Heteraclub sprengen. Das dient der Sache nicht.
Aber es bleibt doch eine Theatersituation – und so auch Fake. Wie viel Entspannung und Erotik kann da aufkommen? Und wenn doch, was machen sie, wenn es gut funktioniert und die Paare Hände und Zungen nicht mehr voneinanderbekommen?
Peters: Zungenküsse gibt es bei uns sowieso nur durch Klarsichtfolie. Ich lebe ja auf St. Pauli, das komplett auf hetero-männliche Begierde abgestimmt ist. Wir wollen mit dieser lokalen Kunst-Situtation, wie ich es nennen würde, den Versuch starten, ein klein wenig Equality in die Sache zu bringen. Das Projekt hat sich aber vom Rotlichtviertel wegentwickelt, weil Berührung generell das große Thema wurde. Ist es nicht seltsam, dass wir denken: „Wenn es mit Berührung zu tun hat, kann es keine Kunst sein, sondern irgendetwas anderes“ ...
Ein Puffbesuch zum Beispiel!
Peters: Ach, kommen Sie, Sie als Kunstkritiker müssen sich doch schon fragen, warum das Theater keine Ästhetik der Berührung hat, obwohl es die Mittel dazu hätte? Warum gibt es so wenig Performances, bei denen Hautkontakt stattfindet?
Weil sich vielleicht nicht jeder von fremden Menschen anfassen lassen möchte?
Peters: Oder eben umgekehrt. Die Hamburger Premiere war unmittelbar vor dem Corona-Lockdown. Da wurde auf einmal wesentlich mehr Menschen bewusst, was es heißt, unter Berührungsentzug zu leiden. Alle haben dann mal recherchiert, was das Hormon Oxytocin ist, das man durch Körperkontakt bekommt und was passiert, wenn man es nicht bekommt. Verknappt ausgedrückt: Menschen, die keine Berührung bekommen, haben erheblich höhere Gesundheitsrisiken. Gegen diese Berührungsungerechtigkeit mit Kunst etwas zu tun, halte ich für angebracht. Und finde ehrlich gesagt, dass da öffentliche Gelder gut eingesetzt sind.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar „Queens. Der Heteraclub“ - ein Schuss über das Ziel hinaus