Nationaltheater

Der „Ring“ als Wille und Vorstellung - oder: Das Nationaltheater brennt!

Der letzte Vorhang ist gefallen: Mit dem großen Publikumserfolg "Götterdämmerung" schmiedet das Nationaltheater Mannheim Richard Wagners Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ fertig. Jetzt beginnt die Sanierungsphase

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Stefan M. Dettlinger
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Ein Fall für Feministinnen: Siegfried (Stoughton) vergewaltigt („zähmt“) Brünnhilde (Lindstrom) in Gestalt Gunthers. © Kleiner

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Am Ende wird hier das Heiligtum Nationaltheater abgefackelt. Nicht in echt natürlich. Aber der Coup sitzt. Zu den lodernden Schlussklängen der „Götterdämmerung“ und der zumindest in Gedanken mit ihrem Ross Grane ins Feuer schreitenden Brünnhilde lässt die Regisseurin ein riesig auf den Bühnenvorhang projiziertes Polaroid verbrennen. Es zeigt das Auditorium, das unter der Hitze des Feuers ächzt und schmilzt, sich verbiegt und zusammenzieht - ein geistreicher Einfall, um zwei Realitäten zu verbinden: 1. Wagner wollte für seinen „Ring“ ursprünglich ein provisorisches Festspielhaus am Rhein bauen und im Finale - als Zeichen des Endes einer alten Ordnung und Hoffnung auf eine neue - tatsächlich abbrennen. 2. Es ist erst mal Schluss mit dem Haus am Goetheplatz, das vielleicht der eine oder andere auch lieber abbrennen, na ja, abreißen würde statt in eine Sanierung zu schlittern, die in diesen Zeiten mehr Unwägbarkeiten birgt als Sicherheiten.

Das ist - oder war - nun also der neue Mannheimer „Ring“. Ein Gewaltakt, der in 20 Tagen auf die Bühne geworfen wurde. Und so schnell wird man ihn auch nicht wieder sehen. Nach seiner Gastreise nach Südkorea im Herbst pausiert er erst mal und soll laut NTM in der Saison 23/24 neu einstudiert werden. Ein weiteres Mega-Unterfangen, dann in der Oper am Luisenpark, kurz: Opal.

Nornen als akademisches Prekariat

Nach den fast 16 Stunden, die uns Yona Kim und Alexander Soddy mit „Das Rheingold“, „Die Walküre“, „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ nun präsentiert haben, muss man sagen: Die Sache hat insgesamt überwiegend funktioniert. Überraschend. Kims Ansatz, das Orchester quasi als erzählendes Moment zu zeigen, war zwar nichts weiter als ein nice try, der auf der Bühne eher hilflos und teils gar ungewollt komisch oder improvisiert wirkte. Unter dem Strich aber hat das den Nebeneffekt gehabt, dass die Konzentration auf das in uns forciert wurde, was viele als konservativ apostrophierte Opernfans mit dem ominösen Begriff „Werktreue“ belegen. Wir hatten nicht viel mehr als die Musik, das Wort, ein bisschen Spiel und eine projizierte Bilderflut, die versucht hat, Regiemacht zu werden, ohne es zu können.

Mitunter wirkt das dann bei der Personenführung wie angedeutet, halbszenisch und halbkonzertant, es kommt als Doku-Theater daher, wenn Benjamin Lüdke mit der Kamera auf der Bühne herumschleicht und Nahaufnahmen in groß sendet, es ist White-Wall-, Video- und Sci-Fi-Oper zugleich, und manchmal wirkt Kims Arbeit auch malerisch und man gewinnt den Eindruck, sie nutze Bilder, Farben und Stile jeglicher Art dann, wenn sie den Eindruck hat, dass hier und dort noch ein Farbtupfer fehle. Oder eben Bewegung.

Gleich anfangs erleben wir die drei Nornen als heutiges akademisches Prekariat. Umgeben von Wagners geistiger Nahrung, herumliegende und an die Wand projizierte Bücher von Feuerbach, Hegel, Bakunin, Marx, Schopenhauer und Nietzsche, debattieren sie über das, was war, und das, was wird. Sie sind überqualifizierte arme Typen, die ihr Geld mit Zeitung-Austragen verdienen. Es ist die vielleicht konkreteste Parallele in unsere Zeit und ihre sozialen Probleme, und wenn man Kims „Ring“ insgesamt einen Grundvorwurf machen will, dann, dass sie seine Kapitalismuskritik, die Sozialthematik und ökologische Komponente nicht zu interessieren scheinen. Ihre Sicht ist kulissen-, klischee- und konventionsentrümpelt. Sie wirkt aber teils auch geistig entkernt und lässt Wagners Hirnschmalz unkommentiert.

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Kims Verehrung der Musik freilich ist stark zu spüren. Wer würde die Partitur fast voll und ganz dem Orchester anvertrauen, wenn er nicht - nach Schopenhauer - der Meinung wäre, dass „die Wirkung der Musik so sehr viel mächtiger und eindringlicher“ ist, als die der anderen Künste, „denn diese reden nur vom Schatten, sie aber vom Wesen“. Nicht umsonst dürfte eine Passage aus Schopenhauers „Die Welt als Wille und Vorstellung“ im Programm abgedruckt sein. Kim setzt Wagners Werk als Abbild des Willens selbst, ist sich dann aber nicht treu, weil sie opulenten Video-Schlachten nicht widerstehen kann. So werden wir Videozeugen, wie der greise Alberich für ein letztes Gespräch den beschwerlichen Weg zu Sohn Hagen humpelt, wie der ob chronischer Traurigkeit flennt oder Brünnhilde in totaler Desillusion der Welt abhandenkommt. Ansatzweise verortet Kim die Gibichungen in der Bismarck-Zeit, Falk Bauers Kostüme, besonders von Waffenmann Hagen, deuten schon in die Stalin-Mussolini-Hitler-Zeit. Trotzdem hängt alles zeitlich und geografisch in der Luft.

Musikalisch steht der Abend etwas hinter den anderen zurück. Dem Orchester unter Soddy gelingt zwar wieder eine über weite Strecken homogene Klangentfaltung. Unkonzentriertheiten vor allem bei den Blechbläsern, ein immer wieder wackelnder Siegfried-Hornruf und eine vor allem in der Nornenszene zu satte Begleitung schmälern aber die Leistungen wie zuletzt bei „Siegfried“, der internationales Niveau hatte.

Vibrato als Gestaltungsmittel

Insgesamt aber war dieser „Ring“ weit mehr als gut, und Soddy ist es bei aller Kontrolle gelungen, auch die ekstatischen und physisch erfahrbaren Eruptionen der Partitur kultiviert aus dem Orchester (und dem Herrenchor von Dani Juris) heraus zu stemmen. Sängerisch überzeugen hier einige voll und ganz. Patrick Zielke etwa als Hagen ist ein Beispiel dafür, dass selbst Wagnergesang das Vibrato als Gestaltungsmittel und nicht als Sättigungsbeilage einsetzen kann. Sein Konversationston ist prägnant und mit scharfer Diktion, sein Ton - nach anfänglichen Schwächen - stets in der Mitte sitzend und, etwa bei den „Waffen“-Rufen, naturmächtig. Joachim Goltz’ Alberich und Astrid Kesslers Gutrune gehören auch in diese Kategorie. Goltz hat einen brillanten, beweglichen Charakterton, Kessler einen trotz viel Dezibel weichen Schmelz. Auch Jonathan Stoughtons Siegfried geht in Ordnung, klingt in der Mittellage schön warm, fast lyrisch, leicht angestrengt und zu vibratoreich in den Höhen sowie überfordert in den Waldvogel-Imitaten der seiner Rückschau kurz vor dem Tod. Lise Lindstrom als Brünnhilde serviert zwar alle Töne auch in der Extremhöhe sicher, legt aber mehr als zuletzt ein Dauervibrato und Timbreschärfen an den Tag, es ist, als sitze ihre Stimme nicht tief genug im Körper und werde nur im Hals produziert. Zu großes Vibrato macht auch Thomas Berau als Gunther, schade deshalb, weil er wirklich gesundes, brillantes und exzellentes Stimmmaterial hat. Dafür begeistert Marie-Belle Sandis als Waltraute sowie die Nornen Julia Faylenbogen, Jelena Kordic und Astrid Kessler und die Rheintöchter Mirella Hagen, Rebecca Blanz und Maria Polanska.

Die Menschen im ausverkauften Haus sind da begeistert. Opernintendant Albrecht Puhlmann kommt nach zehn Minuten Jubel, Beifall und einigen leisen Buhs fürs Regieteam auf die Bühne und verabschiedet Soddy als Generalmusikdirektor. Soddys Ende - ein Triumph. Yona Kims Wille aber war zwar deutlich zu spüren. Immerhin. Doch er bleibt in weiten Teilen eine Vorstellung, so dass uns ihre Version als „Der Ring als Wille und Vorstellung“ gelten könnte.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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