Was für ein verkorkster Schluss: Zu Wotans Abschied mit dem folgenden Feuerzauber samt normalerweise sechs lodernden Harfen, dann, wenn die Flammen aus dem Orchestergraben herausbrechen, wenn mit züngelnden Violinen, blitzenden Piccolo-Attacken und brennenden Rohrblatt-Funken ein schimärisches Flackern in unseren Köpfen entsteht, dann lässt diese Regisseurin von ein paar Androiden in bürokratischem Beige-Weiß Blechblasinstrumente auf die Bretter tragen. Wie bitte?
Ja, wir haben verstanden: Brünnhilde ist keine Walküre mehr. Sie hat Wotans Zorn auf sich gezogen, indem sie Sieglinde mit dem im Bauch keimenden Siegfried gerettet hat. Doch der Gott ist (ausnahmsweise mal) konsequent: Zur Strafe werden Hörner, Tuben und Trompeten im Kreis um den Walkürefelsen gelegt, jene Instrumente, die maßgeblich im berühmten Nazi-Hit-Ritt die Walküren zum Reiten bringen. Und da das nun wirklich kein Bild für Götter ist (und fürs Publikum schon gar nicht), geht der Vorhang schnell runter, brennt das Feuer schnell seinem E-Dur-Ende entgegen und wollen ein paar Wagner-Zyniker schon vorzeitig enttäuscht klatschen.
Trocken-Sex weicht dem Vorhang
Ein bisschen war das ja schon zu befürchten. Auch bei Yona Kim heißt es: Eine Erzählweise ist eine Erzählweise ist eine Erzählweise. Sie bleibt sich treu. Auch im zweiten Teil von Wagners kolossaler Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ will sie das Orchester im Nationaltheater Mannheim die fast 16-stündige Geschichte erzählen lassen. Doch auch in „Die Walküre“ wirkt das mitunter steif, gewollt und ja, hilflos, wenn irgendwelche Leute mit irgendwelchen Instrumenten auf die Bühne schlappen und sie dort irgendwo ablegen.
Die Frage lautet: Ist diese schwarz-blau-weiß schimmernde „Walküre“ am Nationaltheater Mannheim so ein gefeierter musikalischer Erfolg dank Kims unter dem Strich unmotivierter Regie – oder trotz? Denn schöne Bilder kreiert sie mit Anna-Sofia Kirsch (Bühne) schon, und die Erzählvermeidung lässt natürlich dem Ensemble und dem in Hochform aufspielenden Orchester unter GMD Alexander Soddy alle Freiheiten. Kim verweigert sich sämtlichen Lesarten. Wo das Auge maximale Bewegung erwartet, etwa beim Walkürenritt, zeigt sie maximale Statik im Nazifechterinnenlook, wo gekämpft wird und geliebt, wird gestanden und geguckt.
So gerät das Liebesduett von Sieglinde und Siegmund, wenn die Winterstürme dem Lenz weichen, zur suprematistischen Schwarze-Quadrate-Lichtshow. In den Momenten ihrer sexuellen Zuneigung (und Zeugung Siegfrieds) überlappen sich die beiden Lichtvierecke. Was für ein (Achtung: Scherz) orgiastischer Moment. Immerhin hilft Max Beckmanns projiziertes Gemälde kopulierender „Geschwister“ samt Schwert als Erkennungszeichen, Brautgabe, Liebespfand und Begattungsorgan ein wenig nach. Zum Glück muss man sich den Trocken-Sex nicht länger anschauen. Vorher lässt Kim (wieder mal) den Vorrang runter.
Sie zeigt zwar Symbole; Hunding hat einen Strick, mit dem er Siegmund stranguliert; er tritt auf ein Stück Englischhorn, Instrument des Liebestriumph-Motivs. Doch ein interpretatorischer Ansatz, sozial, politisch, ethisch oder ökonomisch, ist nicht zu spüren. Was will sie? Kim bebildert. Dabei rückt man den Figuren auch auf die Pelle, ist ihnen nah und gerät bisweilen auch in den Zustand psychologischer Identifikation. Klar. Das könnte der entscheidende Punkt sein, auch wenn er nicht konsequent durchgehalten wird. Doch Kim changiert etwas unvermittelt zwischen Abstraktion und tradiertem Agieren.
Gute Nachrichten
Dazu passt die Videoliveübertragung von Details des Bühnengeschehens, das mitunter als Designmittel wirkt, mit dem man vor allem den Mangel an Aktion kaschieren will. Das sieht oft prächtig (und „Brechtig“) aus. Vermittelt sich am Ende aber nicht in voller Konsequenz. Dafür, man kann es nicht anders sagen, erleben wir am Goetheplatz ein musikalisches Wunder schier unbegrenzter Möglichkeiten. Allein das Orchester. Streicher, scheinen bisweilen mühelos zu fliegen, fahren aber, wie im Vorspiel, bissige Zähne aus, wunderschön gleißendes Holz, gut integriertes Blech, und das alles in einer unfassbar kontrollierten Intensität. Wagner fließt, drängt, brennt und leuchtet, doch in einer Millisekunde kann alles auch ganz anders sein. Grandios, wie Soddy zwischen Fortissimo und sängerfreundlichem Piano wechselt.
Und auch hier gibt es nur gute Nachrichten. Die acht Walküren (Estelle Kruger, Frédérique Friess, Rebecca Blanz, Marie-Belle Sandis, Linsey Coppens, Julia Faylenbogen, Jelena Kordic) treten stimmlich kompakt und mit tollen Echoeffekten auf. Jonathan Stoughton trifft als Siegmund die Mitte aus heldischem Metall und lyrischer Frühlingsfärbung, positiv ist auch, dass er die Stimme stets gut führt und Töne nie stemmt (mit Ausnahme vielleicht das a’ bei „Wälsungen Blut“ am Ende von Aufzug I). Ihm zur Seite hat Viktorija Kaminskaite ein makelloses Sieglinde-Debüt. Ihre Stimme ist kompakt, frei und schimmert um einen gesunden Kern wie ein fein geschliffener Diamant. Jelena Kordic überzeugt wieder als Fricka voll und ganz, und wie sie am Ende des Disputs mit Wotan selbstgefällig ihre siegreiche Zigarette wegwirft, ist ein, Pardon, Bild für Göttinnen. Über Patrick Zielkes Hunding ließe sich viel Gutes sagen, belassen wir’s dabei: prächtig mächtig. Der Mann ist einfach gut, ob als Fafner, Hunding oder – später wohl noch – Hagen. Brünnhildes Einstieg mit dem „Hojotoho“ und den auffahrenden Spitzen hoch zum h und c versetzt Lise Lindstrom schließlich perfekten Sitz, im Verlauf lässt sie in dieser schweren Partie nur im Piano ein paar unrunde Momente erkennen. Wotan Renatus Mészár überzeugt am meisten mit seinen immer wieder gerade herausgesungenen Tönen, die groß und unerbittlich klingen. Er charakterisiert ungewöhnlich viel – eine neue Wotansfarbe ist das. Unter dem Strich sieht man es im Publikum so: musikalisch exzellent, die Regie so lala. Es gibt sogar einige Buhs im Schlussapplaus.
„Der Ring des Nibelungen“ am Nationaltheater
Das Werk: Die Uraufführung von „Die Walküre“ fand 1870 in München statt, die erste zyklische Aufführung von „Der Ring des Nibelungen“ erst 1876 in Bayreuth.
Die Handlung: Am ersten Tag des Bühnenfestspiels „Der Ring des Nibelungen“, das mit dem Vorabend „Das Rheingold“ beginnt, scheitert Gott Wotan erneut mit einem Plan: Mit einer Menschenfrau zeugte er Siegmund in der Absicht, dieser könne ihm den Ring zurückerobern, den der Drache Fafner in der Neidhöhle hütet. Dass im Hintergrund der Handlung Sippenkriege stattfinden und das Nibelungen-Heer sich wappnet, um gegen Fafner (und die Götter) in den Krieg zu ziehen, erklärt, weshalb Siegmund wehrlos im Hause seines Feindes Hunding landet. Dort trifft er (1.) auf seinen Mörder, (2.) auf seine Zwillingsschwester, mit der er Siegfried zeugt, und (3.) auf Notung, jenes Schwert, mit dem Siegfried später Fafner töten und ihm Ring und Tarnhelm abnehmen wird. Wotans Frau überzeugt den Gatten, dass Sieglindes Ehebruch mit Siegmunds Tod bestraft werden muss. Brünnhilde, die Walküre, möchte zuerst Siegmund retten (was nicht gelingt), dann rettet sie die schwangere Sieglinde und wird von Wotan hart bestraft.
Der „Ring“ am NTM: „Das Rheingold“ (vorbei), „Die Walküre“ (vorbei), „Siegfried“ (22.7., 17 Uhr), „Götterdämmerung“ (30.7., 17 Uhr). Im Herbst gastiert die Produktion mit mehr als 200 Beteiligten in Südkorea. Danach verschwindet sie erst einmal. Wann sie während der NTM-Sanierung in der Oper am Luisenpark gezeigt wird, ist offen.
Info/Karten: 0621/1680 150.
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