Mannheim. Dass das Konzept eines Dialekt-Rock-Gipfels funktioniert, sieht man auf den ersten Blick: Trotz tollen Wetters herrscht am Freitag um 18 Uhr fast schon Vollversammlung der am Ende rund 3000 Besucher, die zum Auftakt des 7. Zeltfestivals Rhein-Neckar gekommen sind. Damit haben der Wahl-Mannheimer Gringo Mayer und seine Kegelband mit ihrem kurpfälzischen Indie-Rock ein echtes Heimspiel (unser Kurz-Interview vorab). Die Chance, die diese 40 Minuten bieten, nutzt das Quintett, neuerdings mit Trompeter Stephan Udri als zweitem Bläser, eindrucksvoll.
Mit "Ahjoo" zu Gast bei Ina Müller
Die schon eingefleischten Fans feiern textfest die „bösen“ Songs „Ruh do driwwe“ und „Viel zu arg“. Die Neugierigen lassen sich von den Gassenhauern „Gibt’s do net“, „Ahjoo“ (am 20. Juli zu hören in der ARD-Senndung „Inas Nacht“) oder „Äni rache“ schnell zum Mitsingen und -grooven animieren. Letzteres ist gerade als Single erschienen, ein Vorbote des für 1. September geplanten zweiten Gringo-Mayer-Albums „Ihr liewe Leit“. „Wir sind brutal stolz, dass ihr gekommen seid für uns Vollidioten“, sagt der sichtlich beeindruckte Hauptdarsteller. Das Publikum ist es auch, weil Mayers authentische Sprache und Musik offensichtlich eine identitätsstiftende Saite zum Klingen bringen - man könnte es auch Heimatgefühl nennen. Die Zugaberufe sind lautstark, aber vergeblich. Der Zeitplan ist straff. Eine ausführlichere Besprechung des Konzerts finden Sie hier.
Heimspiel auch für Österreicher
Schon um 19 Uhr betritt mit Seiler & Speer der kommerziell erfolgreichste Act des Abends die Bühne. Nach so einem Abräumerauftritt eines aufstrebenden Lokal-Heroen zu spielen, ist normalerweise kein Vergnügen. Aber der Komiker und Schauspieler Christopher Seiler, Filmemacher Bernhard Speer und ihre 2014 gegründete Band sind zu routiniert für Selbstzweifel.
Und haben so viele ihrer eigenen Fans zum Maimarktgelände gelockt, dass auch sie ein Heimspiel haben. Ihre Bühnenshow ist groß dimensioniert, man merkt, dass sie in Österreich auch mal fünfstellige Besucherzahlen haben. Seiler beherrscht berufsbedingt aber auch lockere Sprüche und scherzt über die zeitliche Platzierung vor Headliner LaBrassBanda und ihrem Blasmusik-Rock: „Wir sind eine aufstrebende junge Band aus Österreich. Deshalb dürfen wir hier nur supporten.“
Von "Willkommen bei Andreas Gabalier" bis Rage Against The Machine
Auch Seiler & Speer sind mit doppeltem Gebläse angetreten, so dass das vom Zeltfestival gewählte Motto „Babbeln, Blech & Bier“ passt. Mit Schlagzeug, Percussion und drei Gitarren haben sie viele stilistische Möglichkeiten. Die nutzen sie vom Beginn mit ihrem Klassiker „Soits lebn“, relativ schlichtem Radio-Austropop, bis zur Rage-Against-The Machine-Einlage und fast Falco-verdächtigen Dancehall-Anflügen bei „Servas Baba“. Zu Liedern wie „I wü ned“ könnte man fast „Willkommen bei Andreas Gabalier“ sagen. Aber es funktioniert die kompletten 75 Minuten lang - bei allerdings sehr mäßiger Textverständlichkeit (was nicht am Dialekt liegt).
Funktionieren - das ist LaBrassBanda nicht genug. Die stets barfuß und in Lederhosen auftretenden Blasmusik-Springteufel aus dem Chiemgau setzen von Beginn an die Segel Richtung Ekstase. Gut, man weiß, dass hier überwiegend sogar klassisch ausgebildete Konservatoriumsbesucher am Start sind. Aber die schiere Präzision und Intensität, die angesichts von fünf Bläsern, Gitarrist und Rhythmusgruppe unglaubliche Transparenz und Differenziertheit des Live-Sounds verblüffen trotzdem.
Diese Mixtur aus Blasmusik, Jazz, Techno, Latin und Rock beeindruckt nicht nur das Gehirn. Sie fährt sofort in die Beine und verwandelt das Palastzelt in einen ekstatisch tanzenden Hexenkessel. Dabei findet Frontmann Stefan Dettl noch lobende Worte für Gringo Mayer, obwohl er scherzhaft mit der Spielzeit hadert: „Wir haben 40 Lieder und nur 80 Minuten.“ Die reichen für einen phänomenalen Festivalauftakt.
Gitarrist spielte für Nigel Kennedy den Jimi Hendrix
Der Schlussauftritt ist in vielerlei Hinsicht besonders: Erstmal, weil der im bundesrepublikanischen Kulturauftrag weit gereiste Dettl das Publikum um „Brasilianischen Applaus“ bittet - explosiv, aber kurz. Damit sie mehr Lieder spielen können. Zum zweiten verblüfft der Variantenreichtum der Musik - jedes Lied ist stilistisch anders, alle bringen die Menge in Wallung.
Dass ein Trompeten-Solo oder rhythmische Tuba-Kunst in Mannheim derartig begeistert aufgenommen werden, verblüfft aber auch den routinierten Frontmann. Noch getoppt werden alle Soli von Gitarrist Julian Buschberger, einer Entdeckung von Star-Geiger Nigel Kennedy für sein Jimi-Hendrix-Programm, der LaBrassBanda bei den Biergartenkonzerten in der Pandemie zugelaufen ist. Er ordnet sich meist in den Bandkontext ein, zeigt aber bei seiner Eigenkomposition „Kaffee vs. Bier“ eindrücklich, warum er sogar schon mit Led Zeppelins Ex-Frontmann Robert Plant spielen durfte.
Trotz enormer Intensität und Partyqualität findet der abseits der Bühne sehr gemütliche Chefanimateur immer wieder ausführlich gute Worte für alle Beteiligten am Zeltfestival - und vergisst auch die immer noch darbenden Teile des Kulturbetriebs nicht. Es gibt sogar Achtsamkeitsübungen fürs Publikum („fasst euch selbst mal an“), für die ausführlichen Yoga-Übungen wie zum Album „Yoga Symphony No. 1“ (hier unser Interview dazu) ist keine Zeit. Insgesamt ist es sehr erfreulich, dass pure Musikalität, Spielfreude und positive Energie so viele Menschen noch zum Ausrasten bringen kann - obwohl ja nicht alle wegen LaBrassBanda gekommen sind. Zum Schluss wird sogar ein „Prosit der Gemütlichkeit“ donnernd mitgesungen, ohne dass es auch nur ansatzweise peinlich wäre.
Positive Bilanz von Veranstalter Timo Kumpf
Entsprechend positiv fällt die Gesamtbilanz von Zeltfestival-Veranstalter Timo Kumpf aus: „Das erste Wochenende war ein voller Erfolg! Organisatorisch lief alles super und die Stimmung war durchweg friedlich und euphorisch.“ Auch das zweite DasDing-Festival im Rahmen des Zeltfestivals am Samstag sei wie schon die Premiere 2022 mit 5000 Besucherinnen und Besuchern auf den letzten Metern noch ausverkauft gewesen. „Gerade in einer Zeit, in der es viele Festivalabsagen aufgrund schwacher Vorverkäufe und Kostensteigerungen gibt, ist dies ein riesiger Erfolg und darauf sind wir wirklich sehr stolz.“
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