Mannheim. Herr Kumpf, die Preissteigerungen schlagen sich auch bei den Eintrittspreisen des Maifeld Derbys nieder. Das Publikum scheint es zu akzeptieren, anders als zuletzt bei Rock am Ring gibt es keinen Besucherrückgang, oder?
Timo Kumpf: Wir mussten hier Preissteigerungen unsere Dienstleister, Gagen sowie ausbleibende Sponsoren kompensieren. Mit 30 Prozent höheren Ticketpreisen sind die zwar noch nicht ganz abgefangen, aber wir bekommen dieses Jahr noch Neustart-Kultur-Förderungen und können so die Lücke schließen. Das Publikum hat dies ohne Murren akzeptiert. Der Vorverkauf verläuft soweit absolut zufriedenstellend.
Ist die Programmgestaltung wieder einfacher geworden? Sie sind ja sehr wählerisch, wie zufrieden sind Sie mit dem Derby 2023?
Kumpf: Das Booking war dieses Jahr sogar besonders nervenaufreibend. Ich hab den Anspruch, ein exklusives, internationales und innovatives Programm zu gestalten. Ein Anspruch, der in Deutschland nicht leicht umsetzbar ist. Das Motto „Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht“ haben die hiesigen Rundfunkanstalten seit Jahrzehnten so sehr verinnerlicht, dass immer nur dieselbe Songauswahl gespielt wird. Das Beste von heute, gestern und vorgestern. Nix von morgen. In anderen Ländern ist das innovativer, so dass die meisten für mich interessanten, neuen Künstlerinnen und Künstler dort bereits deutlich höher im Kurs stehen. Daher kommt es auch, dass eine Band wie Death Grips eigentlich, wenn überhaupt, nur noch in Berlin spielt. Das ist die Realität und dieser Trend wird immer stärker.
Timo Kumpf, Maifeld Derby und Zeltfestival Rhein-Neckar
- Zur Person: Timo Kumpf wurde 1981 in Weinheim geboren und studierte Musikbusiness an der Popakademie. 2011 begründete er das Indie-Pop-Festival Maifeld Derby. Als Chef von Delta Konzerte veranstaltete der Ex-Bassist von Get Well Soon vor der Pandemie an die 100 Shows pro Jahr in der Region.
- Maifeld Derby: 16. Juni, 16.45 bis 3 Uhr: mit Bat For Lashes, Death Grips, Overmono, Surf Curse, Sevdaliza, Los Bitchos, Say She She, Nand, Zulu u.a., Tageskarte zum Preis von 75 Euro. 17. Juni, 15 bis 3 Uhr: Phoenix, Warpaint, Sinkane, Viagra Boys, Girls Go Movie (85 Euro). 18. Juni, 13 bis 22 Uhr: Interpol, Tamino, Glass Beams (80 Euro).
- Das Drei-Tages-Ticket kostet 160 Euro. Karten, Zeitplan und mehr unter maifeld-derby.de
- Zeltfestival: 9. Juni, 18 Uhr: LaBrassBanda (ab 20.45 Uhr), Seiler & Speer (19 bis 20.15 Uhr) und Gringo Mayer (18 bis 18.40 Uhr). Abendkasse (AK): 55 Euro. 10. Juni, 15.30 Uhr: DasDing Festival u.a. mit Elif und Edwin Rosen). AK: 65 Euro. 13. Juni, 19 Uhr: Royal Blood (mit The Intersphere). AK: 50 Euro. Juni, 19.30 Uhr: Johannes Oerding. (P. Dittberner), AK: 65 Euro. 23. Juni: OG Keemo & Friends, 17 Uhr. AK: 45 Euro. 25. Juni, 19 Uhr: Jan Delay (mit Nora). AK: 55 Euro.
- Karten: zeltfestivalrheinneckar.de
Und wie fällt Ihr Urteil nun aus?
Kumpf: Es hat sich gelohnt! Ich bin super zufrieden mit dem Line-Up. Es warten wieder Überraschungen an jedem Tag und auf jeder Bühne. Ich will ja auch, dass es beim Maifeld Derby um das Entdecken und Überrascht-werden geht. Sonst ist das Leben doch trist und langweilig.
Was sind Ihre Topempfehlungen für das Derby 2023?
Kumpf: Ich kann in diesem Jahr niemanden herausheben. Von Fulu Miziki aus den Kongo bis hin zu den Grammy-Gewinnern Phoenix aus Frankreich sind das alles absolute Überzeugungs-Bookings. Ich werde selbst viel rennen müssen, um alle zu sehen. Die musikalische und auch gesellschaftliche Bandbreite ist dieses Jahr besonders hoch. Auch das Verhältnis weiblicher Künstlerinnen zu männlichen Künstlern ist ausgewogen.
Sie sind einer der wenigen Mannheimer Kulturakteure, die nicht mit der Bundesgartenschau (Buga) zusammenarbeiten. Wie kommt’s?
Kumpf: Das liegt vor allem daran, dass ich mit den bestehenden Projekten mehr als ausgelastet bin. Wir haben ja sogar im Pandemie-Sommer 2021 mit 2000 Besucherinnen und Besuchern unser zehntes Jubiläum als eine der landesweit größten Veranstaltungen durchgezogen. Das hat viel Kraft gekostet und tut es immer noch. Als Delta Konzerte habe ich der Buga früh meine Dienste angeboten. Kontakte und Marktkenntnisse sparen bei Gagen und Produktion viel Geld. Das ist ja mein tägliches Geschäft. Aber ich weiß nicht mal, ob ich mit diesem Vorschlag an der richtigen Stelle war. Für mich wäre ein solches Involvement naheliegender, als nur die Marke Maifeld Derby dort zu präsentieren. Mein Ansatz wäre eher gewesen, die Buga aufs Maifeld zu holen. Falls das hier jemand liest: Ein paar Blumen würden das Maifeld noch schöner machen! Und vielleicht auch ein paar unserer nationalen und internationalen Besucherinnen und Besucher zu Euch rüber bringen! Prinzipiell finde ich die Einbindung der lokalen Akteurinnen und Akteure gut, aber insgesamt wird mir da zuviel Wirbel drum gemacht und das lenkt die Aufmerksamkeit davon weg, dass zum Beispiel so wichtige Bühnen wie das Jugendkulturzentrum Forum dringend Support benötigen. Das sind die Orte, die eine Stadt braucht, wenn sie Musikstadt sein will.
Auch als Tournee-Station gerät Mannheim immer mehr ins Hintertreffen. Oder wie sehen Sie das?
Kumpf: Momentan machen immer weniger Tourneen halt in Mannheim. Die SAP-Arena-Größe vielleicht mal ausgeklammert. Die Basis ist das Problem, nicht die Speerspitze. Und solange das so ist, finde ich jede so prominente Demonstration der Musikstadt auf städtische Initiative und Kosten schlichtweg unverhältnismäßig. Hier wird in meinen Augen die Kür vor der Pflicht gemacht.
Parkplatztechnisch sollen Sie sich mit der Buga an einer Stelle ins Gehege kommen, wie man hört…
Kumpf: Es gab Abstimmungsprobleme, da die Buga eine Fläche angemietet hat, die wir seit 2011 als Festivaleingang nutzen und ohne die es nicht geht. Das Problem wurde erst kürzlich erkannt und war natürlich erstmal ein Riesenschock. Aber gemeinsam mit den Buga-Verantwortlichen und dem Geländebetreiber haben wir hier eine gute Lösung gefunden. Hier waren alle sehr kooperativ. Natürlich bringt so ein Großereignis Herausforderungen und auch Einschränkungen mit sich. Hotelpreise und -verfügbarkeiten sind nur ein Beispiel. Aber sowas muss man akzeptieren. Ich freue mich immer, wenn Mannheim Aufmerksamkeit als moderne und lebendige Stadt bekommt.
Sie haben mit dem Derby bereits 2012 einen Preis als „grünes“ Festival gewonnen, als noch nicht jeder über Nachhaltigkeit oder diverse Programmgestaltung gesprochen hat. Wie lassen sich die Ansprüche unter den heutigen Bedingungen umsetzen?
Kumpf: Naja, wir setzen immer noch vieles davon um. Aber zum Teil sind wir nicht auf dem aktuellen Stand. Es fehlt die Kapazität, um so etwas weiter zu verfolgen und auch zu kommunizieren. Wir hatten jetzt vier Jahre lang mit finanziellen, persönlichen und Pandemie-bedingten Krisen zu kämpfen. In der Zeit kamen noch Diversität, Awareness und viele andere Aspekte dazu, die von einem Festival erwartet werden. Das sind sehr aufgewühlte Zeiten und die meisten Punkte entsprechen auch unserer persönlichen Überzeugung. Aber es ist einfacher, von draußen mit dem Finger draufzuzeigen oder einen unreflektierten Hasskommentar abzugeben, als dieser vermeintlichen Verantwortung auch nachkommen zu können. Dieses Jahr haben wir wohl das diverseste Programm Deutschlands in unserer Größe und Ausrichtung. Und für 2024 ist es für mich eine absolute Priorität auch wieder in Sachen Nachhaltigkeit Vorreiterin zu sein.
Es gab ja in der Maifeld-Ära mit Peter Kurz immer einen sehr kulturaffinen Oberbürgermeister. Ist Ihnen bange vor dem Ausgang der Wahl?
Kumpf: Ich hatte mit Peter Kurz immer einen Ansprechpartner für Probleme und es war natürlich eine tolle Sache, einen OB zu haben, der sich mit dem Programm des Maifeld Derby identifizieren kann und auch die Einzigartigkeit und Strahlkraft der Veranstaltung erkennt. Peter Kurz war immer erreichbar und hat sich Zeit für mich und das Maifeld Derby genommen. Aber die so dringend benötigte institutionelle Förderung habe ich auch unter ihm nicht erreicht. Meine Förderungen wurden bisher von SPD- und Grünen-Fraktionen eingebracht. Insofern hängt das ja nicht nur an diesem Posten. Ich denke außerdem, dass wir allen Anspruchsgruppen Argumente liefern können, die für eine Unterstützung des Maifeld Derbys sprechen. Egal ob Image oder Wirtschaftsfaktor im Fokus stehen.
Sie verknüpfen die Zukunft Ihres nichtkommerziell ausgerichteten Festivals mit städtischer Förderung. Gibt es Signale, wie das bei angespannter Haushaltslage weitergeht?
Kumpf: Ohne Förderung würde es unter anderem keine Alte Feuerwache, kein Enjoy Jazz, kein Nationaltheater, keine Schillertage und auch keine Buga geben. Und ohne Förderung kann es auch kein Maifeld Derby mehr geben. Wir gehören ja auch inhaltlich genau in diese Reihe. In den früheren Jahren habe ich kommerzielle Veranstaltungen durchgeführt, um das Maifeld Derby finanziell zu unterstützen. Nun sind wir gemeinnützig mit über 200 freiwilligen Helfern. Es gibt keine Gewinnerzielungsabsichten, aber das Projekt muss sich selbst tragen können, und es müssen drei bis vier Menschen davon leben können.
Also gibt es 2024 auf jeden Fall ein Derby, danach ist es unklar?
Kumpf: Ich sitze hier gerade beim Aufbau und will eigentlich nicht an 2024 denken. Aber die Anfragen und Angebote häufen sich. Alles wird immer früher. Wenn ich nicht im Juli den Termin festlege und mit der Akquise anfange, werde ich weder Bands noch Sponsoren noch Material bekommen. Das beschreibt genau den Teufelskreis, aus dem ich 2019 mit der selbst auferlegten Pause raus wollte: Ich habe dann noch keinerlei Zusicherungen, da der Haushalt erst im Dezember beschlossen wird. Aber dann muss von meiner Seite schon alles entschieden und kalkuliert sein. Das ist eine unglaubliche Belastung, der ich mich ein letztes Mal aussetzen werde. Ich erachte eine Umsetzung 2024 als unumgänglich.
Heidelberg hat theoretisch Platz für ein Festival am Stadtrand, an Ihrem Zweitwohnsitz Berlin gäbe es auch ein Maifeld... können Sie sich vorstellen, umzuziehen?
Kumpf: Ich kann mir nicht mehr vorstellen, diesen finanziellen Druck weiter in meinem Leben zu halten. Insofern ist das meine Priorität und das ist mein einziger Ausschluss. Das Maifeld Derby gehört zu Mannheim und auch umgekehrt. Ich will in Mannheim bleiben, aber dazu benötige ich die Sicherheit einer institutionellen Förderung. Dasselbe gilt für Optionen an anderen möglichen Standorten Es ist leider bezeichnend, dass mir das Jahr 2020, also das ohne Festival, sehr viel Ruhe und Stabilität gebracht hat. Ohne Festival lebt es sich normaler und beständiger. Das ist mittlerweile aber alles wieder vorbei. Aber es hat mir gezeigt, dass es auch ohne Derby geht.
Was würde Mannheim an Umwegrentabilität verlieren?
Kumpf: Wir haben 2016 in Kooperation mit dem Stadtmarketing und einer renommierten Agentur aus dem Sportbereich eine Million Euro Umwegrentabilität errechnet. Durch Preissteigerungen, mehr Publikumsresonanz und vor allem die zusätzlichen Zeltfestival Rhein-Neckar Konzerte mit bis zu 30 000 Besucherinnen und Besuchern dürfte sich dieser Betrag vervielfacht haben. Dies versuchen wir dieses Jahr wieder zu aktualisieren. Außerdem hab ich alleine im Jahr 2022 noch 12 000 Besucherinnen und Besucher allein in die Alte Feuerwache gebracht. Die ganzjährige Bereicherung der Mannheimer Konzertlandschaft durch das Maifeld Derby wird sehr oft unterschätzt.
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