Mannheim. Das Wort „Tapetenwechsel“ steht auf den hölzernen Kugelschreibern, die das Theater bei der Pressekonferenz verteilt, und zumindest einer ist sich sicher, dass dieser - doch zu 100 Prozent positiv konnotierte - Tapetenwechsel nur gut sein kann. Es ist Kulturbürgermeister Michael Grötsch. Er nämlich meint, man verkläre ja immer so manches aus der Vergangenheit. Er aber glaube: „Es wird jetzt alles besser und schöner.“ Ein beneidenswerter Optimismus.
Denn dass dies gleich zu Anfang der ersten Spielzeit während der jahrelangen Sanierungsphase kaum gelingen dürfte, sagt sogleich Opernchef Albrecht Puhlmann. Er gibt bekannt, dass die groß angekündigte Ausweichspielstätte Oper am Luisenpark, kurz: die OPAL, nicht, wie erwartet, noch im Dezember eröffnet werden kann, sondern „aufgrund der globalen Entwicklung und den damit verbundenen Lieferengpässen und Materialmangel“ erst im Frühjahr 2023. Ein Schlag ins Kontor. Trotzdem aber will Grötsch, dass „die Nachteile der Sanierung durch die Möglichkeiten der neuen Spielstätten kompensiert werden“. Aber wie? Der neue Geschäftsführer des NTM, Tilmann Pröllochs, sagt zwar: „Seien Sie mit uns mutig. Ich lade alle ein, die Kennenlernabos zu buchen, sie sind ideal zu verschenken. Aber zumindest im Musiktheater gibt es in diesem Jahr fast nichts mehr.
Familienstück im Rosengarten
Klickt man im Spielplan auf Oper, erhält man im September zwei Kammerabende, im Oktober zwei Akademiekonzerte und vier „Ring“-Abende (allerdings in Südkorea - Ticketlage und -preise unbekannt), im November gibt es nichts als zweimal den dann 30 Jahre alten „Ring an einem Abend“ im Rosengarten und im Dezember vier Konzerte und den Familienabend „Don Quichotte und Sancho Panza“ mit Schauspielenden, Kinderchor und Kammerorchester.
„Irgendwann wird das Ding da draußen stehen“, meint Puhlmann und blickt gern auf ferne Gewissheiten wie „Meyerbeers „Hugenotten“ (22.1.23, Pfalzbau), „Le nozze di Figaro“ (26.2., Rokokotheater) oder die Grétry-Oper „Zemira e Azor“ (26.5., Rokokotheater) in Koproduktion mit den Schwetzinger Festspielen. Wer indes schon jetzt dasteht, ist Roberto Rizzi-Brignoli. Vor aller Augen unterzeichnet er seinen Vertrag als neuer Generalmusikdirektor ab 2023/24 und liest vor: Sein Deutsch sei nicht gut. Er sei aber sehr glücklich und dankbar, hier zu sein. „Ich spüre die große Verantwortung, die mir übertragen wird. Ich will das Theater auf dem hohen Niveau halten.“
Im Gegensatz zu Puhlmann hat es Tanzintendant Stephan Thoss da leichter und sagt: „Der Fleißige wird belohnt.“ Damit spielt er darauf an, dass er in Käfertal seit Jahren das Tanzhaus aufgebaut hat, mit Voraussicht. Folglich läuft es für die Sparte quasi nach Plan, doch wird es bis Weihnachten insgesamt auch nur 15 Abende geben: die Choreografische Werkstatt (21.10., Tanzhaus), das Stück „Krieg - Schrei“ (5.11., Schildkrötfabrik) und das weihnachtliche „Nüsseknacker“ (9.12., Tanzhaus).
Planmäßiges Junges Theater
Dass für das in der Alten Feuerwache beheimatete Junge Nationaltheater im Grunde alles bleibt, wie es war, sieht Intendantin Stöck freilich als Glücksfall. Folglich kann sie auch ihren Premierenreigen planmäßig abfackeln. Mit Franz Kafkas „Die Verschollene“ (1.10.), der Serien-Fortsetzung von „Join"
Auch Schauspielintendant Christian Holtzhauer bringt zum Ausdruck, dass man sich Theatermacher grundsätzlich „als positiv denkende Menschen“ vorstellen könne. So sei die jetzt beginnende Saison seine fünfte, doch bereits die vierte im Ausnahmezustand. „Das scheint sich zu etablieren“, so Holtzhauer, „ich bin gespannt, was uns noch überrascht“. Mit Preisen und Einladungen überhäuft startet das Sprechtheater mit „Rückenwind“. Gleich am Mittwoch beginnt die Saison auf der Probenbühne in Käfertal mit Goldonis „Diener zweier Herren“ (21.9.), danach folgen Büchners „Woyzeck“ (20.10., Werkhaus), die Stadtensemble-Produktion „Vier Jahreszeiten - 1. Teil: Herbst“, 29.10. Franklin Field Platz) sowie „Eine neue Inszenierung“ (12/22), die noch nicht definiert ist.
Zum einen feiert man im November 50 Jahre Werkhaus, zum andern harrt man der Fertigstellung des Kinos Franklin, das am 10. Februar mit Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ eröffnet werden soll. Das sei zugesichert worden (wie vor kurzem auch die Eröffnung der OPAL). „Wir spielen in einem alten Kino und setzen dort große Stoffe. Wir hoffen, dass es uns gelingt, zu einer Art Begegnungsort für den Stadtteil zu werden“, sagt Holtzhauer, „wir werden immer wieder künstlerische Fangarme aussenden“. Nach Brecht kommt dann Ibsen mit „Volksfeindin“ (4.3.). Auf der BUGA findet der „Garten der Demokratie“ statt, und die Schillertage rufen ab 22. Juni 2023 das fast verzweifelt klingende Schiller-Motto „Schöne Welt, wo bist du?“ aus.
Nicht nur Theatermacher, auch das Publikum muss man sich in den kommenden Jahren wohl als grundsätzlich positiv denkende Menschen vorstellen. Beiden aber hilft nur eins: machen und hingehen, trotz allem.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Darum ist der Opernspielplan am NTM arg dünn ausgefallen