So war das komplett Smartphone-freie Konzert in Frankfurt (aktualisiert)

Wie Bob Dylan im kleinen Kreis große Klasse zeigt

Die 83-jährige Songwriter-Legende glänzt beim ersten von drei Konzerten in der Frankfurter Jahrhunderthalle, wie man es selten erlebt hat – auf eine Art, die beeindruckend „Rough And Rowdy“ ist

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Jörg-Peter Klotz
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Da sich Bob Dylan von Presse-Fotografen und Smartphones im Publikum irritiert fühlt, können sich Fans Bilder ihrer Ikone nur vom Merchandising-Stand mitnehmen. © Klotz

Mannheim. „Ich habe die Zukunft des Rock 'n' Roll gesehen.“ Diesen vor 50 Jahren auf Bruce Springsteen gemünzten Satz könnte man auch über das Konzert von Bob Dylan am Mittwoch in Frankfurt schreiben. Wenn man die zeitlose Variante des Genres meint, stimmt es – auch wenn diese Legende inzwischen 83 Jahre alt ist und Rockmusik ein, zwei Mal revolutioniert hat.

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 Man weiß ja vorher nie, was bei einem Dylan-Konzert passieren wird. Wenn dann das Erwartbare geschieht, ist es eine Überraschung. Tatsächlich gestaltet der wahrscheinlich größte Songwriter aller Zeiten seine erste von drei Shows in der altehrwürdigen, ausverkauften Jahrhunderthalle genauso wie bei den acht vorhergehenden Konzerten dieser Europa-Tournee - mit nahezu unverändertem Programm.

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1969 erlebte Joy Fleming in der Jahrhunderthalle eine Sternstunde

Schon das ist für ihn höchst ungewöhnlich - sogar in Frankfurt-Höchst, wo die Mannheimerin Joy Fleming 1969 im Vorprogramm von Janis Joplin eine der Sternstunden ihrer Karriere erlebt hat und in der Rock `n` Roll seit 1963 erwachsen  wurde als Live-Kunstform. Mit Konzerten von Muddy Waters, Ray Charles, Aretha Franklin, den Beach Boys, Jimi Hendrix, Frank Zappa, Johnny Cash oder den Doors. „His Bobness“ tritt hier erst seit dem Jahr 2000 auf, inzwischen zum fünften (bis siebten) Mal.

Neun der 17 Songs stammen vom jüngsten Studioalbum “Rough And Rowdy Ways”

Noch erstaunlicher: Der konzertdramaturgisch lange völlig unberechenbare Literaturnobelpreisträger spielt 2024 auf seiner Europa-Tour stets neun der zehn Lieder seines exzellenten letzten Albums “Rough And Rowdy Ways” (2020) - wie ein Newcomer mit Promotion-Druck. Damit sind die vier Jahre alten neuen Songs tatsächlich in der Überzahl - wann hat man das zuletzt bei einem Rockstar mit einem derartigen Katalog an Klassikern erlebt? Man stelle sich das mal bei den Rolling Stones, Deep Purple, AC/DC oder Springsteen vor. Seit Jahrzehnten sind vier neue Stücke meist das Höchste der Gefühle in den Setlists von Dylans „Never Ending Tour“.

Setzt sein gefeiertes Alterswerk fort: Bob Dylan. © Vince Bucci/AP/dpa

Tatsächlich eröffnetet der einstige Folk-Überflieger die Show überpünktlich, fast ungeduldig um 19.58 Uhr - aber mit zwei 57 und 60 Jahre alten Song-Ikonen: “All Along The Watchtower” eröffnet den Abend unter großem Jubel als treibender Akustikrocker. Obwohl Jimi Hendrix‘ Version noch größer wurde, ist es das am häufigsten gespielte Lied in Dylans schier unendlichem Live-Katalog. Mehr als 2200 Mal hat der als Robert Allen Zimmerman geborene Amerikaner es auf der Bühne gespielt, obwohl er es erst seit 1978 berücksichtigt. Es folgt mit dem lange instrumental eingeleiteten „It Ain’t Me, Babe“ noch ein Vertreter der meistgespielten TopTen (fast 1100 Mal). Es sind mit Abstand auch die berühmtesten Stücke des fast zweistündigen Abends – und musikalisch die einzigen, bei denen man die oft Dylan-typischen Abstriche machen muss.

Der fauchende Sprechgesang passt perfekt zu den luftigen, locker groovenden Arrangements

Er beginnt mit dem Rücken zum Publikum am Keyboard, tastet sich teilweise etwas erratisch ins Konzert, dreht sich aber schnell um und wechselt auf den kleinen Flügel. Aber: Seine mitunter als schwierig empfundene Stimme hat von Anfang an eine beeindruckende Präsenz. Der fauchende Sprechgesang passt perfekt zu den luftigen, locker groovenden Arrangements zwischen Rock `n` Roll und Blues. Das klingt im besten Sinne „rough and rowdy“ (rau und rüpelhaft), manchmal aber auch ganz zart. Speziell am Flügel wirkt Dylans Spiel mitunter fast jazzig – erstaunlich.

Das Programm, die Band und weitere Termine

  1. All Along The Watchtower (1967)
  2. It Ain't Me, Babe (1964)
  3. I Contain Multitudes (2020)
  4. False Prophet  (2020)
  5. When I Paint My Masterpiece  (1971)
  6. Black Rider (2020)
  7. My Own Version Of You (2020)
  8. To Be Alone With You  (1969)
  9. Crossing The Rubicon  (2020)
  10. Desolation Row (1965)
  11. Key West (Philosopher Pirate) (2020)
  12. It's All Over Now, Baby Blue  (1965)
  13. I've Made Up My Mind To Give Myself to You  (2020)
  14. Watching The River Flow  (2020)
  15. Mother Of Muses  (2020)
  16. Goodbye Jimmy Reed  (2020)
  17. Every Grain Of Sand  (1981)

Bandbesetzung:

Bob Dylan (Gesang, Piano, Harmonika)

Tony Garnier (Bass)

Bob Britt (Gitarre)

Doug Lancio (Gitarre)

Jim Keltner (Schlagzeug)

Weitere Termine:

Jahrhunderthalle Frankfurt (17./18. Oktober),

Porsche Arena Stuttgart (21. Oktober),

Saarlandhalle Saarbrücken (22. Oktober), Mitsubishi Electric Halle Düsseldorf (27. Oktober).

Die Tour endet am 14. November in London.

 

www.eventim.de (98,10 Euro bis 210,75 Euro plus Gebühren)

Den Vergleich mit seinem 50 Jahre jüngeren ich auf „The 1974 Live Recordings“ muss Dylan nicht scheuen

Vor dem Konzert konnte man sich fragen, ob Dylan gut beraten war, auf Tournee eine Live-CD-Box mit 27 (!) Live-Mitschnitten aus dem Jahr 1974 zu veröffentlichen. Aber er macht schon beim dritten Song „I Contain Multitudes“ klar, dass er den Vergleich mit seinem 50 Jahre jüngeren Ich nicht scheuen muss. Fast im Gegenteil: Er wirkt heute eleganter, kontrollierter, feinfühliger – und wesentlich genießerischer auf der Bühne.

Bandleader Tony Garnier und Drummer Jim Keltner bilden die perfekte Rhythmusgruppe

Sein Band-Quartett gibt ihm Raum und Fundament, um mit jedem Lied mehr zu glänzen. Bob Britt (John Fogerty) und Doug Lancio (John Hiatt) stellen ihre oft zweistimmig gespielten Gitarren komplett in den Dienst der Songs. Das altgediente Bass-Uhrwerk Tony Garnier (69) und der zurückgekehrte Travelling-Wilburys-Drummer Jim Keltner (82), ein Großmeister des guten Geschmacks und der wohldosierten Energie, sind die ideale Rhythmusgruppe für diesen kleinen Rahmen.

Geschichsträchtig: In der Frankfurter Jahrhunderthalle gab es schon zahllose Konzert-Highlights. Unter anderem erlebte hier die Mannheimerin Joy Fleming am 12. April 1969 im Vorprogramm der legendären Janis Joplin eine Sternstunde ihrer Karriere. © Klotz

Seit den 1990er Jahren hat Dylan zunehmend in größeren Locations gespielt, zweimal auch in der Mannheimer SAP Arena. In der bestuhlten Jahrhunderthalle finden nur knapp über 2000 Menschen Platz. Das ist eine perfekte Wahl, auch wenn er an nur einem Abend auch locker 6000 Fans in die Festhalle gezogen hätte. Denn diese intime Atmosphäre tut ihm gut. Und die meisten Fans sind regelrecht ergriffen von der Nähe zu diesem Weltkulturerbe. Fast nach jedem Lied gibt es Standing Ovations. Erst vereinzelt, dann immer raumgreifender. Einziger Nachteil: Die zuletzt immer zahlreicher vertretenen jüngeren Leute sind angesichts von dreistelligen Kartenpreisen rarer als zuletzt.

Wie vor jedem Dylan-Konzert findet sich ein fahrender Sänger, der mit Liedern des großen Songwriters die Fans einstimmt. © Klotz

Das konzert ist eine absolut Smartphone-freie Zone

Der Konzentration des Publikums ist eine bislang ziemlich ungewöhnliche Maßnahme zusätzlich zuträglich: Auf Wunsch des Künstlers sind die Konzerte seiner Tournee absolut Smartphone-freie Zone. Davon reden viele auf der Bühne, bei Dylan wird es auf fast schon skurrile Art  und Weise in die Tat umgesetzt. Wer keine verschließbare Tasche vorweisen kann, in der er das störende Objekt deponieren kann, bekommt eine Art Beutel. Der wird beim Einlass versiegelt - was in etwa den Charme von Diebstahlsicherungen im Elektromarkt hat. Gut beraten, wer auf dem Nachhauseweg nicht vergisst, die Konstruktion wieder entriegeln zu lassen. Auch gut, dass das Gros der Besucherinnen und Besucher nicht mehr in dem Alter sind, in dem man auf Alarmanrufe der Babysitterin achten muss. Dieses digitale Zwangs-Detoxing tut aber auch gut.

Immer wieder lehnt er sich wie ein mystischer Geschichtenerzähler über den Flügel

Eine weitere mediale Eigenheit des sensiblen Song-Poeten ist aus musikjournalistischer Sicht ein Jammer: Man muss natürlich akzeptieren, dass der 83-Jährige schon seit Jahrzehnten keine Pressefotografen zu seinen Konzerten zulässt. Sie sind immer am Anfang der Shows im Einsatz - ein Moment, in dem Dylan stets sichtlich um Konzentration  ringt, um  in den Flow zu kommen. Bei dieser Tour ist es ein echtes Trauerspiel - nicht nur für den unwahrscheinlichen Fall, dass es seine letzte sein sollte (Dylan wird sich mit Sicherheit auch liegend auf die Bühnen in aller Welt transportieren lassen, so lange es musikalisch funktioniert). Wenn er sich vom Flügel weg bewegt, geht Dylan gebeugt, wirkt fragil und hält fast immer Kontakt zum Flügel. Das macht die Wirkung seiner Performance nur noch stärker, regelrecht episch. Und wenn er sich immer wieder im Licht eines Scheinwerfers von hinten über den Flügel lehnt und seine Lieder inszeniert wie ein mystischer Geschichtenerzähler auf Wanderschaft - das sind ikonische, unvergessliche Bilder, die in einem an stilprägenden Motiven nicht armen Lebenslauf dokumentiert gehören,  und gedruckt in jedem Kulturteil der Welt, die sich für Rockmusik interessiert..

Auf den Schraubenschlüssel bei "Desolation Row" verzichtet er dieses Mal

Der Teil der Fans, die mit liebevollem Spott Dylanologen genannt werden, machen aus der Verehrung dieser verehrungsunwilligen Ikone eine Wissenschaft. Das treibt unter dem Motto “Bobby is my Hobby” interessante Blüten. Wie der Begeisterungssturm in den sozialen Medien über eine spontane Aktion, als Dylan bei einer US-Show beim Epos „Desolation Row“ mit einem Schraubenschlüssel das Mikrophon zum Percussion-Instrument machte. Dieser hochliterarische extrem feingliedrige Klassiker ist neben den beiden Eröffnungsnummern, der Ballade „It’s All Over Now, Baby Blue“ und dem wiederum extrem filigranen Schlussstück „Every Grain Of Sand“ einer von nur fünf Songs aus dem Kanon seiner ganz großen Werke. Und sie fallen fast ab, gegen die meist einfach gehaltenen, aber frisch und dynamisch interpretierten neuen Lieder. „False Prophet“ und „Black Rider“ setzen früh die absoluten Höhepunkte.

Der Einlass zum Konzert, bei dem Smartphones abgegeben oder unter Verschluss gehalten werden mussten. © Klotz

„Crossing The Rubicon“, vor allem „Key West (Philosopher Pirate)“ und “I’ve Made Up My Mind To Give Myself To You” im Daniel-Lanois-Sound ragen heraus. Dylan interpretiert seine Texte fast wie ein Schauspieler – und beeindruckt permanent mit seinem Gespür für Spannungsbögen und Phrasierung. So werden auch sehr ruhige, dem Massenpublikum kaum bekannte Songs wie „Mother Of Muses“ zu einem echten Erlebnis. Fazit: In der Form kann der Mann singen, was er will.

Songs zur Weltlage wie "Masters Of War" überlässt er Eddie Vedder oder Ed Sheeran

Was er nicht will, ist auch klar. Dass er als Live-Performer gewürdigt wird, ist diesem Urvater der politischen Rockmusik wichtiger als Statements und passende Lieder zur prekären Weltlage. Allenfalls „False Prophet“ kann man irgendwie auf Donald Trump beziehen, wenn man unbedingt will. Aber dass er seine großen Anti-Kriegs-Lieder wie „Blowing In The Wind“ oder „Masters Of War“ außen vorlässt, kann niemanden verwundern, der sich mit Bob Dylan intensiv beschäftigt. Zum einen hat er die aufgestülpte Rolle als „Messias der Gegenkultur“ schon x-fach zurückgewiesen. Zum anderen ist man als legendärer Monolith auf dem Gipfel des Songwriter-Olymps in der komfortablen Situation, es anderen zu überlassen zu können, die eigenen Klassiker im kollektiven Gedächtnis zu erhalten. Allein den zeitlos aufrüttelnden Text „Masters Of War“ haben so unterschiedliche Sänger wie Pearl Jams Eddie Vedder oder Ed Sheeran für ihre jeweilige Generation passend gemacht. Dass ein Paar zu „Watching The River Flow“ zu tanzen beginnt, dürfte ihm wichtiger sein, als die Selbstbestätigung seiner Fangemeinde, auf der richtigen Seite zu stehen.

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Da ein Live-Album von dieser denkwürdigen Tournee fast ohne Greatest Hits frühestens in 50 Jahren zu erwarten ist und keine Bilder existieren, sollten Kurzentschlossene ernsthaft über Reisen zu den weiteren Konzerten in Frankfurt, Stuttgart, Saarbrücken  oder Düsseldorf nachdenken (Termine siehe Infobox). Sonst hat man die zeitlose Zukunft des Rock `n` Roll in absoluter Höchstform verpasst. 

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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