Mister McBride, Sie sind Deep Purple 2022 beigetreten, im 54. Jahr seit Gründung dieser legendären Band. Das könnte sich ein bisschen wie eine Mount-Everest-Expedition anfühlen. Wie war es, als Sie gebeten wurden, den ausgeschiedenen Steve Morse zu ersetzen?
Simon McBride: In gewisser Weise war es ein Schock. Denn ich habe es nicht erwartet. Ich war immer einer dieser Session-Kerle im Studio. Dann habe ich Steve bei ein paar Shows vertreten, als er bei seiner an Krebs erkrankten Frau in den USA bleiben wollte. Für mich war der Job damit erledigt. Dann hat mich der Manager gefragt, per Mail. Ich erinnere mich noch, wie ich sie gelesen habe. Denn ich fand es extrem lustig, dass er mich darin fragte, ob ich daran interessiert wäre, fester Gitarrist der Band zu werden. Ich dachte nur: Wie zur Hölle könnte ich daran nicht interessiert sein (lacht)? Es ist Deep Purple! Eine der ikonischen Rockbands aller Zeiten! Die Antwort war also Ja, absolut Ja! Er dachte noch, ich bräuchte Zeit zum Nachdenken - nein, definitiv nicht (lacht).
Wie war die Kommunikation mit den Altmeistern, Bassist Roger Glover, Drummer Ian Paice oder Sänger Ian Gillan?
McBride: Ich traf Ian abends in der Bar. Er fragte nur: „Bist du in der fucking Band, oder was?“ Dann hob er das Glas - und das war’s. Und jetzt bin ich hier. Als Teil einer legendären Band mit großartigen Jungs.
Altgediente Rock-Fans neigen dazu, sehr traditionell zu sein. Veränderungen werden oft zumindest skeptisch beäugt. Wie wurden Sie von der Purple-Fangemeinde aufgenommen?
McBride: Ich würde sagen, sehr gut. Jedenfalls von 90 Prozent der Leute. Beim Rest ist es, wie Sie sagen, speziell bei Deep Purple: Da gibt es Super-Hardcore-Fans, die sich immer noch Ritchie Blackmore als Gitarrist zurückwünschen. Ich hatte da ein paar Befürchtungen, aber fast alle Fans haben mich positiv aufgenommen und sind sehr nett zu mir.
Welchen Einfluss hatten Sie künstlerisch auf das neue Album „=1“? Sie haben als Komponist vermutlich mehr beigesteuert als nur die Gitarrenriffs und Sie sind sogar als Texter aufgeführt.
McBride: Diese Platte ist so oldschool entstanden, wie es nur geht. Da waren buchstäblich nur wir Fünf - in einem Raum. Und wir haben geschaut, was entsteht. Natürlich habe ich ein paar Gitarrenriffs und Ideen zu den Proben mitgebracht. Aber keiner der Songs wäre entstanden ohne uns alle. Und natürlich habe ich die Einflüsse eingebracht, die mich als Gitarrist geprägt haben: Ich bin aufgewachsen in der Ära des Hardrock der 80er Jahre wie zum Beispiel Gary Moore oder Steve Lukather. Das hört man meiner Spielweise an - hoffe ich (lacht). Dazu kommen die Einflüsse der anderen.
Mit „=1“ auf Platz eins der deutschen Charts, am 22. Oktober in der Mannheimer SAP Arena
- Simon McBride wurde am 29. April 1979 im nordirischen Belfast geboren. Der Gitarrist, Sänger, Songwriter, Produzent und Dozent am BIMM Institut in Dublin war Mitglied der Metal-Band Sweet Savage und begleitete den Sänger Andrew Strong („The Commitments“). Im September 2022 wurde der heute 45-Jährige Gitarrist von Deep Purple – als Nachfolger des US-Amerikaners Steve Morse.
- Die Band Deep Purple wurde 1968 in London gegründet. Aus dieser Formation spielt nur noch Drummer Ian Paice (76). Mit Frontmann Ian Gillan (78) und Bassist Roger Glover (78) sind noch zwei weitere Mitglieder der legendären Mark-II-Besetzung aus der Glanzzeit der Hardrock-Pioniere von 1969 bis 1973 aktiv. Komplettiert wurde diese von Gitarrist Ritchie Blackmore und Keyboarder Jon Lord (1941-2012). Der klassisch orientierte Tastenvirtuose wurde durch Don Airey (76) ersetzt.
- Deep Purples 23. Studioalbum „=1“ ist die fünfte Zusammenarbeit mit Starproduzent Bob Ezrin. Am 26. Juli ist es auf Platz eins der deutschen Charts eingestiegen. Das bedeutet insgesamt den zehnten Spitzenplatz für die britischen Rocklegenden in Deutschland.
- Deep Purple spielen am Dienstag, 22. Oktober, zum vierten Mal in der Mannheimer SAP Arena. Die Karten kosten 78,70 bis 113, 20 Euro (plus Gebühren) unter anderem bei eventim.de oder über saparena.de. Das Vorprogramm bestreiten Jefferson Starship.
Wie funktionieren Sie als Songwriter?
McBride: Als Komponist denke ich immer vor allem an den Song. Ich bin nicht der typische Gitarrist - glaube ich -, der beim Komponieren in erster Linie an die Gitarre denkt. Soli, viele Schichten von Overdubs und all diese Dinge haben mich nie besonders interessiert. Mir geht es um das Gerüst des Songs. Außerdem singe ich selbst bei meiner Arbeit als Solist. Deshalb hatte ich immer auch Gillans Parts im Kopf - was er singen muss. Aber wir wussten nie, was Ian dann wirklich tut. Er war zwar fast immer dabei, hat Textzeilen notiert und sich inspirieren lassen. Manchmal hat er sich auch zurückgezogen und allein etwas ausgearbeitet. Was er dann am Ende eingesungen hat, war trotzdem meist eine Überraschung für uns.
Ich denke, Sie haben noch mehr Energie und eine gewisse Schärfe eingebracht. Ich stelle es mir trotzdem kompliziert vor, in den Sound der Ikonen von Deep Purple einzugreifen - oder waren Sie wirklich nur fünf Musiker im Studio? Drei der anderen Vier haben immerhin den Stil miterfunden, der Ihre Helden beeinflusst hat.
McBride: Wir waren definitiv nur fünf Jungs im Studio. Es war simpel, sehr organisch, wir hatten Spaß und jammten über ein paar Ideen. Dabei war es erstmal egal, was dabei herauskommt. Das ist das Schöne an Deep Purple: Sie waren immer eine Band, die sich nicht für Regeln oder Vorschriften interessiert hat. Wenn man darüber nachdenkt, was man zu so einer Band überhaupt beitragen kann - dann beginnt es wirklich sehr kompliziert zu werden. Dann verlierst du den natürlichen Fokus auf die Songs. Ich bin auch gewohnt, Auftragsarbeiten zu erledigen - Lieder für Filme etwa, die ich nach bestimmten Vorgaben, was Genre oder Stilistik angeht, in meinem eigenen Studio produziere. So entstehen nicht unbedingt die allerbesten Songs, ehrlich gesagt. Beim Album „=1“ ging es dagegen wirklich nur um den gemeinsamen Output. Dafür muss man bei sich bleiben.
Fiel Ihnen das leicht - in den sehr großen Fußstapfen von Ritchie Blackmore und Steve Morse, die 16 beziehungsweise 29 Jahre lang den Sound von Deep Purple prägten?
McBride: Du musst einfach du selbst bleiben! Das habe ich mir immer wieder gesagt. Natürlich vergleichen mich die Leute mit Ritchie und Steve, ja sogar mit Tommy Bolin oder Joe Satriani. Aber: Ich bin ich, nicht Ritchie, Steve, Tommy oder Joe. Und das will ich auch gar nicht sein. Die anderen Jungs haben mich nicht angeheuert, damit ich wie meine Vorgänger klinge - sondern wie ich. Und wenn ich nicht wie ich spielen würde, hätten sie mich längst gefeuert (lacht). So einfach ist das.
Zwei viel gegensätzlichere Rockgitarristen als Blackmore und Morse sind schwer vorstellbar. Beide virtuos, der eine aber egozentrisch, der andere viel songdienlicher. Sie tendieren offensichtlich zur Morse-Seite, aber viele Fans erwarten live auch „Gitarren-Masturbation“ à la Blackmore ...
McBride: Auch da bleibe ich ich selbst. Natürlich gibt es diese Ritchie-Fans. Sie lieben ihn - und fertig. Das gilt auch für Steves Fans. Niemand anderes kann es besser. Das ist okay, denn Fans erwarten immer das, was sie hören wollen. Aber jeder Musiker ist anders. Ich kann nicht jeden Einzelnen der Millionen von Deep-Purple-Fans zufriedenstellen. Ich muss mein eigenes Ding machen und hoffen, dass es möglichst viele mögen. Und zum Thema „Gitarren-Masturbation“: Ich bin wie gesagt in den 80ern groß geworden, mit den Joe Satrianis, Steve Vais und Paul Gilberts - ich kann auch so spielen. Ich integriere auch ein wenig davon, besonders live. Denn da geht es am Ende auch um Show. Dieses technisch, sehr schnelle Spiel ist nicht unbedingt das, was ich am liebsten tue - aber die Leute lieben es. Und daran musst du auch denken beim Konzert: Es ist eine Show, für die Leute viel Geld bezahlen.
Und stilistisch, wie würden Sie sich selbst einordnen?
McBride: Das ist doch Ihr Job, oder. Ich glaube, diese Frage kann kein Gitarrist beantworten. Wenn Sie den verstorbenen Jeff Beck nach seinem Stil gefragt hätten, ich bin sicher, er hätte keine Antwort gehabt (lacht).
Die arithmetische Art des Titels „=1“ erinnert ein wenig an Ed Sheerans ähnlich mathematisch betitelte. Soll es für Einheit stehen?
McBride: Über den Titel müssten Sie eigentlich mit Gillan sprechen. Er ist sein Baby. So wie wir es verstehen, geht es um die Welt, in der wir leben. Alle versuchen, das Leben einfacher zu machen, doch es wird immer komplizierter. Denken Sie nur daran, was Sie alles ausfüllen müssen, wenn Sie einen Flughafen benutzen wollen. Früher musste man nur den Pass vorzeigen. Es soll um Einfachheit gehen bei „=1“, ohne überflüssigen Bullshit. Aber ich bin nur der dumme Gitarrist, fragen Sie den intelligenten Sänger (lacht). Gillan ist wirklich ein sehr kluger Mann, sehr kreativ mit Sprache - ich bewundere ihn.
Man könnte den Titel sogar als Statement gegen den Brexit interpretieren … der für eine weltweit auftretende Band sicher extrem viel „überflüssigen Bullshit“ mit sich bringt...
McBride: Das kann sein. Der Brexit ist wirklich ... schwierig. Aber ehrlich gesagt, nicht für mich. Ich komme ja aus Irland und bin damit immer noch Bürger der Europäischen Union (EU). Aber mit einem Pass aus dem Vereinigten Königreich ist es wirklich kompliziert. Man darf sich zum Beispiel nur begrenzte Zeit in der EU aufhalten. Das ist für Musiker auf großen Tourneen ein Problem. Die Welt ist verrückt heute. Aber war sie das nicht immer irgendwie?
Die ersten Songs sind eingängig, energiegeladen, sehr unterhaltsam. Dann wird die Platte kunstvoller und progressiver? Ist das wichtig, um zu zeigen, dass das Vermächtnis von Jon Lord nicht vergessen wird?
McBride: Soll ich ehrlich sein? Über so etwas haben wir nie nachgedacht. Jon und auch Ritchie haben massive Bedeutung für die Geschichte von Deep Purple. Aber darum geht es nicht.
Was können wir von Ihrem Konzert in der SAP Arena erwarten?
McBride: Wir wollen abliefern und Spaß haben. Es wird alte Songs geben, vielleicht auch ein paar neue - das hängt von den Proben ab. Wir denken vor allem an das Publikum: Es soll eine gute Zeit haben.
Könnten Sie eigentlich Einfluss auf das Programm nehmen - und zum Beispiel sagen: Lassen wir doch bitte diesen überstrapazierten „Smoke On The Water“-Song weg. Oder ändern wir das Riff, das jeder Anfänger in der zweiten Gitarrenstunde lernt - ist das überhaupt denkbar?
McBride: Well... die Frage ist doch eher: Warum sollte man den vielleicht größten Rocksong aller Zeiten weglassen wollen? Es gibt dazu eine alte Geschichte: Einmal hat sich Ritchie geweigert „Smoke On The Water zu spielen“ und ist einfach abgerauscht. Das Ergebnis: Die Halle wurde zerlegt. Die Fans lieben alle Klassiker und singen jede Zeile mit. Aber alle warten auf „Smoke On The Water“. Natürlich muss man das Set frisch halten - auch für uns.
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