Heidelberg. Drei Frauen. Sie warten. Müssen warten. „Bis es an der Zeit ist“, sagt eine. Sie wollen anstoßen, feiern, ein Neujahrsfest. „Aber es gibt kein neues Jahr“, merkt die andere an. „Eine verdammte Sache nach der anderen“, meint die dritte. Erst einmal sollte man tanzen. Was dann, auf wunderbar unbeholfene Weise, auch passiert in Manuela Infantes Stück „Wie alles endet“, mit dem das Theater Basel beim Heidelberger Stückemarkt gastiert. Die Frauen tanzen und wandern darin durch die Nervenbahnen einer Sterbenden. Dem Ende entgegen.
Im Hungerstreik
Schichten um Schichten senken oder schließen sich die Bühnenvorhänge im Alten Theatersaal allenthalben hinter den drei - absolut hinreißenden - Schauspielerinnen Elmira Bahrami, Marie Löcker und Gala Othero Winter, welche die chilenische Regisseurin, Dramatikerin und Musikerin durch das virtuos phantasmagorische Labyrinth ihrer Uraufführung streifen lässt. Eine robotisch verfremdete Stimme bricht in diese Binnenwelt ein, schildert die Szenerie einer Frau in einem Krankenhaus, in Handschellen, dünn und schwach, seit 63 Tagen hat sie nicht gesessen. Ein Hungerstreik, in dessen Verlauf ihr Körper begonnen hat, sich selbst zu verzehren - und Halluzinationen hervorzubringen.
Es finden sich Motive, Wörter, Namen, Handlungselemente, die immer wiederkehren, die hier in neue Zusammenhänge und Geschichten gesetzt werden: Der Hunger, das Verdauen, der Arzt, das Bild eines Sonnenuntergangs. Bald stehen die Drei nach Kraftwerk-Art an Soundpulten, finden zur Stuhlkreis-Strategiesitzung eines Kollektivs zusammen, hüllen den Saal in eine (Meta-)Erzählung zur Ernährung in vorgeschichtlicher Zeit.
Um in diesem Nexus ein Maß für die vergehende Zeit zu finden, spielen sie die jüngste Handlung in neu verteilten Rollen nach - was zu einer grandiosen Quasi-Unendlichkeitsschleife führt, zum Theaterspiel zwischen zwei Spiegeln. Darstellungskunst, Konzeption, Text: Was wie eine wundersame Mischung aus Samuel-Beckett-Absurdität und Philip-K.-Dick-Fantastik anmutet, versetzt einen auf vielen Ebenen ins Schwärmen. Das ist (mindestens) ein heimlicher Festival-Favorit.
Einsame künstliche Intelligenz
Um das Ende - und zwar das der gesamten Menschheit - geht kurz darauf auch in „Die letzte Geschichte der Menschheit“, eine Produktion des Schauspiels Frankfurt nach einer Idee von Sören Hornung („Künstlerische Intelligenz“), die in der Regie von Leon Bornemann im Zwinger 1 gezeigt wird.
Die aus dem Jahr 5144 stammende künstliche Intelligenz „KARL“ (gespielt von Tanja Merlin Graf) hat darin eine „Zeitverwerfung“ bewerkstelligt, um mit uns in Kontakt zu treten. Zu seiner Zeit ist der homo sapiens nämlich ausgestorben, die Welt steht in Flammen. Und die an Jahrtausende langem YouTube-Konsum geschulte KARL ist ziemlich einsam. Aber den Menschen durch den Hinweis auf die Zerstörung seiner Lebensgrundlagen dazu zu bringen, den eigenen Untergang zu verhindern? Man ahnt: Das wird eher nichts.
Und mithin ist das Solo-Stück eine mit allerhand Drive inszenierte und gespielte Allegorie auf die robuste Unbelehrbarkeit und die seltsamen Verhaltensweisen unserer Spezies - kompakte 60 Minuten, die Spaß machen und zu deren Ende auch leise, nachdenkliche Töne angeschlagen werden.
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