„Community Art“ nennt sich seit den 1960er Jahren eine Form von „Dialog- und Veränderungskunst“, die den sozialen Zusammenhalt stärken will. In Mannheims westlicher Neckarstadt gibt es an der Ecke Mittel-/Laurentiusstraße ein höchst aktives Zentrum für diese soziokulturelle Kunst, das Community Art Center, das 2022 zehnten Geburtstag feierte. Gründerin Annette Dorothea Weber gibt dessen Leitung zum Jahresende auf. Wie sprachen mit der Pionierin über ihre Pläne und generell über die Arbeit an der Kunst, eine Gemeinschaft zu werden.
Frau Weber, wie geht es Ihnen mit dem Entschluss, jetzt zu gehen?
Annette Dorothea Weber: Das mit dem lachenden und weinenden Auge trift voll zu: Ich bin 100 Prozent mit der getroffenen Entscheidung im Reinen und ganz überzeugt davon, dass es richtig ist. Aber ich muss sagen, dass ich in den letzten Wochen schon auch öfter traurig bin, weil das, was ich verlasse, ist ja etwas Gutes. Wenn ich abends hier rausgehe, denke ich wehmütig „Oh je, bald ist das nicht mehr dein Raum“.
Wie lautet Ihre persönliche Bilanz?
Weber: Ich denke, mir ist es gelungen, eine gute, interessante und funktionierende Institution aufzubauen. Und auch einen Ansatz zu entwickeln, den es so in Deutschland noch nicht gibt. Community Art kommt ja aus dem englischsprachigen Raum, ist aber dort oft mehr reine Soziokultur. Bei uns hat es absolut geklappt, dass sich professionelle Künstlerinnen und Künstler verschiedener Genres mit Themen hier einbringen und mit ihrer Arbeit dafür sorgen, dass auch Menschen in unsere Räume kommen, die sonst eher nicht in die Elfenbeintürme laufen, um Kunst zu sehen. Ich denke schon, dass ich beides meinem Wirken zuschreiben darf.
Annette Dorothea Weber
- Nach einer Ausbildung zur Gärtnerin und einem Landschaftsplanungs-Studium an der TU Hannover, Studium an der Fakultät Darstellende Kunst, Universität der Künste Berlin. Von 1998 bis 2002 arbeitete sie fest als Dramaturgin, Regieassistentin und Regisseurin am Schnawwl.
- Seit 2002 ist sie als freie Regisseurin tätig. Ihr Schwerpunkt liegt auf Veränderungskunst und der Zusammenführung verschiedener Sparten. Von 2012 bis 2022 war sie künstlerische Leiterin des Community Art Centers.
- Premiere des künstlerischen Dokumentarfilm „Es kommt darauf an das Hoffen zu lernen“ über Bergbau in der Lausitz am 19. Februar, 2023, 19.30 Uhr im Cinema Quadrat Mannheim.
Sie haben es zudem geschafft, dass das Community Art Center seit 2021 auch offiziell als Soziokulturelles Zentrum anerkannt wurde. Warum hat es solange gedauert?
Weber: Ich denke, zum einen, weil ich erst einmal verstehen musste, was es braucht, um ein solches zu werden, also die Voraussetzungen einer entsprechenden Trägerstruktur und vieles mehr. Zu dem war es auch für den LAKS (Landesarbeitsgemeinschaft der Kulturinitiativen und Soziokulturellen Zentren in Baden-Württemberg, d. Red.) nicht so einfach zu vestehen, wie wir arbeiten. Eben weil wir nicht wie andere klassische Soziokultur-Zentren etwa mit festen Programmreihen und eben auch bei freiem Eintritt arbeiten. Wir sind da etwas aus dem gängigen Rahmen gefallen, das brauchte lange Kommunikation, die letztlich aber erfolgreich war,
Es geht im Community Art Center um Integrationsprozesse, um Teilhabe und friedliches Zusammenleben in einem schlecht beleumundeten „Problemstadtteil“...
Weber: Ich würde unsern Ansatz nicht primär auf Integration beziehen, den Oberbegriff, den ich lieber nutze ist „Dialogkunst“. Integration ist ein Schritt weiter. Es geht mir zunächst einmal darum, Gruppen verschiedenster Menschen in sehr unterschiedlichen Lebensformen überhaupt in Dialog zu bringen. Das ist der Ansatz. Über Kunst in Kommunikation kommen, ist unser Ziel.
Wie weit sind Sie in der Neckarstadt-West gekommen?
Weber: Wir haben auf jeden Fall etwas erreicht, wir haben verschiedenste Zielgruppen hier gehabt und eben viele Leute, die sich sonst niemals in ein Kunsthaus bewegen würden. Diesen hier lebenden Menschen konnten wir vermitteln, dass Kunst etwas zum Anfassen und nicht nur etwas für die Oberschicht ist. Wir zeigen, was Kunst alles sein kann, etwa auch Aktionskunst auf der Straße. Aber ich würde nicht pauschal behaupten, dass wir die Neckarstadt generell verändert haben.
Sie haben sich immer wieder stark gegen die laufenden Gentrifizierungsprozesse positioniert...
Weber: Allerdings, und irgendwie muss man auch feststellen, dass wir durch unsere Arbeit hier schon auch selbst Teil der Gentrifizierung sind. Als Künstler, die hier Projekte machen, bringen wir auch etwas ein, was den Stadtteil verändert, aufwertet – und teurer macht.
Das ist erfrischend selbstkritisch...
Weber: Ja, aber diese Einsicht braucht es, um gegenzusteuern. Wir versuchen schon, uns da zu reflektieren. Wir wollen nicht hip sein, damit noch mehr Leute hier Häuser kaufen. Meine Dystopie für die Neckarstadt ist der Jungbusch. Im Ernst: Unbewusst tragen wir natürlich leider schon auch dazu bei. Dennoch haben wir etwas verändert, etwa ganz viel für Kinder, mit Theater oder Lesungen hier, draußen oder in den Schulen.
Wer kommt zu Ihnen?
Weber: Viele, nicht alle. Was wir nicht schaffen können, ist, dass immer gleichzeitig Menschen aller verschiedenen Zielgruppen zu uns kommen. Aber dadurch, dass wir eben zu verschiedenen Themen mit verschiedenen Koproduzierenden zusammenarbeiten, haben wir die Leute hier bei uns – und interessieren sie für den Raum. Die Leute kennen uns und kommen wieder rein.
Die Marke hat sich also gut etabliert, aber nicht nur im Kiez, oder?
Weber: Ja, die Freudenbergstiftung unterstützt uns von Anfang an, aber unser aktuelle Handreichung über unser Konzept wurde sogar von der Bundeszentrale für politische Bildung finanziert, um so anzuregen, dass ähnliche Einrichtungen auch andernorts gegründet werden.
Apropos andernorts: Was macht die Künstlerin Weber nach 100 Mannheimer Projekten und 500 Veranstaltungen in zehn Jahren nun andernorts?
Weber: Ich will wieder freier sein, weniger Management, mehr Kunst. Ich selbst konnte das zuletzt immer weniger aktiv ausüben. Ich reise beispielsweise schon drei Jahre für künstlerische Aktionen und Recherchen in die Lausitz, um mich an künstlerischen Aktionen um den Tagebau zu beteiligen. Das ist ein Hinweis auf die Art und Weise, wie ich künftig vermehrt arbeiten will.
Aber Sie graben auch in Mannheim weiter?
Weber: Ich wohne hier und grabe hier und auswärts. Möglichst tief.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/kultur_artikel,-kultur-was-das-community-art-center-mannheim-bislang-erreicht-hat-_arid,2034575.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html