Schlossfestspiele

Warum das "Weiße Rössl" in Heidelberg Kult werden könnte

Von 
Dr. Hans-Guenter Fischer
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Kann nicht von sich und der Kuh weg: Winfried Mikus als Kellner. © S. Reichardt

Sogar die Eröffnungsrede des Herrn Oberbürgermeister klingt an diesem Abend überraschend aufgekratzt. Ist Eckart Würzner noch vom deutschen Fußball-Sieg über die Portugiesen mitgerissen? Oder wohnte er auch schon der Generalprobe der neuen Inszenierung von „Im Weißen Rössl“ für die Heidelberger Schlossfestspiele bei? Denn diese Inszenierung, ursprünglich bereits für die vergangene Saison geplant, könnte durchaus ein Hit werden und steht schon nach ihrer Premiere unter Kultverdacht.

Gute, grelle Unterhaltung

Unter Kultverdacht: Das "Weiße Rössl" bei den Heidelberger Schlossfestspielen

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Sie stammt von Felix Seiler, einem jungen Regisseur, der sich als enger Mitarbeiter Barrie Koskys profiliert hat. Wie sein Meister legt er eine starke Schwäche für die sogenannte Leichte Muse an den Tag, geht aber trotzdem reflektiert zu Werke. Was beim „Weißen Rössl“ doppelt Sinn macht: Seiler hat die komplizierte Rezeptionsgeschichte im Hinterkopf, weiß nur zu gut, wie dieses Stück einst in den 1950ern verbiedermeiert und der Heimatfilm-Ästhetik angeglichen wurde. Er knüpft freilich lieber an die Uraufführung vom November 1930 an, betont deren Revue-Charakter, deren Präsentieren einer Hit-Sammlung mit eher losem Handlungsrahmen, der bloß ein charmanter Vorwand für ein glitzerndes Spektakel ist.

Im Zentrum steht die gute, gern auch grelle Unterhaltung

Die Dialoge werden gleichfalls wieder bissiger, satirischer, und man begreift, warum die Nazis diese Operette als „entartet“ diffamierten: eben nicht nur, weil das Gros der Schöpfer jüdische Familienwurzeln hatte. Aber keine Bange, solche Einsichten ergeben sich in Heidelberg fast nebenbei. Im Zentrum steht die gute, gern auch grelle Unterhaltung, bei so manchem der 250 Zuschauer im Schlosshof brennen sich die Lachfalten irreparabel ein. Obwohl: Man reist nicht zum Vergnügen in die alpenländische Idylle, „wo das Büxerl knallt“ und ein fast aggressives „Holldrio!“ entboten wird. Gut abgerichtete Touristen rufen „Zahlen! Zahlen! Zahlen!“ Und die Kellner nehmen schlecht gelaunt das Geld.

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Beim Schlosshof-Publikum indes herrscht gute Stimmung, nicht zuletzt, wenn Steffen Scheumann in der Sprech- und Bell-Rolle des Fabrikanten (und vor allem Querulanten) Wilhelm Giesecke die Bühne vollnörgelt. Während Romina Markmann das Kontrastprogramm besorgt: Als Juniorkellner Piccolo ist sie ein wirbelnder Aktivposten. Und Wilfried Staber gibt den Operetten-Kaiser, der auch mal zur Pulle greift und seine Lebensweisheiten zum Besten gibt: „Der Mensch kann halt net weg von sich.“

Es wird alles aufgefahren, was Kulturtouristen glücklich macht

Wohl war, zumindest trifft es auch für Winfrid Mikus zu, das Heidelberger Sänger-Urgestein, das als verliebter Oberkellner fast zu viel Berufserfahrung ausstrahlt. Aber dass so etwas eigentlich nicht wahr sein kann, gehört ja zur Geschäftsgrundlage dieses Genres.

Wie die wirklich frischen Tanzeinlagen (Kati Farkas hat sie einstudiert), die wieder an die Uraufführung denken lassen. Was auch für das von Johannes Zimmermann geleitete Orchester gilt, das zwischen Kuhglocken- und Jazzsound alles auffährt, was Kulturtouristen glücklich macht.

Weitere Vorstellungen am 22. und 23. Juni, 4., 6., 7., 12., 17., 23., 24., 29. und 30. Juli.

Freier Autor In Heidelberg geboren. Studium (unter anderem) der Germanistik. Promotion über Rainer Maria Rilke. Texte zu Literatur, Musik und Film.

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