Geben wir es zu: Wir wollen als Touristen, die wir nach Corona hoffentlich bald wieder sein dürfen, manchmal ganz gern betrogen werden. Uns ist klar, dass uns am Souvenirstand an der Strandecke wohl eher nicht der weiße Schal von Pavarotti, ein paar Handschuhe der Queen oder der Hut von Michael Jackson übergeben werden. Doch wir greifen zu. „Souvenirs, Souvenirs!“ verspricht uns eine musikalische Revue der Heidelberger Schlossfestspiele, und auch hier klingt alles äußerst prominent: Wir hören Hits, die Judy Garland, die Comedian Harmonists oder auch Udo Jürgens populär gemacht haben. Aber sie werden von Astrid Bohm, Ekaterina Streckert oder Sang-Hoon Lee gesungen.
Das sind keine Primadonnen oder Startenöre, sondern Vokalistinnen und Vokalisten aus der zweiten Reihe: Die Revue spült Chorsänger des Heidelberger Städtischen Theaters aus dem dunklen Bühnenhintergrund ins helle Juni-Licht des „Sonnendecks“ der Schlossfestspiele. Diesen neuen Spielort müssen wir erst mal erklimmen, er liegt auf der oberen Bäderterrasse im Schlosspark. „Wir haben ein neues Theater!“, jubelt Holger Schultze, Intendant in Heidelberg – und inszeniert in seinem Überschwang diese Revue gleich selbst.
Offensive Spiellust
Das Stück ist dramaturgisch eher locker aufgebaut (von Jürgen Popig und Ulrike Schumann) und erzählt vom Unterwegssein in den unterschiedlichsten Facetten: Es gibt Heim- und Fernweh, Sehnsüchte und Träume, Essen, Trinken, schlechtes Wetter. Wir begegnen Wanderern, Piloten oder Stewardessen. Und natürlich „klassischen“ Touristen aus den USA: „Wie alt hier alles aussieht!“, rufen sie.
Wie könnte es auch anders sein, sie sind schließlich in Heidelberg. Obwohl: Das bleibt die Ausnahme an diesem Abend, um den Heidelberg-Tourismus und seine Spezifika geht es in aller Regel nicht, und niemand singt: „Ich hab’ mein Herz in Heidelberg verloren.“ Ehrenwort.
Die Bühne von Peer Rudolph ist im Wesentlichen eine Imbissbude. „Wurst, Tabak und Bier“ sowie „Musik, Prosa und Lyrik“ werden hier laut einer Aufschrift angeboten, eine kulinarische Rundumversorgung ist also gesichert. Solche Imbissbuden werden heutzutage langsam seltener, das gilt für manches andere, was Schultzes Inszenierung lieb und teuer ist, kaum weniger. Sogar für „klassische“ Touristen aus den USA. Vieles an diesem Stück ist „retro“ und „old-fashioned“, vieles treibt ein unbeschwertes Spiel mit Klischees – die ja auch tiefe Sehnsüchte und Wahrheiten enthalten können. Die Musikauswahl ist oft ein Nostalgietrip: in die 1920er, die 1950er, die 1970er. Das Spektrum reicht aber noch weiter: von der „Dichterliebe“ Schumanns bis in deutsche Schlager-Niederungen. Wo die Parodie schon serienmäßig eingebaut ist, wenn der „Sand in den Schuhen aus Hawaii“ herausgeschüttelt werden muss.
Die zu Solistinnen und Solisten gemachten Chormitglieder zeigen eine offensive Spiellust, die Rachele Pedrocchi in Bewegungsenergie verwandelt. Auch wenn manchem Aufschwung, den die Choreografin inszeniert, ein kleiner Absturz folgt. Und umgekehrt: Etwa, wenn die Rollator-Damen, die das „Stormy Weather“ niederdrückt, zu wilden Weather Girls mutieren, gelbe Regenschirme wirbeln lassen und „It’s Raining Men“ skandieren. Um danach völlig erschöpft davon zu humpeln.
Das ist das Konzept dieser Revue: Sie flirtet mit dem Nicht-Perfekten, und nicht immer, wenn haarscharf an der korrekten Tonhöhe vorbeigeschrammt wird, wissen wir, ob das nun Absicht oder eine Panne war. In jedem Fall gibt es so manches kleine Kabinettstück: Adrien Mechler etwa gibt den „Capri-Fischer“ mal als Schlager-Biedermann der frühen 1950er und mal als Rock’n’Roll-Heroen. Was die Imbissdamen hinterm Tresen schwer in Wallung bringt. Marcos Padotzkes E-Piano flutet dazu das gesamte Sonnendeck.
Comedy und Gefühlswelten
Michael Pichler hat die einzelnen Musikstücke zum Teil mit großer Sorgfalt einstudiert. Besonders gilt das für die Nummern der Comedian Harmonists, der stimmtechnisch womöglich besten Boygroup aller Zeiten. Diese Lieder übernimmt ein koreanisches Gesangsquintett, das ebenfalls zum Opernchor gehört. Im auch als Zugabe gewährten „Kleinen grünen Kaktus“ treffen Können, Comedy und koreanische Gefühlswelt ziemlich glücklich aufeinander. Hollari, hollari, hollaro.
Vorverkauf für weitere „Souvenirs, Souvenirs!“-Vorstellungen beginnt am 15. Juni
- Von den Chordamen sind bei „Souvernirs, Souvenirs!“ Astrid Bohm, Jana Krauße, Barbara Dorothea Link, Ulrike Machill, Ewelina Rakoca-Larcher, Claudia Schumacher, Manuela Sonntag, Ekaterina Streckert und Elena Trobisch dabei; von den Herren singen Sang-Hoon Lee, Adrien Mechler, Young-O Na, Hans Voss, Young Kyoung Won, Seung Kwon Yang, Xiangnan Yao, Michael Zahn, AP Zahner und Dagang Zhang.
- Weitere Termine: 4., 5., 7., 12., 13., 16., 26., 28., 30. Juli und 1. August.
- Der Vorverkauf für die Aufführungen startet am Dienstag, 15. Juni, Karten gibt es online oder unter der Telefonnummer 06221/582 00 00.
- Die Heidelberger Schlossfestspiele setzen ihr Programm am Dienstag um 18.30 Uhr auf dem Sonnendeck mit „Princess forever“ und um 20.30 Uhr im Schloss mit „Das Spiel von Liebe und Zufall“ fort.
- Am Mittwoch folgt unter anderem der „Poetry Slam Bourgeoise – Exklusiv deluxe“ um 18.30 Uhr auf dem Sonnendeck.
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