Mannheim.. Was die größte Qualität des Maifeld Derbys ausmacht, zeigt sich am Freitag gegen 21 Uhr: Da können die Gäste gleich zum Auftakt des renommierten Mannheimer Indie-Pop-Festivals binnen von ein paar Minuten in drei verschiedene Paralleluniversen eintauchen wie ein genialer Physiker aus dem vierten Jahrtausend.
So staunen die Besucherinnen und Besucher auf der vollgepackten Tribüne des Reitstadions über Mitsune. So etwas wie dieses Quintett aus Berlin hat selbst das auf Vielfalt erpichte Derby noch nicht gesehen. Die aus Japan, Deutschland, Australien und Griechenland stammenden, folkloristisch gekleideten Mitglieder kombinieren den traditionellen Klang der japanischen Laute Shamisen mit Eastern Blues, Jazz, Rock und filmmuskalischen Flächen.
Im Stil von Ideal und Annette Humpe
Gleichzeitig zelebriert die Hamburger Band Erregung öffentlicher Erregung im Club-Hüttenzelt die neue Neue Deutsche Welle (NDW) – und nicht mal Anette Humpe klingt heutzutage so sehr nach idealer Ideal-Sängerin wie Anja Kasten. Originell mag das nicht sein, aber mit solchen Live-Shows steht das Quintett mit an der Spitze einer langen Reihe von Acts, die den Sound des 80er-Jahre-Deutschpop kompetent reanimieren.
Außerdem versucht das US-Trio Death Grips mit fast psychotischer kalifornischer Härte das Palastzelt abzureißen. Stefan Corbin Burnett alias MC Ride tobt über die Bühne wie der unzähmbare bösartige Bruder von Rage Against The Machines Frontmann Zack de la Rocha. Die Energie der Band aus Sacramento ist noch aggressiver als der Hardcore-Crossover-Rap von RATM, die Energie ist aber negativ, ja nihilistisch. Aber die Wucht und Qualität ist ähnlich, auch die Ziele der abgründigen, oft politischen Texte ähneln sich. Nur agieren Death Grips mephistophelisch: böse Sounds für gute Zwecke. Jedenfalls ist das zu hoffen.

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Death Grips aus Sacramento mit manischer Härte
Ihre Show klingt zwar nicht ideal, weil – typisch US-Rock – die Mitten massiv dominieren. Aber es ist spektakulär, wenn MC Ride, der furiose Drummer Zach Hill und Producer Andy Morin quasi als Schattenrisse vor rotglühendem Hintergrund über die Bühne toben. Kein Wunder, dass es direkt vor der Bühne für Derby-Verhältnisse hart zugeht. Auch nicht, dass diese wahnsinnig intensive Formation ein Fan-Spektrum von Björk bis Beyoncé hat - und für David Bowies finales Meisterwerk „Blackstar“ als Inspiration gedient haben soll. Der komplexe Sound ist jedenfalls mal mitreißend und tanzbar wie das grandios zeitgemäße „I’ve Seen Footage“ oder fast verstörend manisch wie „You Might Think He Loves You For Your Money But I Know What He Really Loves You For It's Your Brand New Leopard Skin Pillbox Hat“. Einmal fliegt sogar ein Bierbecher, auch untypisch für die klassische Maifeld-Klientel. Ein Erlebnis.
Natasha Khnan nur mit Geigerin und Frosch im Hals
Das hatte man sich auch von der eigentlichen Headlinerin des Abends versprochen: Natasha Khan alias Bat For Lashes. Die brillante Songwriterin aus London hat sich seit mehr als einem Jahrzehnt nicht mehr auf deutschen Bühnen blicken lassen. Auch sie ist ein typischer Maifeld-Derby-Act: Ein exklusives Konzert von so einem Superstar des Indie-Pop erleben zu können, ist für Fans das Erlebnis des Jahres. Dass das Gros der Deutschen auf den Namen Bat For Lashes schulterzuckend mit „Nie gehört“ reagieren dürfte, ist wiederum typisch für unsere von Filterblasen zerrissene Zeit. Diese platzen aber beim Derby mitunter wie Luftballons, weil die verschiedendsten Pop-Welten hier aufeinanderprallen.
Beim Auftritt der 43-Jährigen verflacht die Euphorie allerdings rasch. Dass sie sich nur von einer Geigerin begleiten lässt und die Musik zum Großteil aus der Konserve kommt, irritiert viele schon merklich. Was altmodisch sein mag. Aber die Resonanz steigt spürbar, als sich Bat For Lashes an Keyboard oder Klavier setzt. Die Kombination aus ihrem Hit „ Kids In The Dark“ und Cyndi Laupers Pop-Klassiker „True Colors“ wird so zu einem Höhepunkt des ersten Festivaltages.

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Höhepunkte "True Colors" und "Laura"
Allerdings räuspert sich die Hauptdarstellerin immer häufiger vernehmlich, hustet, entschuldigt sich für einen Frosch im Hals, den sie nicht loswerde, und bricht nach 70 von geplanten 85 Minuten ab – mit einer grandiosen Version ihrer Ballade „Laura“. Verständlich, aber schade. Dass Bat For Lashes die sehr hohen Erwartungen unterfliegt, liegt aber eher daran, dass ihre vertrackteren Songs im Halb-Playback nicht die volle Wirkung entfalteten wie später die Piano-Stücke „What’s A Girl To Do“, „Trophy“, vor allem „Siren Song“ oder „Close Encounters“.
Sevdeliza verliert sich
Ähnlich ergeht es den Fans der mit Spannung erwarteten Iranerin Sevdaliza. Sie bewegt sich zwischen Rave und Playback: Die iranisch-niederländische Sängerin hätte einer der ersten Höhepunkte im Palastzelt sein können. Die auch als Produzentin agierende Künstlerin überzeugt zunächst auch mit dreiköpfiger Band inklusive Cellisten, verliert sich dann aber in Audiotune-Gewittern. Ein Mash-up aus The Prodigy, Darude und andern Rave-Tracks sorgt zumindest zeitweise für nächtliche Stimmung in dem um 19 Uhr noch eher verhalten gefüllten Zelt.
Nur 20 Minuten von Zulu
Wieder eine ungewöhnliche Parallele: Die aus der Hardcore-Szene von Los Angeles stammenden Zulu liefern im Hüttenzelt nebenan auch etwas arg früh am Abend harte Metal-Rhythmen. Sie überzeugen mit der Stimmgewalt von Anaiah Lei und actionreicher Show. Leider haben sie nur 20 Minuten gespielt.
Dafür passt der überwiegend sonnige Sound der US-Indie-Rocker Surf Curse perfekt in die Stimmung am frühen Abend auf der Open-Air-Bühne. Das Quartett um Jacob Rubeck und Nick Rattigan liefert eine tolle Performance mit richtig gutem Sound, ansteckender Bestlaune und viel Interaktion mit dem Publikum. Ihr Hit „Freaks“ bringt die ganze Menge zum Tanzen. Von diesen Vibes in der Luft profieren auch die wohltönenden Briten Kerala Dust.
Letzte Runde mit Overmono im Palastzelt
Die letzte Runde läuten Tom und Ed Russell aus Wales ein. Das erfolgreiche Electro-Duo hält mit zwingenden technoiden Breakbeats das Palastzelt in Bewegung. Das gelingt fast gleichzeitig aber auch dem fränkischen Rapper Nand im Hüttenzelt mit düsteren Texten über eindrucksvoll konzipierter elektronischer Musik.
Abschluss von Temmis aus Tübingen
Wobei Zeilen wie „Dann ist der Sommer vorbei“ keine Botschaft sind, die man nach einem „Heizungshammer“-Mai gern hört - aber der Beat zwingt einen dazu. Ein Name, den man sich merken sollte. Das gilt mit Abstrichen auch für das Tübinger Quartett Temmis, eine Art Tocotronic für die Edwin-Rosen-Ära, die um 3 Uhr das Licht ausknipsen.

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Noch Karten an der Tageskasse
Für den heutigen Samstag mit den Headlinern Phoenix und Warpaint gibt es noch wenige Karten an der Tageskasse zum Preis von 90 Euro. Am Sonntag geht es um 13 Uhr mit Fulu Miziki los. Erwartet werden Listentojules, Dillon, Baxter Dury, Jungstötter, M83, Tamino, Glass Beams und als Headliner Interpol.Tageskasse: 85 Euro.
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