Das Interview

Stiftung Künstlernachlässe: „Geschichten erzählen mit Kunst“

Zum 20-jährigen Bestehen der Stiftung Künstlernachlässe Mannheim spricht Leiterin Silvia Köhler über Herausforderungen und die Bedeutung ihrer Arbeit.

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Erschließt Kunstnachlässe für die Stadtgesellschaft: Silvia Köhler (im Depot der Stiftung mit einem Bild von Will Sohl). © Künstlernachlässe

Mannheim. Frau Köhler, die Künstlernachlässe gibt es jetzt seit 20 Jahren. Initialzündung war, so lernt man aus dem Festbuch, der Tod von Peter Schnatz, dessen Nachlass nach Freiburg ging. Man könnte auch so fragen: Warum erst jetzt, warum erst 2005?

Silvia Köhler: Es gab vorher schon immer wieder Diskussionen um das Thema Künstlernachlässe in Mannheim. Jochen Kronjäger von der Kunsthalle war da schon länger unterwegs. Die Erben von Peter Schnatz in Freiburg haben den Nachlass nach dessen Tod sehr schnell abgeholt und dann gemerkt, dass das adäquate Kümmern sie überfordert. Und es gab auch ein Problem mit der Lagerung und sie drohten, das alles zu vernichten. Und das war dann der Auslöser, sich wirklich ganz konkret zu kümmern. Und das war 2005!

Wie handhaben das andere Großstädte mit den Nachlässen ihrer Künstler und Künstlerinnen?

Köhler: Ganz unterschiedlich. Das Forum für Künstlernachlässe in Hamburg oder die Kunstarche Wiesbaden sind Vereine. In München ist es nochmals eine andere Organisationsform. Aber, das muss man explizit sagen, das sind nicht die Städte, die da als erstes aktiv geworden sind, sondern engagierte BürgerInnen, die sich ehrenamtlich aufgemacht haben, und erst später kamen die Förderungen von der Stadt, wie bei uns auch. In den meisten Städten und Regionen gibt es gar nichts, und jeder Erbe/ jede Erbin ist erst mal auf sich selbst gestellt und muss schauen, wie sie damit umgehen. Und auch Museen nehmen nicht mehr ganze Bestände an, wenn sie denn etwas aufnehmen, sondern eher einen Kernbestand. Und generell gibt es für das Thema Nachlässe keine Lösung von der Stange. Jeder Nachlass fordert ein anderes Agieren.

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Wenn ich richtig gezählt habe, beherbergen Sie aktuell 17 Nachlässe. Wie gehen Sie bei der Auswahl vor?

Köhler: Grundlage sind mehrerer Kriterien. Wichtig ist vor allem die Verankerung in Mannheim: Hat die Künstlerin oder der Künstler hier gelebt, gearbeitet oder die lokale Kunstszene über längere Zeit mitgeprägt? Darüber hinaus spielen Aspekte wie künstlerische Qualität, sichtbare Ausstellungstätigkeit (insbesondere in der Region, aber auch darüber hinaus) sowie Auszeichnungen oder Preise eine Rolle. Wir fragen teilweise auch danach, wie präsent die Person im kulturellen Leben der Stadt war: Hat sie Impulse gesetzt, Debatten angestoßen bzw. war sie kulturpolitisch aktiv etc. Wenn sich Kunstschaffende eher außerhalb des Rampenlichts bewegt haben, ist das nicht automatisch ein Ausschlusskriterium. Manchmal lassen sich aufgrund der Biografie vielleicht interessante stadthistorische Bezüge herstellen. Der Entscheidungsprozess ist immer sehr individuell.

Wie viele mussten Sie ablehnen?

Köhler: Wir haben viele Anfragen, auch aus der Metropolregion. Es tut uns immer leid abzusagen, aber das wäre nicht mehr vom Aufwand und Platz zu schaffen. Aber wir unterstützen sehr oft mit Beratung.

Insgesamt verstehen Sie Ihre Arbeit als Teil von Erinnerungskultur. Was ist Ihr Ziel: Ein Das-dürfen-wir-nicht-Vergessen oder eine Art Intensivierung der Zugänge zur Vergangenheit für die Gesellschaft, wobei sich die Frage nach der Relevanz bei der Zielgruppe für Sie sicherlich stellt?

Köhler: Also der Begriff Erinnerungskultur ist vielleicht etwas zu sehr „Zeigefinger“. Diese Menschen sind keine abstrakten Figuren, sie haben hier gelebt, gearbeitet, ihre Spuren hinterlassen. Sie glauben gar nicht, was man mit diesen Arbeiten und den Biografien für tolle Geschichten erzählen kann: Kultur-, Kunst-, Stadt- und Zeitgeschichte – das gehört alles zur kulturellen Identität Mannheims. Und das interessiert alle, stellen wir immer wieder fest.

Glauben Sie, dass die Arbeit der Künstlernachlässe auch Tiefenwirkung hat für Mannheim, dessen bildende Kunstszene, wenn man so will, nicht gerade üppig ist im Vergleich zu Städten wie Stuttgart oder Karlsruhe? Jetzt soll ja auch noch die Freie Kunstakademie wegfallen …

Köhler: Also wir verstehen uns ja nicht als „Bilderfriedhof“ und haben in den 20 Jahren auch viele Projekte mit aktiven Kunstschaffenden aus Mannheim gemacht, die sich mit Arbeiten oder den Menschen dahinter auseinandergesetzt haben. Und die fanden das immer super interessant.

Das heißt, Ihre Arbeit ist genauso in die Zukunft gerichtet wie auf das Spüren hinein in die Vergangenheit?

Köhler (lacht): Ja, klar!

Dann täuscht aber doch der Name …

Köhler: Warum sollen Nachlässe nicht aktuell sein – ich meine, Picasso und so schauen sich doch auch alle an …

Ich meine nicht aktuell, sondern gestaltend in die Zukunft gerichtet …

Köhler: Ich finde diese Frage ein bisschen zu groß – wir können heute nicht sagen, ob diese Arbeiten mal Anstoß für neue Arbeiten sind. Und das ist ja auch nicht unser Ziel. Wenn es das wird, super! Aber sie sind auf jeden Fall ein großer Fundus und Recherchematerial, auch für die Forschung. Es sind ja nun auch schon einige wissenschaftliche Arbeiten dazu entstanden …

Silvia Köhler, die Stiftung und die Ausstellung

Die Stiftung Künstlernachlässe Mannheim wurde von Rainer Preusche und Jochen Kronjäger gegründet. Silvia Köhler engagiert sich seit 2012 in der Stiftung und leitet sie gemeinsam mit Sophia Denk, Susanne Kaeppele und Christine Schumann.

Die Ausstellung zum Jubiläum wird am Freitag, 13. Juni, 18 Uhr, eröffnet. Sie ist in S4 (Raum S 4.17) in Mannheim bis 26. Juli zu sehen. Öffnungszeiten: Do/Fr 16-19 Uhr, Sa 13-17 Uhr.

Info : www.kuenstlernachlaesse-mannheim.detog

Lagern, aufbereiten, zeigen, vermitteln – das sind doch Riesenthemen: Wie schaffen Sie das als kleine Institution, also rein von der Personalstärke her und auch finanziell?

Köhler: Um uns herum haben wir eine große Gruppe ehrenamtlich engagierter Menschen, die uns bei diesen Arbeiten unterstützen. Klar, das geht nicht immer ganz so schnell. Aber wir haben eine Menge Knowhow im Team von Fotografen bis Kunsthistorikerinnen. Dann arbeiten wir auch mit der Uni Heidelberg zusammen – da gibt es immer wieder Studierende, die bei uns ein Praktikum leisten, oder eine Bachelor- oder Masterarbeit schreiben und dann auch eine Zeit lang mitarbeiten. Wir erhalten seit 2020 eine institutionelle Förderung der Stadt Mannheim, mit der wir den größten Teil der Fixkosten abdecken. Wir verkaufen aber auch, und Projekte finanzieren wir meist über Spenden oder weil wir uns auf Ausschreibungen bewerben, etwas des Innovationsfonds Kunst des Landes.

Was war Ihnen bei der Konzeption der Jubiläumsausstellung wichtig?

Köhler: Die Ausstellung wurde kuratiert von unserer künstlerischen Leiterin Sophia Denk. Ihr war es wichtig, die Vielfalt der Nachlässe sichtbar zu machen – formal, thematisch und biografisch. Deshalb werden alle 17 Kunstschaffende aus dem Bestand präsentiert. Es gibt Arbeiten, die sehr politisch sind, andere sehr poetisch oder introspektiv. Diese Spannbreite ist uns allen sehr wichtig. Gleichzeitig wollen wir auch zeigen, dass Nachlasspflege nichts Statisches ist, sondern sehr lebendig, aktuell und viel Relevanz für die Gegenwart hat.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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