Klassik

So vital spielt die 84-jährige Pianistin Argerich Prokofjew

Die Pianistin Martha Argerich wird wie ein Superstar begrüßt – und spielt in Mannheim manchmal auch entsprechend, gemeinsam mit den Philharmonikern.

Von 
Hans-Günter Fischer
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Die Welt-Pianistin Martha Argerich spielt gemeinsam mit den Mannheimer Philharmonikern. © Markus Proßwitz / masterpress

Mannheim. Sie sei 16 Jahre alt gewesen, als sie mit der Aufnahme des dritten (und bekanntesten) Klavierkonzerts Prokofjews ihren internationalen Durchbruch feierte, stand auf der Website der Mannheimer Philharmoniker. Das stimmt nicht ganz: Sie war bei dieser Plattenproduktion mit den Berliner Philharmonikern unter Claudio Abbado bereits 26. Trotzdem ist das sagenhafte 58 Jahre her (im selben Jahr hatten die Beatles „Sgt. Pepper“ eingespielt!). Doch Argerich ist dem Prokofjew-Stück seither stets treu geblieben, im Klavierkonzertgenre pflegt sie von jeher ein sehr schmales Repertoire. Deswegen wundert man sich nicht besonders, dass die 84-Jährige das Werk jetzt auch in Mannheim wieder aufführt, mit den schon erwähnten Philharmonikern unter dem Dirigenten Boian Videnoff.

Faszinierendes Spiel, stimmige Konzertdramaturgie

Die große alte Dame wird im ausverkauften Musensaal des Rosengartens bereits zu Beginn umjubelt. Wie ein Popstar. So empfängt man eine Pianistinnen-Legende würdig. Und sie selbst erweist sich in Prokofjews Nummer drei als höchst vital, das wirkt nicht nur für eine 84-Jährige noch immer faszinierend. Trocken-satte Bässe, scharfer, gleißender Diskant: Das perkussive Element dieses Konzerts wird durchaus umrissklar herausgemeißelt. Den Verdichtungs- und Beschleunigungssequenzen, insbesondere zum Schluss der beiden Außensätze, wird die wünschenswerte Zuspitzung zuteil, die Tempi insgesamt wirken zu keiner Zeit gebremst. Wiewohl auch klangsinnlich-impressionistische Momente ihren Platz finden und die Musik dann phasenweise vollständig zur Ruhe kommen kann. Es waltet also eine stimmige Konzertdramaturgie.

So fällt der Schlussjubel noch stärker aus als jener zur Begrüßung, und so gibt es wie beim letzten Argerich-Konzert mit den Mannheimer Philharmonikern zwei Zugaben. Die eine – Bachs Gavotte aus seiner dritten „Englischen“ Klaviersuite – ist bereits vertraut. Davor gibt es ein Schumann-„Fantasiestück“, das mit „Traumes-Wirren“ überschrieben ist. Es hört sich in der Interpretation von Argerich in seinen Außenabschnitten nach manisch hochbeschleunigtem Chopin an. Im Gewand einer Konzertetüde. Doch im Mittelteil ruht eine sanfte, hochsensible Schumann-Träumerei.

Seit 60 Jahren Star: Martha Argerich



Klavier spielte sie schon im Kindergarten. Und so wurde Martha Argerich, geboren 1941, in ihrer Geburtsstadt Buenos Aires bald herumgereicht. Sie galt als Wunderkind und wurde durchreisenden Pianisten vorgestellt, Berühmtheiten wie Artur Rubinstein und Friedrich Gulda waren unter ihnen.

Um bei Gulda zu studieren, zog die junge Argerich später nach Wien. Ihr Sieg beim Internationalen Warschauer Chopin-Wettbewerb 1965 ebnete ihr endgültig den Weg zur Weltkarriere – die bis heute anhält.

In Lugano in der Schweiz rief sie ihr eigenes „Progetto Martha Argerich“ ins Leben, auf dem Festival trat sie mit ihren vielen prominenten Klassik-Freunden auf. Bis die Sponsoren nicht mehr mitspielten. Doch seit 2018 gibt es eine große Nachfolgeveranstaltung in Hamburg. HGF

Die Philharmoniker begleiten bei Prokofjew ausgesprochen wach, phrasieren sorgfältig. Die Nachwuchsinstrumentalistinnen und –instrumentalisten haben mit der überaus erfahrenen, bewährten Dora Bratchkova am Ersten Geigenpult die Führungskraft, die sie benötigen. Sie ist nicht nur die Mutter Boian Videnoffs, sondern auch die des Mannheimer Orchesters – und hält nicht allein die Ersten Geigen, sondern auch den ganzen Streicherapparat zusammen.

Was vor allem nach der Pause mehr als nötig ist: in Schumanns dritter Sinfonie, der „Rheinischen“. Denn Videnoff, der Sohn von Dora Bratchkova, lässt orchestrale Aufwallungen auch mal gern ins Kraut schießen. Der Rhein führt sozusagen Dauer-Hochwasser: ein wahrer „Wall of sound“, die Hörner etwa röhren in den Außensätzen wie von irgendeiner Tontechnik verstärkt. Gewiss, die Dritte Schumanns, komponiert nach seiner Übersiedelung nach Düsseldorf, ist auch ein Werk des Neubeginns und Überschwangs. Aber selbst sie behält in den bereits erwähnten Außensätzen jene synkopierte, rhythmisch manchmal durchaus sperrige Orchestersprache bei, die Schumann immer wieder ausmacht. Boian Videnoff hingegen dirigiert manchmal darüber weg. Mit Nonchalance. Oder mit Wucht.

Instrumentalisten aus gut 20 unterschiedlichen Nationen auf dem Podium

Das Publikum indes zeigt sich davon beeindruckt. Ohnehin gibt es ja manchen Grund, zum Abschluss der nun auch schon wieder 15. Konzertsaison der Philharmoniker ein wenig stolz zu sein, an einem Abend, an dem Instrumentalistinnen und Instrumentalisten aus gut 20 unterschiedlichen Nationen auf dem Podium sitzen, wie der Dirigent verkündet. Videnoff ist übrigens erst 38 – nach der 15. Saison! Vor kurzem hatte er Geburtstag, und zu diesem Anlass hat ihm Gerrit Bogdahn, bei den Philharmonikern sonst eher für die Einführungen ins Programm zuständig, einen Walzer komponiert. Und dann noch orchestriert. Er kommt als Zugabe, leiht sich bisweilen bei Prokofjew (oder Schostakowitsch), was er braucht. Ohne nur plumpen Diebstahl zu begehen. Gerrit Bogdahn ist ein ziemlich clever konzipiertes Stilkonglomerat gelungen, und die Philharmoniker punkten mit schwerem tiefem Blech und hartem Schlagzeugsound.

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