Das Wichtigste in Kürze
- Max Gruber spricht über das Bandalbum als Trio und Trauer um das Maifeld Derby.
- Er thematisiert Zusammenbrüche und seine Ausbildung zum Countertenor.
- Die neue musikalische Richtung wird als organisch und abwechslungsreich beschrieben.
Mannheim. Der Stilwechsel auf der vierten Drangsal-Platte ist so radikal wie der Albumtitel „Aus keiner meiner Brücken die in Asche liegen ist je ein Phönix emporgestiegen“ lang ist. Im Interview erklärt der in Herxheim bei Landau aufgewachsene Indie-Pop-Sänger Max Gruber, wie es zum organischen Sound kam und warum Drangsal jetzt ein Band-Trio ist.
Herr Gruber, tragen Sie noch Trauer nach dem Aus des Mannheimer Maifeld Derbys, das Sie am letzten Tag des Festivals mit „Ruhe in Frieden“ verabschiedet haben?
Max Gruber: Ich bin zu sehr Meister der prompten Akzeptanz, als dass ich dem hinterhertrauern könnte. Es schmerzt trotzdem, aber es war eine Beerdigung, wie man sie sich wünscht: ein Feiern dessen, was war, statt ein Trauern um das, was nicht mehr ist. Das fand ich gut.
Ich spreche Sie erstmals mit ihrem bürgerlichen Namen an, weil Drangsal vom Künstler- zum Bandnamen mutiert ist. Richtig so?
Gruber: Das ist formbar und hängt vom Journalisten ab. Wir sind jetzt zu dritt, das ist die Hauptsache.
In dem Zusammenhang ist von einem vorausgegangenen Zusammenbruch die Rede.
Gruber: Ja, der war künstlerisch, mental und körperlich zugleich. Alles passierte relativ zeitgleich, größtenteils vor den Projekten mit den Benjamins und den Mausis.
Es gab ja auch andere Zeiten im Umgang mit Zusammenbrüchen, Depressionen, Mental Load etc. Kann man heute einigermaßen angstfrei mit diesem Thema in die Öffentlichkeit gehen?
Gruber: Definitiv, zumindest in den Jahren, in denen ich öffentlichkeitswirksam fungiere. So kommt es mir zumindest vor. Ich war in den letzten drei Jahren wirklich wahnsinnig krank, nicht nur mental, sondern auch körperlich. Das beeinflusst sich gegenseitig – ein perfider Kreislauf.
Nach drei eher wortkargen Albumtiteln „Harieschaim“, „Zores“ und „Exit Strategy“ erscheint nun „Aus keiner meiner Brücken die in Asche liegen ist je ein Phönix emporgestiegen“. Was will uns die Wort-Explosion im Titel sagen? Dass es Ihnen besser geht?
Gruber (lacht): Ich suche ja nicht explizit nach einem langen oder einem kurzen Titel. Das, was später der Titel wird, bauscht sich irgendwann vor einem so auf, dass es einem das Gefühl gibt: Das ist es jetzt. Hier war es so, dass wir kurz vor knapp noch das Stück „Die satanischen Fersen“ geschrieben und als Allerletztes aufgenommen haben. Im wirklich wörtlichen Sinne auch in die Trackliste des Albums. Und der Refrain hatte diese Zeile, auf der ich jetzt auch schon ein paar Jährchen sitze. Da dachte ich: Der Titel ist so bräsig, so zu viel und dann auch ohne Kommata – mit Absicht. Ich find‘s lustig. Aber es ist ja nicht der längste Albumtitel der Welt. Da haben die Fiona Apples noch lange Vorsprung.
Oh, ich denke, Scott Matthew hatte da am Anfang seiner Karriere einen noch längeren zu bieten als Fiona Apples „The Idler Wheel Is Wiser Than The Driver Of The Screw And Whipping Cords Will Serve You More Than Ropes Will Ever Do“.
Gruber (recherchiert): Stimmt, ich sehe gerade: „There Is An Ocean That Divides And With My Longing I Can Charge It With A Voltage Thats So Violent To Cross It Could Mean Death“ hieß sein zweites Album. Danke für den Tipp. Es ist bei uns keine bewusste Entscheidung für lang oder kurz. Der Titel fühlte sich richtig an. Die Kernaussage ist eher trist: Egal, wie oft du fällst und aufstehst, es wird nicht besser. Aber ich mag solche poetischen Spiele.
Drangsal sind nun ein Trio mit Ihnen Lukas Korn und Marvin Holley. Verteilt das den Druck besser?
Gruber: Absolut, besonders songwriterisch. Ich kann mich aufs Texten konzentrieren, meine Ideen vager halten und Impulse etwas breiter fassen. Ich muss mir nicht schon am Anfang überlegen, wo das Ganze am Ende hingeht. Sondern ich kann erstmal etwas weniger geben und dann fühlen die anderen beiden es. Und sobald wir sozusagen eine Summe aus diesen drei Ideen haben, können wir dieses neue Filtrat dann weiterdenken als Dreiergespann. Das macht total Bock und führt einen natürlich auch an songwriterische Orte, an die man alleine vermutlich nicht gekommen wäre. Das hat dann gar nicht mehr so viel mit Druck zu tun, sondern es ist für mich eher einfach eine total schöne Erfahrung. So sind wir das dann auch mit der Live-Band angegangen und haben den Computer und das Metronom verbannt. Und ich habe auch niemandem irgendwelche Tonspuren oder dergleichen geschickt und gesagt, du musst genau das spielen, sondern wir trafen uns einfach und haben versucht, die Songs so zu erzählen, wie wir das als Sextett halt erzählen wollen – etwa beim Maifeld Derby.
Das Album klingt sehr organisch, viele echte Instrumente, bis hin zu Blues oder Gospel. Das könnte gewöhnungsbedürftig für manche Drangsal-Fans sein.
Gruber: Ja, danke, dass Sie die Frage so diplomatisch formulieren (lacht). Wer die aalglatte, hyperstilisierte Pop-Explosion mit Zuckerguss bis zur Diabetes abgefeiert hat, findet es vielleicht zum Kotzen.
Sind Synthesizer jetzt verboten?
Gruber: Nichts ist für immer verboten. Das wäre ja albern. Uns war zuerst wichtig, eine Momentaufnahme zu machen. Wir sind mit mal mehr, mal weniger vagen Skizzen in das Studio gegangen. Mit der Idee: Okay, wir hängen hier jetzt mal eine Woche ab zu dritt und machen eine Vorproduktion. Wir überlegen uns, wie wir diese Demos, die wir jetzt haben, ausstaffieren möchten. Und nach einer Woche kam Produzent Max Rieger dazu und hörte sich an, was wir da so gewerkelt hatten. Er sagte dann sofort: „Euch ist schon klar, dass das das Album ist. Also von wegen Vorproduktion, das seid ihr, das ist das, was wir machen werden.“ Wie wir dann zukünftig Musik weitermachen werden, in welcher Konstellation und mit welchen Maßstäben, das sei jetzt mal dahingestellt. Ich würde ungern so eine Aussage treffen: Das ist es jetzt und das bleibt so.
Es könnte ja weitergehen wie bei Depeche Mode, die live auf der „Playing The Angel“-Tour rockiger wurden, aber die Elektronik behielten. Könnte das ein Weg sein?
Gruber: Ich halte mir alle Möglichkeiten offen. Drangsal war immer dafür bekannt, dass jedes Album anders ist. Ob Lukas bei der nächsten Platte dabei ist, weiß ich nicht, aber ich wünsche es mir. Vielleicht schreiben wir sogar mit der sechsköpfigen Live-Band.
Zum Album
- Max Gruber, geboren am 4. August 1993 in Kandel , wuchs in Herxheim auf und ist in der Landauer Musikszene um das Indie-Pop-Trio Sizarr aufgewachsen.
- Er trat bis 2025 unter dem Künstler- und Bandnamen Drangsal (Leid) auf, der vom Namen eines pfälzischen Bestattungsinstituts inspiriert ist. Ein Studium (Amerikanistik, Anglistik, Soziologie) an der Uni Mannheim brach er nach wenigen Wochen ab.
- Das von Popakademiker Markus Ganter (Sizarr, Casper, Tocotronic) produzierte Debütalbum „Harieschaim“ (zu Deutsch: Herxheim, 2016) brachte Drangsal den Preis für Popkultur in der Kategorie „Hoffnungsvollster Newcomer“. 2017 wurde es für den Kritikerpreis beim Echo nominiert.
- Der Nachfolger „Zores“ erreichte 2018 Platz 12 der Albumcharts. Mit „Exit Strategy“ gelang 2021 auf Position sechs erstmals der Sprung in die TopTen .
- Das von Max Rieger (Die Nerven) produzierte vierte Album „Aus keiner meiner Brücken die in Asche liegen ist je ein Phönix emporgestiegen“ erscheint am 13. Juni 2025 bei Virgin. Hinter dem Namen steht jetzt ein Band-Trio mit Lukas Korn und Marvin Holly.
- Lukas Korn ist Gitarrist und Produzent , spielt bei Lyschko und seit 2020 Bass in der Drangsal-Liveband. Marvin Holley hat Jazz- und klassische Gitarre sowie Komposition in Stuttgart und Wien studiert , arbeitet mit Sam Vance-Law oder Fil Bo Riva und für Film und Theater.
- Live sind Drangsal zu sehen am 25. September im Stuttgarter Wizemann, am 26. im Frankfurter Zoom und am 27. Im Bürgerhaus Stollwerck in Köln. Karten und mehr Termine unter eventim.de. jpk
Ist es vielleicht ganz gut sich von dieser Neuen Neuen Deutschen Welle abzusetzen, obwohl sie die ja eigentlich losgetreten haben?
Gruber (lacht): Das weise ich ganz klar von mir. Ich bin wie Bart Simpson, der an die Tafel schreibt: „Ich bin nicht schuld!“ Okay, es gibt da ganz, ganz tolle junge Künstler wie Nils Keppel, Edwin Rosen oder Flawless Issues, Von denen hat der eine oder andere gesagt, er habe mit 16 oder 17 „Harieschaim“ gehört. Das fand ich total gut. Aber es wird mit Sicherheit nicht das einzige Album sein, was sie dazu bewegt hat, diese Szene ins Leben zu rufen. Und Sie wissen ja, wie das ist: Der eine hört sich etwas beim anderen ab. Das ist ja immer so, Musik führt zu Musik. Und ich glaube gar nicht, dass es so eine bewusste Entscheidung war, mich von diesem New-Wave- oder Post-Punk-Ding abzugrenzen. Das ist so ein Feld, das habe ich für mich erstmal auserzählt. Als ich mit den Songs meines Debüts angefangen habe, war ich halt 18 und jetzt werde ich bald 32. Nächstes Jahr ist die Veröffentlichung von „Harieschaim“ zehn Jahre her, und wir werden es nächstes Jahr komplett live spielen, von vorne bis hinten. Und ich freue mich wahnsinnig darauf, mir diese Sachen noch mal vorzunehmen. Deshalb spielen wir jetzt auf den Festivals auch keine frühen Songs wie „Alien Align“ oder „Love Me Or Leave Me Alone“.
Sie haben eine klassische Gesangsausbildung begonnen. Bei wem und wie ist Ihre Bilanz?
Gruber: Ich wusste, dass ich stimmliches Potenzial habe, besonders in der Höhe. Meine Technik war aber unterirdisch. Beate Gracher-Strodthoff, eine Berliner Opernsängerin, unterrichtet mich. Seit etwa zwei Jahren mache ich eine klassische Ausbildung zum Countertenor. Das passt wie die Faust aufs Auge.
Besteht dabei nicht die Gefahr, zu verkopfen?
Gruber: Ganz im Gegenteil: Es hat dazu geführt, dass ich entspannt und ohne die Angst auf die Bühne gehen kann, mir mit laienhaften Aufwärmübungen den Lack abgesungen zu haben. Ich gehe selbstsicherer mit meiner Stimme um.
Songs wie „Hab Gnade“ und „Funke & Benzin“ profitieren hörbar davon. Stimmen Sie zu?
Gruber: Absolut. Besonders in „Hab Gnade“ hört man die große Range von hart bis zart. Ich liebe den Endpart live, mit dem Keyboard-Solo. Es macht Spaß, und ich denke, man hört die Entwicklung.
Der Song „Ich hab von der Musik geträumt“ hat die Zeile „Da waren die Akkorde gestorben“ – das klingt dramatisch … steckt da mehr dahinter?
Gruber: Ich träume oft Musik, die beim Aufwachen weg ist. Es ist ein poetisches Spiel, kein Drama. Ich mag Lieder über Musik, wie in „Kellerparty“ mit „Ich überlege mir die schönsten Lieder und vergesse sie alle wieder“.
Haben Sie es am Derby-Wochenende zum Heimatbesuch nach Herxheim geschafft, oder war der Fahrplan zu eng?
Gruber: Der Fahrplan war zu eng. Der Nightliner fährt nachts, ob ich drin sitze oder nicht.
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