Ludwigshafen. Kaum zu glauben, was das 20. Jahrhundert an vielseitiger, aber auch vielschichtiger Kreativität hervorgebracht hat. Nicht nur in der Kunst. Auch in Politik, Gesellschaft oder Alltagskultur vollzogen sich rasante Veränderungen. Sie geben den Menschen noch heute das Gefühl, in einer sich ständig beschleunigenden Welt zu existieren. Mit ihrer Aufführungsserie „Modern Times“ erinnert die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz an eine Lebenswelt, deren gravierende Umwälzungen auch in der neueren Musikgeschichte einen nachdrücklichen Widerhall gefunden haben.
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Wer sich, wie der 1954 geborene US-Amerikaner Michael Daugherty, für seine zwischen 1988 und 1993 entstandene „Metropolis Symphony“ von Superman anregen ließ, sah sich vermutlich gezwungen, auch eine angemessen abenteuerliche Musik zu erfinden. Vermutlich deshalb beschallt er, abgesehen von wenigen moderaten Stellen (Anfang des fünften Satzes), mit der geballten Kraft eines opulent besetzten Orchesters unsere Ohren und verdrängt so die eigentlich farbenreiche Instrumentierung. Immerhin denkbar, dass sich hinter dieser lautstarken Geräuschkulisse eine als grenzenlos vital gepriesene Lebenswelt verbergen soll. Schwer zu ertragen ist sie dennoch.
Orchestrale Verdichtungen
Auch wenn die Staatsphilharmonie unter Michael Francis den extremen Klang-Eruptionen bewundernswert aufgeschlossen und präzise begegnet. Eine Art Dynamik in Nahaufnahme, als würde man den elementaren Aufriss und das bestürzend Unberechenbare dieser Musik konsequent auf die Schrecken unserer modernen Zeit zurückführen.
Eine Wohltat im Vergleich dazu ist das fünfte Klavierkonzert des ukrainischen Komponisten Nikolai Kapustin von 1993. Zwar kommt es auch hier zu orchestralen Verdichtungen. Doch im Unterschied zu Daugherty, der offenbar eine Comic-Vorlage dramatisiert, folgt Kapustin logisch-musikalischen Strukturen. Das sichert seinem Stück Transparenz und eine klare Differenzierung im beglückend pointierten Zusammenspiel mit dem 1991 in Rastatt geborenen fabelhaften Pianisten Frank Dupree, der auch Gewinner des International Classical Music Award und des Opus Klassik ist.
Eindrucksvoll, wie er die inspirierende Motorik und Rhythmik des Werkes konzentriert erfasst und beides in seinen phrasierungsreichen Bewegungsstrom einfließen lässt. Auf diese Weise entstehen wunderbare Dialoge zwischen dem Jazz als Ausdruck eines freiheitlichen Lebensgefühls und der verbindlichen Überschaubarkeit klassischer Inhalte und Formen. Ein aufregender von der Deutschen Staatsphilharmonie souverän unterstützter Verschmelzungsprozess, der die Schwingungen beider Stile optimal in der Balance hält.
Amerikanisches Lebensgefühl
George Gershwin schrieb sein Orchesterstück „Ein Amerikaner in Paris“ 1928. Damals besuchte er zwei Monate lang die französische Metropole und hatte dort offensichtlich nichts Besseres zu tun, als sich der Huperei und dem Autolärm der großen Boulevards auszusetzen. Einige Eindrücke davon sind, zusammen mit seinen schwankenden Stimmungen und seinem Heimweh nach New York, in die Partitur zwischen Blues, Charleston oder Ragtime eingesickert.
Komponiert hat Gershwin in Paris eine Musik, die noch immer elektrisiert. Sie erzählt viel vom unruhigen amerikanischen Lebensgefühl jener Zeit. Den Mitgliedern der Deutschen Staatsphilharmonie und ihrem Dirigenten Michael Francis bot sie Gelegenheit, erneut zu beweisen, wie einfühlsam und genau sie instrumentale Farben und rhythmische Dynamik raumgreifend zu gestalten wissen.
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