Filmschätze - Private Aufnahmen von 1971 erinnern an die glanzvolle Zeit der Oberrheinischen Ruderregatta mit bis zu 25 000 Zuschauern

Spitzensport im Hafenbecken

Von 
Peter W. Ragge
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Publikum am Ufer (großes Bild), die Ruderboote im Vergleich im Containerterminal winzig klein – schon verblasste Impressionen aus dem Film über die Oberrheinische Ruderregatta im Mühlauhafen. Rechts unten im Bild das Zielhaus. © marchivum

Es gibt sie nicht mehr, seit dem Jahr 2000: die legendäre Oberrheinische Ruderregatta im Mühlauhafen. Doch daran erinnern nun Aufnahmen von 1971, die Klaus Hiltscher zusammen mit einigen Super-8-Spulen aus den 1970er Jahren dem Marchivum als Schenkung überlassen hat. Frisch digitalisiert, bleiben sie daher nun der Nachwelt erhalten – als Zeugnis eines einst bedeutenden Sportereignisses.

Erst denkt man an Camping. Eine Frau im Badeanzug sitzt in einem Campingstuhl und strickt. Aber um sie herum ist viel los. Man sieht das Publikum auf der Tribüne, die Offiziellen im Zielhaus, junge Frauen im Bikini. Bootsanhänger mit Ruderbooten werden von Hand die Straße entlang gezerrt. Man erkennt junge Leute, die über die Gleise der Hafenbahn springen, am Zielhaus viele aufgestellte Tische und Bänke.

Immer wieder schwenkt die Kamera zum Becken des Mühlauhafens, wo schnell durch das Wasser gleitende Ruderbote zu sehen sind – vor der Kulisse hoch aufgetürmter Container, vor Kränen und Lagerhäusern. Auch Siegerehrungen mit Handschlag und der Überreichung von Medaillen oder Pokalen sind zu erkennen.

Die Aufnahmen stammen vom Hobbyfilmer Peter „Pit“ Wilberg. „Sie dokumentieren den Zeitgeist der 70er“, so Désirée Spuhler, Leiterin der Audiovisuellen Sammlung beim Marchivum. Sie dokumentieren aber auch ein großes Sportereignis, das indes längst Geschichte ist.

Dabei hat sie eine sehr lange Tradition. Schon im März 1878 gründen die Amicitia und der Mannheimer Ruderclub von 1875 den Mannheimer Regattaverein, um gemeinsam Großveranstaltungen auszurichten. Bereits im August 1878 startet erstmals die Oberrheinische Ruderregatta. Im erst drei Jahre zuvor eröffneten, parallel zum Rhein liegenden Becken des Mühlauhafens gehen 20 Boote mit 88 Ruderern an den Start. Nach und nach wird der Zusammenschluss größer, treten die Mannheimer Rudergesellschaft Baden, die Ruderer von Rheinau, der Volkstümliche Wassersport Mannheim sowie Vereine aus Ludwigshafen und Frankenthal bei.

Zwar ist der Mühlauhafen eigentlich zu klein – er bietet nur eine Streckenlänge von 1875 Metern statt der für internationale Titelkämpfe eigentlich erforderlichen 2000 Meter. Doch eine geschickte Vereinsführung propagiert das als „Mannheimer Meile“. Da der Hafen abgesperrt werden kann und etwas windgeschützter als ein Fluss liegt, schätzen die Sportler ihn als idealen Platz fürs Regattarudern – zumal das Interesse des Publikums immer groß ist, die Ausrichter für eine gute Atmosphäre und Betreuung sorgen. Olympiasieger und Weltmeister gehen daher gerne im Hafenbecken an den Start. Der Deutsche Ruderverband vergibt einige Male sogar nationale Titelkämpfe nach Mannheim. 10 000 Zuschauer bejubeln 1953 gleich zwei Mannheimer Boote im Finale, darunter der siegreiche Amicitia-Achter mit dem später bei Olympischen Spielen als Trainer so erfolgreichen Hans Bichelmeier am Steuer.

Es ist insbesondere Victor Beyer, der ab 1969 als Vorsitzender des Regattavereins die „Oberrheinische“ zu einzigartiger Blüte führt und sie zum wichtigsten Ruderertreff des Kontinents und zugleich zum Markenzeichen Mannheims ausbaut. Selbst als der Ostblock noch abgeschottet ist, schafft er es, Athleten aus diesen Ländern nach Mannheim zu bringen – und sie dürfen sogar in der Ludwig-Frank-Kaserne der Bundeswehr übernachten.

Nur noch Nachwuchs am Start

Zur 100. Regatta kommen 1800 aktive Ruderer aus 22 Nationen und 25 000 Zuschauer – was jedoch leider den Regattaverein finanziell kräftig ins Schlingern bringt, worauf Beyer den Vorsitz abgibt. Wie die Regatta danach immer bedeutungsloser wird, schmerzt ihn bis zu seinem Tod im Jahr 2000.

Ende der 1990er Jahre, nach dem Bau einer neuen Strecke in Köln, erhält Mannheim zunehmend Konkurrenz. Mal verhindert Hochwasser einen Start der Ruderer, mal gibt es Terminprobleme, dazu kommen fehlende Helfer und Sponsoren, Rücktritte im Vorstand. Ab dem Jahr 2000 legt der Deutsche Ruderverband auf den Traditionstermin der Mannheimer Regatta die Deutsche Meisterschaft – und damit ist die Zeit des Ruder-Spitzensports in Mannheim endgültig vorbei. Bei Junioren, Senior-Rennen und Kindern hat die „Oberrheinische“ aber nach wie vor einen guten Klang.

Lokales

"Filmschätze retten": Oberrheinische Ruderregatta im Mühlauhafen 1971

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Redaktion Chefreporter

Thema : Filmschätze retten

  • Mannheim Es ging los mit dem Großherzog

    Er trägt Uniform mit Pickelhaube, die Herren um ihn herum Frack und Zylinder – den sie aber flink und ehrerbietig vor ihm ziehen. Schließlich lautet seine Anrede „Königliche Hoheit“. Es ist der Erbgroßherzog Friedrich II. von Baden. Am 1. Mai 1907 kommt er nach Mannheim. Der Film davon sind die ältesten Bewegtbild-Aufnahmen, die es von Mannheim gibt. Sie stellte diese Zeitung im Oktober 2017 vor und begann damit die Serie „Filmschätze retten“. Heute endet sie, und alle Leser können zum Abschluss eine DVD mit historischen Streifen gewinnen. Die Aktion „Filmschätze retten“: hatten Marchivum und Freundeskreis Marchivum gestartet und als Unterstützer dafür diese Zeitung gewonnen. Zunächst ging es um Spenden für die Digitalisierung der rund 500 Filme umfassenden Sammlung. Den alten Rollen drohte das Essigsäure-Syndrom, sie lösen sich also durch chemische Prozesse auf. „Nur wenn der analoge Bestand digitalisiert wird, kann er für künftige Generationen gerettet werden“, so Marchivum-Direktor Ulrich Nieß. 67 500 Euro an Spenden Bis Juli 2018 haben wir jeden Donnerstag unter dem Motto „Filmschätze retten“ historische Aufnahmen aus den Beständen des Marchivum vorgestellt – auf dieser Seite im Kulturteil und im Morgenweb. Wegen der großen Resonanz setzten wir die Serie nach Abschluss der Spendenaktion fort, veränderten aber Ziel und Rhythmus. Ab September 2018 gab es jeweils am ersten Donnerstag im Monat Bilder und Informationen zu einem historischen Film – verbunden mit einem neuen Aufruf des Marchivum. Es bat darum, dass viele Mannheimer ihre privaten Filmschätze dem Marchivum anbieten, damit sie digitalisiert, fürs Archiv erschlossen und (auf Wunsch) zurückgegeben werden. Auf beide Aufrufe gab es sehr viele Reaktionen. Die Spendenaktion erbrachte 67 500 Euro. „Damit haben wir unseren Filmbestand komplett digitalisieren können“, so Désirée Spuhler, der die audiovisuelle Sammlung des Marchivum untersteht. Überwiegend handelte es sich um Stummfilmmaterial. Dazu verfasste dann Julia Scialpi vom Freundeskreis Marchivum Texte für eine Vertonung, die Stadträtin und Freundeskreis-Vorsitzende Helen Heberer als Sprecherin aufnahm. Technische Hilfe bei der Umsetzung leistete Andreas Etzold (RNF). 21 dieser Clips sind nun auch auf DVD verewigt. Aufnahmen vom Krieg, vom Wiederaufbau des zerstörten Mannheim, vom legendären Blumencorso des Einzelhandels 1967, der Tombola für den Wiederaufbau des Nationaltheaters 1957, vom alten Planetarium 1935, von der Überführung des Sargs des Kurfürsten in die Schlosskirche 1957, vom Besuch von Bundeskanzler Konrad Adenauer im Rosengarten 1953, vom Autohaus Kannenberg mitten im „Wirtschaftswunder“ 1956, von einer „Zeppelin“-Landung 1930, vom alten Eisstadion Friedrichspark 1938, aber auch seltene Luftaufnahmen von 1926, von Nazi-Propaganda und den bald darauf enteigneten jüdischen Geschäften weckten viele Erinnerungen und zeigten den beeindruckenden Wandel der Stadt. Außer den vielen Geldspenden sind zudem über 100 private Filmspulen abgegeben worden, die nun – digitalisiert – die Marchivum-Bestände bereichern und künftig auch für Ausstellungen verwendet werden können. Nieß spricht daher zufrieden von „einem höchst erfolgreichen Projekt“. Schauen und Staunen „Wir haben allen Spendern zu danken und sind von der Breite der Unterstützung und dem Engagement des „Mannheimer Morgen“ überwältigt“, so Nieß. Der Erfolg der Aktion „Filmschätze retten“ sei dabei „nicht in Geld aufzuwiegen“, betont der Direktor. „Nicht nur, dass die erforderliche Spendensumme für die Digitalisierung der Filme zusammen kam, vielmehr trägt die Aktion zur Identitätsstiftung mit dem Marchivum bei“, freut er sich. „Hier ist der Ort für eine breit aufgestellte audiovisuelle Sammlung, die eindrucksvoll Mannheims Geschichte in Bildern dokumentiert. Das animiert zum Schauen, Staunen, aber auch zur Nachdenklichkeit, wie wir mit unserem historischen Erbe umgehen wollen“, so Ulrich Nieß.

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