Es gibt sie nicht mehr, seit dem Jahr 2000: die legendäre Oberrheinische Ruderregatta im Mühlauhafen. Doch daran erinnern nun Aufnahmen von 1971, die Klaus Hiltscher zusammen mit einigen Super-8-Spulen aus den 1970er Jahren dem Marchivum als Schenkung überlassen hat. Frisch digitalisiert, bleiben sie daher nun der Nachwelt erhalten – als Zeugnis eines einst bedeutenden Sportereignisses.
Erst denkt man an Camping. Eine Frau im Badeanzug sitzt in einem Campingstuhl und strickt. Aber um sie herum ist viel los. Man sieht das Publikum auf der Tribüne, die Offiziellen im Zielhaus, junge Frauen im Bikini. Bootsanhänger mit Ruderbooten werden von Hand die Straße entlang gezerrt. Man erkennt junge Leute, die über die Gleise der Hafenbahn springen, am Zielhaus viele aufgestellte Tische und Bänke.
Immer wieder schwenkt die Kamera zum Becken des Mühlauhafens, wo schnell durch das Wasser gleitende Ruderbote zu sehen sind – vor der Kulisse hoch aufgetürmter Container, vor Kränen und Lagerhäusern. Auch Siegerehrungen mit Handschlag und der Überreichung von Medaillen oder Pokalen sind zu erkennen.
Die Aufnahmen stammen vom Hobbyfilmer Peter „Pit“ Wilberg. „Sie dokumentieren den Zeitgeist der 70er“, so Désirée Spuhler, Leiterin der Audiovisuellen Sammlung beim Marchivum. Sie dokumentieren aber auch ein großes Sportereignis, das indes längst Geschichte ist.
Dabei hat sie eine sehr lange Tradition. Schon im März 1878 gründen die Amicitia und der Mannheimer Ruderclub von 1875 den Mannheimer Regattaverein, um gemeinsam Großveranstaltungen auszurichten. Bereits im August 1878 startet erstmals die Oberrheinische Ruderregatta. Im erst drei Jahre zuvor eröffneten, parallel zum Rhein liegenden Becken des Mühlauhafens gehen 20 Boote mit 88 Ruderern an den Start. Nach und nach wird der Zusammenschluss größer, treten die Mannheimer Rudergesellschaft Baden, die Ruderer von Rheinau, der Volkstümliche Wassersport Mannheim sowie Vereine aus Ludwigshafen und Frankenthal bei.
Zwar ist der Mühlauhafen eigentlich zu klein – er bietet nur eine Streckenlänge von 1875 Metern statt der für internationale Titelkämpfe eigentlich erforderlichen 2000 Meter. Doch eine geschickte Vereinsführung propagiert das als „Mannheimer Meile“. Da der Hafen abgesperrt werden kann und etwas windgeschützter als ein Fluss liegt, schätzen die Sportler ihn als idealen Platz fürs Regattarudern – zumal das Interesse des Publikums immer groß ist, die Ausrichter für eine gute Atmosphäre und Betreuung sorgen. Olympiasieger und Weltmeister gehen daher gerne im Hafenbecken an den Start. Der Deutsche Ruderverband vergibt einige Male sogar nationale Titelkämpfe nach Mannheim. 10 000 Zuschauer bejubeln 1953 gleich zwei Mannheimer Boote im Finale, darunter der siegreiche Amicitia-Achter mit dem später bei Olympischen Spielen als Trainer so erfolgreichen Hans Bichelmeier am Steuer.
Es ist insbesondere Victor Beyer, der ab 1969 als Vorsitzender des Regattavereins die „Oberrheinische“ zu einzigartiger Blüte führt und sie zum wichtigsten Ruderertreff des Kontinents und zugleich zum Markenzeichen Mannheims ausbaut. Selbst als der Ostblock noch abgeschottet ist, schafft er es, Athleten aus diesen Ländern nach Mannheim zu bringen – und sie dürfen sogar in der Ludwig-Frank-Kaserne der Bundeswehr übernachten.
Nur noch Nachwuchs am Start
Zur 100. Regatta kommen 1800 aktive Ruderer aus 22 Nationen und 25 000 Zuschauer – was jedoch leider den Regattaverein finanziell kräftig ins Schlingern bringt, worauf Beyer den Vorsitz abgibt. Wie die Regatta danach immer bedeutungsloser wird, schmerzt ihn bis zu seinem Tod im Jahr 2000.
Ende der 1990er Jahre, nach dem Bau einer neuen Strecke in Köln, erhält Mannheim zunehmend Konkurrenz. Mal verhindert Hochwasser einen Start der Ruderer, mal gibt es Terminprobleme, dazu kommen fehlende Helfer und Sponsoren, Rücktritte im Vorstand. Ab dem Jahr 2000 legt der Deutsche Ruderverband auf den Traditionstermin der Mannheimer Regatta die Deutsche Meisterschaft – und damit ist die Zeit des Ruder-Spitzensports in Mannheim endgültig vorbei. Bei Junioren, Senior-Rennen und Kindern hat die „Oberrheinische“ aber nach wie vor einen guten Klang.
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