Filmschätze - Private Aufnahmen von einem Renntag 1926 und der Rückkehr der siegreichen Reiter in das damals noch selbstständige Dorf

Im Galopp durch Seckenheim

Von 
Peter W. Ragge
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Gewagte Ritte – auf der Rennbahn (oben) und danach zurück durch den alten Dorfkern von Seckenheim zeigen die privaten Aufnahmen von 1926. © Marchivum

Man kann die starke Spannung, die große Aufregung der Menschen spüren und sehen – auch wenn es kein Tonfilm ist: Private Aufnahmen von einem Pferderennen in Seckenheim von 1926 bereichern, inzwischen digitalisiert und damit der Nachwelt erhalten, nun die Sammlung der Filmschätze im Marchivum, Mannheims Haus der Stadtgeschichte und Erinnerung.

Zu sehen ist ein Hürdenlauf badischer Halbblüter, die in rasantem Tempo die nur mit etwas Reisig ausgestopften hölzernen Hindernisse überwinden. Auf einem kleinen Hügel stehen Menschenmassen, auch ganz nah am Geläuf drängen sie sich. Die Männer tragen, wie damals üblich, Anzug, und winken mit ihren Hüten, feuern die Jockeys an. Der Richterturm ist nur ein Gestell aus Holz, es ist alles noch nicht so professionell wie heute – aber man sieht, dass die Pferderennen einen großen Publikumsmagneten darstellen.

Und nicht nur das Rennen selbst zeigt der Film. Die Aufnahmen beinhalten auch die triumphale Rückkehr der erfolgreichen Reiter in den Ort. Die Menschen stehen an den Straßenrändern oder an den Fenstern, winken und jubeln. Autos? Fehlanzeige. Nur einige Fahrräder und ein Fuhrwerk sind auf den Straßen des Dorfes Seckenheim – damals noch nicht eingemeindet, das folgte erst 1930 – zu sehen.

„Froma-Film“ steht auf einem Schriftzug am Beginn des Streifens. Als Hersteller wird Fred Löffel genannt, die Aufnahmen stammten von Fritz Rottenwallner. Vermittelt wurde dem Marchivum dieser Film zusammen mit Aufnahmen der Einweihung der Ilvesheim-Seckenheimer Neckarbrücke vom 9. April 1927 vom Förderverein historisches Seckenheim. Besitzer der von der Auflösung bedrohten Nitrofilmspulen ist Michael Kaltenegger, der sie dem Marchivum zur Digitalisierung überließ. „Nun sind zwei wichtige Zeitdokumente Seckenheimer Geschichte gesichert und zugänglich gemacht“, freut sich Désirée Spuhler, die Leiterin der Audiovisuellen Sammlung vom Marchivum.

Die Aufnahmen sind auch eine wichtige Erinnerung an jene Zeit, als im heutigen Mannheim gleich an zwei Stellen Pferderennen ausgetragen werden. Am 8. Mai 1836 galoppieren die Vierbeiner erstmals über den damaligen Exerzierplatz, gelegen östlich der Otto-Beck-Straße auf dem heute mit der Oststadt bebauten Areal. 1868 schlägt der Landwirtschaftliche Bezirksverein dem Stadtrat vor, Pferderennen an den Neuwiesen am Neckardamm (heute Luisenpark) weit außerhalb der Stadt, die damals am gerade im Bau befindlichen Wasserturm endet, auszutragen. Dort findet am 3. Mai 1868 der erste Renntag statt. Offiziell gegründet wird der „Mannheimer Rennverein“ am 29. Dezember 1868. Gewettet werden darf ab 1887 – da wird der Totalisator eingeführt.

Parallel dazu entsteht der Pferdezucht- und Rennverein Mannheim-Seckenheim. Der wird 1888 gegründet. Zunächst trägt er auf dem Neckarvorland, ab 1925 auf einer Waldrennbahn Rennen aus. Die aber muss 1934 dem Bau der Reichsautobahn weichen. Nach dem Krieg sind die Seckenheimer schneller, gründen 1949 neu und erstellen 1950 im Dossenwald eine Bahn. Motor ist Carl Lochbühler, Enkel des Vereinsmitbegründers Georg Lochbühler, und bis heute sind dessen Nachkommen sehr große Förderer des Turfsports.

Fusion beider Vereine

Der Badischen Rennverein steht nach dem Zweiten Weltkrieg vor dem Nichts. Die alte Rennwiese nutzen die Amerikaner als Golfplatz, dann breiten sich dort andere Vereine, von Turnern über Golfer bis zum Reiterverein, aus. Zur Bundesgartenschau 1975 wird der Luisenpark um die Rennwiese erweitert, die heute Freizeitwiese heißt.

Daher beschließen 1968 beide Mannheimer Rennvereine eine Fusion. Die Waldrennbahn wird ausgebaut und am 29. April 1973 hier der erste große Renntag, im Juni 1973 die „Badenia“ ausgetragen. Neue Tribüne, edler VIP-Bereich – längst umweht die Waldrennbahn ein Hauch von Ascot, sieht man Damen der Mannheimer Gesellschaft hier mit schicken, teils gewagten Hutkreationen, die spitze Schreie ausstoßen, wenn ihr Favorit gewinnt – oder eben nicht.

Kontakt

  • Unter dem Motto „Filmschätze retten“ unterstützt diese Zeitung die Aktion vom Marchivum, noch mehr Material für die Filmbestände von Mannheims Archiv auch von Privatleuten zu erhalten.
  • Daher werden jeweils am ersten Donnerstag im Monat, der ein Werktag ist, an dieser Stelle alte Aufnahmen vorgestellt – um auch andere Mannheimer anzuregen, ihre Filmschätze dem „Gedächtnis der Stadt“ zur Digitalisierung zur Verfügung zu stellen (auch leihweise):
  • Marchivum, Désirée Spuhler, AV-Sammlung, Archivplatz 1, 68169 Mannheim,Tel.: 0621/293 77 31, desiree.spuhler@mannheim.de 
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Pferderennen 1926: Im Galopp durch Seckenheim

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Thema : Filmschätze retten

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    Er trägt Uniform mit Pickelhaube, die Herren um ihn herum Frack und Zylinder – den sie aber flink und ehrerbietig vor ihm ziehen. Schließlich lautet seine Anrede „Königliche Hoheit“. Es ist der Erbgroßherzog Friedrich II. von Baden. Am 1. Mai 1907 kommt er nach Mannheim. Der Film davon sind die ältesten Bewegtbild-Aufnahmen, die es von Mannheim gibt. Sie stellte diese Zeitung im Oktober 2017 vor und begann damit die Serie „Filmschätze retten“. Heute endet sie, und alle Leser können zum Abschluss eine DVD mit historischen Streifen gewinnen. Die Aktion „Filmschätze retten“: hatten Marchivum und Freundeskreis Marchivum gestartet und als Unterstützer dafür diese Zeitung gewonnen. Zunächst ging es um Spenden für die Digitalisierung der rund 500 Filme umfassenden Sammlung. Den alten Rollen drohte das Essigsäure-Syndrom, sie lösen sich also durch chemische Prozesse auf. „Nur wenn der analoge Bestand digitalisiert wird, kann er für künftige Generationen gerettet werden“, so Marchivum-Direktor Ulrich Nieß. 67 500 Euro an Spenden Bis Juli 2018 haben wir jeden Donnerstag unter dem Motto „Filmschätze retten“ historische Aufnahmen aus den Beständen des Marchivum vorgestellt – auf dieser Seite im Kulturteil und im Morgenweb. Wegen der großen Resonanz setzten wir die Serie nach Abschluss der Spendenaktion fort, veränderten aber Ziel und Rhythmus. Ab September 2018 gab es jeweils am ersten Donnerstag im Monat Bilder und Informationen zu einem historischen Film – verbunden mit einem neuen Aufruf des Marchivum. Es bat darum, dass viele Mannheimer ihre privaten Filmschätze dem Marchivum anbieten, damit sie digitalisiert, fürs Archiv erschlossen und (auf Wunsch) zurückgegeben werden. Auf beide Aufrufe gab es sehr viele Reaktionen. Die Spendenaktion erbrachte 67 500 Euro. „Damit haben wir unseren Filmbestand komplett digitalisieren können“, so Désirée Spuhler, der die audiovisuelle Sammlung des Marchivum untersteht. Überwiegend handelte es sich um Stummfilmmaterial. Dazu verfasste dann Julia Scialpi vom Freundeskreis Marchivum Texte für eine Vertonung, die Stadträtin und Freundeskreis-Vorsitzende Helen Heberer als Sprecherin aufnahm. Technische Hilfe bei der Umsetzung leistete Andreas Etzold (RNF). 21 dieser Clips sind nun auch auf DVD verewigt. Aufnahmen vom Krieg, vom Wiederaufbau des zerstörten Mannheim, vom legendären Blumencorso des Einzelhandels 1967, der Tombola für den Wiederaufbau des Nationaltheaters 1957, vom alten Planetarium 1935, von der Überführung des Sargs des Kurfürsten in die Schlosskirche 1957, vom Besuch von Bundeskanzler Konrad Adenauer im Rosengarten 1953, vom Autohaus Kannenberg mitten im „Wirtschaftswunder“ 1956, von einer „Zeppelin“-Landung 1930, vom alten Eisstadion Friedrichspark 1938, aber auch seltene Luftaufnahmen von 1926, von Nazi-Propaganda und den bald darauf enteigneten jüdischen Geschäften weckten viele Erinnerungen und zeigten den beeindruckenden Wandel der Stadt. Außer den vielen Geldspenden sind zudem über 100 private Filmspulen abgegeben worden, die nun – digitalisiert – die Marchivum-Bestände bereichern und künftig auch für Ausstellungen verwendet werden können. Nieß spricht daher zufrieden von „einem höchst erfolgreichen Projekt“. Schauen und Staunen „Wir haben allen Spendern zu danken und sind von der Breite der Unterstützung und dem Engagement des „Mannheimer Morgen“ überwältigt“, so Nieß. Der Erfolg der Aktion „Filmschätze retten“ sei dabei „nicht in Geld aufzuwiegen“, betont der Direktor. „Nicht nur, dass die erforderliche Spendensumme für die Digitalisierung der Filme zusammen kam, vielmehr trägt die Aktion zur Identitätsstiftung mit dem Marchivum bei“, freut er sich. „Hier ist der Ort für eine breit aufgestellte audiovisuelle Sammlung, die eindrucksvoll Mannheims Geschichte in Bildern dokumentiert. Das animiert zum Schauen, Staunen, aber auch zur Nachdenklichkeit, wie wir mit unserem historischen Erbe umgehen wollen“, so Ulrich Nieß.

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