Mannheim. Der eine geht, der andere kommt. Der eine, Michael Grötsch (CDU) waltete stolze 16 Jahre seines Amtes. Der andere, Thorsten Riehle (SPD), wollte eigentlich Oberbürgermeister werden – und schließt im Interview mit dieser Redaktion auch nicht aus, es 2031 noch mal zu versuchen: „Ich bin ja ein kluger Mensch“, sagt er über sich augenzwinkernd, „und kluge Menschen schließen zunächst mal nichts aus.“ Wie er sich die Kulturpolitik in Mannheim vorstellt, darüber sprechen wir mit Riehle, der am Freitag, 1. März, seinen ersten Tag als Bürgermeister für Wirtschaft, Arbeit, Soziales und Kultur erlebt.
Herr Riehle, erst mal Gratulation: Sie sind Bürgermeister. Emotional stelle ich mir das nicht leicht vor: vom Capitol-Chef zum OB-Kandidaten zum Kulturbürgermeister. Was macht das mit Ihnen?
Thorsten Riehle: Ich bin unglaublich neugierig auf das Amt. Es geht ja nicht nur um Kultur, sondern auch um Wirtschaft, Arbeit und Soziales. Das alles ist vor allem im Zusammenspiel ein spannender Aspekt in der Gesellschaft. Ich habe schon viele tolle Menschen kennengelernt, mit denen ich jetzt zu tun haben werde.
Und emotional?
Riehle: Das hat schon ein wenig gedauert, das wegzustecken. Natürlich habe ich mich nach dem Marathon gefragt: Was hätte ich noch tun können, wo war ich nicht präsent? Aber das alles ist egal. Ich muss die Fakten annehmen. Ich konnte schnell umschalten und habe mich nicht verkrochen. Letztlich bin ich zufrieden damit, wie es gelaufen ist.
Sie übernehmen jetzt Dezernat II von Michael Grötsch, bei dem man nicht immer den Eindruck hatte, dass Kultur sein wichtigster Bereich war. Bei Ihnen könnte man da auf andere Gedanken kommen …
Riehle: (lacht)
… welche Rolle wird sie bei Ihnen spielen?
Riehle: Der Unterschied war: Mit Peter Kurz als OB hatten wir natürlich jemanden, der immer darüber nachgedacht hat, wie man mit Kultur die Gesellschaft verändern kann. Da hat er es ihm auch nicht immer einfach gemacht, das zu spielen, auch wenn ich sagen muss, dass Bürgermeister Grötsch und ich während Corona große Auseinandersetzungen darüber hatten, was Kultur in dieser Zeit hätte leisten sollen. Das ist jetzt aber sowieso anders: Christian Specht belegt das Thema Kultur nicht wie vorher Kurz.
Seit langem trägt die Szene durchaus auch Verteilungskämpfe aus – die Großen wollen nichts hergeben, die Kleinen kämpfen ums Überleben. Was liegt im Argen? Wo wollen Sie nachbessern?
Riehle: Pauschal gesagt: in der Projektmittelförderung. Der Topf ist zu klein für die vielen Projekte. Eigentlich sind solche Mittel dazu da, einfach mal machen zu können, zu experimentieren. Das gehört zwingend zur Kultur. Sie muss sich ausprobieren und den Freiraum dafür haben. Hier müssen wir nachbessern.
Die Kultur ist nicht Bittsteller, sie stellt unsere gesellschaftliche Basis her. Deshalb müssen wir das mindestens stabilisieren
Aber auch die freie Szene will nicht nur von Projekt zu Projekt gefördert werden, sondern institutionell. Beispiel Timo Kumpf mit dem Maifeld Derby, Thomas Siffling oder die Mannheimer Philharmoniker …
Riehle: Genau deswegen haben wir die institutionelle Förderung im letzten Jahr um 700 000 Euro erhöht und mehr Kulturschaffende in die institutionelle Förderung gebracht, auch solche, die mit ihrer Kulturarbeit anerkannt sind. Das sind ja Erfolge, die man nicht ignorieren kann. Ich wage aber dennoch die Prognose, dass uns so große Sprünge in den nächsten Jahren nicht wieder gelingen werden, weil die kommunalen Haushalte enormen Druck haben. Die Verteilungskämpfe werden also noch größer. Für mich ist es wichtig, nicht von Subvention, sondern von Investitionen zu sprechen. Die Kultur ist nicht Bittsteller, sie stellt unsere gesellschaftliche Basis her. Deshalb müssen wir das mindestens stabilisieren.
Sie selbst kommen ja von der freien und wirtschaftlich unabhängigen Ecke der Kultur. Die großen Ausgaben für die kulturellen Flaggschiffe haben Sie auch immer wieder kritisiert. Was ist ihr Verhältnis zur sogenannten Repräsentationskultur, wie man sie in der Kunsthalle oder im Nationaltheater erleben kann?
Riehle: Da ging es aber immer mehr um Inhalte und nicht um ein Infragestellen der finanziellen Investition an sich. Die braucht es. Meine Kritik bezog sich immer auf so Themen wie Transparenz. Ein Beispiel: Weshalb städtische Unternehmen Vergünstigungen beim Plakatieren bekommen.
Thorsten Riehle
- Der Politiker: Thorsten Riehle (SPD) ist seit 1. März 2024 Bürgermeister im Dezernat II der Stadt Mannheim und verantwortet damit die Bereiche Wirtschaft, Arbeit, Soziales und Kultur. Seit 2014 war er Gemeinderat und ab Ende 2020 SPD-Fraktionsvorsitzender.
- Der Geschäftsführer: Nach einem Intermezzo als Pressesprecher produzierte Riehle das Musical „Human Pacific“ und kam zum Capitol. Von 1997 bis 2024 war er Chef des Kulturhauses.
- Der Mannheimer: Geboren 1970 in Mannheim, machte er sein Abitur am Friedrich-List-Wirtschaftsgymnasium, studierte Politologie, BWL und Erziehungswissenschaften und volontierte bei der „Schwetzinger Zeitung“. Er ist mit Markus Schwarz-Riehle verheiratet. dms
Weil sie nicht profitorientiert arbeiten?
Riehle: Ja, das stimmt aber schon bei der Alten Feuerwache nicht mehr, die eine gGmbH ist und genauso wie ein freies Haus Geld verdienen muss. Das muss austariert werden.
Ihre Gestaltungsspielräume werden nicht groß sein. Die meisten Gelder sind verplant, die Verträge – etwa für die Intendanten des Nationaltheaters – sind unter Dach und Fach. Man würde ja vermuten, dass mit dem Kulturbürgermeister Riehle ein Paradigmenwechsel stattfindet. Kann es den geben?
Riehle: (überlegt lang) Jein. (lacht) Er kommt nicht, weil ich jetzt nicht überall den Geldhahn zudrehe. Aber er kommt im Mind Set (auf Deutsch: Denkweise, Anm. d. Red.). Sich zu vergegenwärtigen, dass es über die eigenen Betriebe hinaus sehr viel gibt, das auch eine Rolle spielt – das will ich anstoßen. Mein Paradebeispiel ist: Ich vermisse total das Stadtmagazin „Meier“ und auch das „Morgen Magazin“. Warum? Wir konnten hier auf einen Blick nachvollziehen, wie viel Kultur in Mannheim steckt. Das erlebe ich im Moment nirgendwo mehr – nicht kuratiert jedenfalls. Da würde ich gern mal gemeinsam überlegen, ob uns nicht eine Alternative dazu einfällt.
Wir müssen rechtfertigen können, warum wir mehr als die Hälfte des Kulturetats ans Nationaltheater geben – auch mit Auslastungszahlen
Gemeinsam mit wem?
Riehle: Mit allen Kultureinrichtungen und den Medien, die dabei helfen können. Die Stadt soll das nicht selbst machen. Aber unsere Rolle ist, das zu moderieren. Das ist die Aufgabe der Verwaltung und auch die eines Kulturdezernenten. Vielleicht bekommen wir zusammen mit Ihnen beim „Mannheimer Morgen“, aber auch mit Radio und Fernsehen etwas hin.
Mannheim ist Musik- und Nationaltheaterstadt. Am meisten Murren hört man immer aus den Kunst- und Rockbandecken. Dort beklagt man zu wenig Raum. Was muss passieren?
Riehle: Ich sehe das genau so. Wir haben zu wenig Probenräume und darüber hinaus die Fragestellung, was mit dem Musikpark passiert, dessen Gebäude zum Greentechzentrum konvertiert wird. Die Musikstadt Mannheim kann nicht einfach sagen, wir schaffen den Musikpark ab und fertig. Ich will hier aktiv an einer Zukunft mitarbeiten und habe Ideen, wie wir das zusammen mit den Künstlern und Künstlerinnen hinbekommen können. Die Zeiten, in denen wir das als Stadt im Schneckenhaus allein machen, sind vorbei. Das wird nicht mehr gelingen.
Konkret ist da aber noch nichts?
Riehle: Nein, aber wir sollten das Potenzial unserer Stadt unbedingt nutzen. Da kann etwas entstehen, und wir dürfen das nicht so klein denken, wie wir immer glauben. Die Bildende Kunst ist auch ein Thema. Nicht nur bei den fehlenden Ateliers, sondern auch bei der Frage: Wo findet die Kunst der Stadt relevant statt? Wo sind die Wände dafür? Dafür reicht die wunderbare Stadtgalerie Port 25 nicht aus.
Wenn ich Sie so höre, so ist allenfalls mit einem frischen Wind zu rechnen, aber nicht mit einem historischen Beben, oder?
Riehle: Wo hätte ich denn die Möglichkeit, etwas Historisches zu machen? Die Dinge sind auf dem Weg. Ich kann ja nicht die Sanierung des Nationaltheaters rückgängig machen und das will ich auch nicht. Auch wenn ich Verfechter einer anderen Idee, von mehr Variabilität an einem anderen Ort gewesen bin, weil ich sehe, dass wir, was die Auslastungszahlen angeht, zunehmend unter Druck kommen. Wir brauchen kluge Ideen, wie wir in der sich kolossal veränderten Gesellschaft die Leute für das Haus gewinnen können. Da muss gebuhlt werden auf einem Feld harter Konkurrenz. Den Slogan „Wir ziehen mit euch um die Häuser“ fand ich gut. Ich wäre gern mitgezogen… Ich will aber auch klar sagen, dass ich ein großer Fan bin, vor allen Dingen von allen Mitarbeitenden, die das Theater zu einem besonderen Ort machen.
Ich höre da eine Angst, das Haus könnte zu groß sein für die Zukunft …
Riehle: Respekt vor dieser Aufgabe, finde ich treffender. Ich bin überzeugt, dass das NTM an mancher Stelle populärer werden muss. Die beste Auslastung in den vergangenen Jahren hatten Musicals wie „My Fair Lady“ oder Operetten. Das sind Dinge, die auch andere Besuchergruppen anziehen. Wir müssen gerade im Theater die Gesellschaft abbilden. Das Schauspiel hat etwa mit „Istanbul“ super auf die Stadtgesellschaft reagiert. Auch die Opernsparte könnte in diese Richtung mal nachdenken.
Jetzt wird Opernintendant Puhlmann aber unglücklich sein.
Riehle: (lacht) Wir sind ja auch in einem Austausch darüber. Meine Aufgabe ist ja nicht, die nächste Produktion vorzuschlagen. Aber meine Aufgabe ist es darauf hinzuweisen, wo wir vielleicht eine Korrektur brauchen, weil wir auch Zwänge haben. Wir müssen rechtfertigen können, warum wir mehr als die Hälfte des Kulturetats ans Nationaltheater geben – auch mit Auslastungszahlen.
Reden wir mal über die Unesco City Of Music. Was ist das für Sie?
Riehle: Vor allem eines: nicht erkennbar. Darunter leide ich seit vielen Jahren.
Wollen Sie das ändern?
Riehle: Ja. Aus meiner Sicht hat Mannheim nie verstanden, was man aus diesem Titel machen kann – oder muss. Das ist eine Auszeichnung für das, was war. Aber es ist auch eine Verpflichtung für Gegenwart und Zukunft. Die müssen wir noch einlösen. Ich werde also möglichst schnell mit allen, die etwas beitragen können, zusammenkommen mit der Fragestellung: Was heißt das für uns? Das ist ein Instrument für Sichtbarkeit im nationalen und internationalen Kontext. Es passiert ja auch viel.
Ihnen aber zu wenig?
Riehle: Ja. Mannheim ist eine Kulturhauptstadt. Und wenn wir hier die größte Gitarrenmesse der Welt in der Stadt haben: Reicht das? Oder muss man darum herum nicht noch etwas gestalten? Als Vorbild ein bisschen wie das Reeperbahnfestival in Hamburg. Mit klugen Ideen, wie man Rock, Pop, Wirtschaft und andere Player zusammenbringen kann. Wir haben ja – von der Popakademie bis zum Maifeldderby – ganz viel zu sagen. Aber wir sagen es nicht. Das halte ich für einen Fehler. Da kommen viele Musikbegeisterte in die Stadt, die muss ich für die Stadt interessieren – etwa mit einem Branchentreffen im Jungbusch. Dahinter stecken ganz klar auch wirtschaftliche Interessen.
Sie wirken, als hätte es an Ihrem Ego tatsächlich keinen Kratzer hinterlassen, dass Sie der erste SPD-Kandidat sind, der es nicht zum OB geschafft hat. Überspielen Sie das?
Riehle: Da sind keine Kratzer. Ich begreife Niederlagen immer als Chance. Und genau das ist jetzt passiert. Die eine Tür geht zu, die andere auf.
Sie sind 53, das klingt, als würden Sie 2031 noch mal als OB-Kandidat antreten wollen …
Riehle: … ich bin ja ein kluger Mensch, und kluge Menschen schließen zunächst mal nichts aus. (lacht) Ich weiß nicht, was in sieben Jahren ist. Ich bin jetzt aber erst mal sehr zufrieden und kann, weil ich hier in der Stadt schon so lange lebe und wirke, sofort voll einsteigen. Darauf freue ich mich jetzt erst mal.
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