Mannheim. So begehrt war lange kein BAP-Konzert mehr in Mannheim. Der Rosengarten ist seit Monaten ausverkauft. Kein Wunder, Bandgründer Wolfgang Niedecken hat zur „Zeitreise“ eingeladen. Verbunden mit dem exzellenten gleichnamigen „Rockpalast“-Konzertmitschnitt „Live im Sartory“, der im Frühjahr veröffentlicht wurde, ist das offensichtlich ein unwiderstehliches Angebot.
Und obwohl alle Lieder ausschließlich von den ersten Alben „Wolfgang Niedecken’s BAP rockt andere kölsche Leeder“ (1979), „Affjetaut“ (1980), „Für Usszeschnigge!“ (1981), „Vun drinne noh drusse“ (1982) sowie der Live-Platte „Bess demnähx“ (1983) stammen (wobei die beiden Millionenseller der Jahre 1981 und 1982 sogar komplett gespielt werden), ist das keine reine Nostalgiesause.
Qualität der Band und Aktualität der Songs verhindern reine Nostalgie-Party
Dafür stehen Qualität und Einfallsreichtum der amtierenden BAP-Formation, der Multiinstrumentalistin Anne De Wolf, ihr Ehemann Uli Rode an den Saiteninstrumenten und die dreiköpfige Bläsersektion Axel Müller (Saxofone), Johannes Goltz (Posaune) sowie Benny Brown (Trompete) ungeahnte Möglichkeiten eröffnen. Die altgedienten Werner Kopal (Bass), Michael Nass (Keyboard) und Sönke Reich am Schlagzeug stehen ohnehin für zeitlosen Sound. Der 73-jährige Niedecken macht sich einen Spaß daraus, zu betonen, dass der Popakademiker jünger ist als sämtliche Songs der Setlist. Guter alter Wein wird hier also in erfrischend neuen Schläuchen serviert.
Erstaunlicher, fast ein wenig erschreckend ist die inhaltliche Seite: Denn viele der mehr als 40 Jahre alten Songs klingen verblüffend aktuell. Allen voran das deutsche Schreckensszenario „Kristallnaach“ („Bei der Nummer hätte ich kein Problem damit, wenn sie irgendwann mal inaktuell würde“, kommentiert Niedecken), sogar die Kriegsdienstverweigerer-Hymne „Stell dir vüür“ und das einst gegen die Nachrüstung der Nato geschriebene „Zehnter Juni“.
Der Pazifismus von 1982 könnte heutzutage von interessierter Bündnisseite missverstanden werden. Deshalb stellt NIedecken eindeutig klar, wie er das Lied heute meint und warum BAP es auch in Zeiten von Putins Angriffskrieg auf die Ukraine noch spielen könnten: „Wenn ich den Text aus der Sicht eines jungen russischen Deserteurs oder Kriegsdienstverweigerers singe, stimmt es 100 Prozent“, sagt er und ruft die ikonische erste Zeile: „Plant mich bloß nit bei üch en!“
BAPs "Zeitreise" in Mannheim - das programm
Hauptteil
1. Koot vüür Aach (1982)
2. Südstadt, verzäll nix (1981)
3. Nemm mich met (1983)
4. Wo mer endlich Sommer hann (Eddie Cochran, von BAP 1981))
5. Waschsalon (1981)
6. Ens em Vertraue (1981)
7. Nit für Kooche, Teil 1 (1982)
8. Nit für Kooche, Teil 2 (1982)
9. Ahn 'ner Leitplank (1982)
10. Wellenreiter (1982)
11. Müsli Män (1981)
12. Zehnter Juni (1982)
13. Wenn et Bedde sich lohne däät (1982)
14. Kristallnaach (1982)
15. Fuhl ahm Strand (1981)
16. Weisste noch? (1983)
17. Eins für Carmen un en Insel (1982)
18. Ruut-wieß-blau querjestriefte Frau (1980)
19. Jupp (1981)
20. Ne schöne Jrooß (1980)
21. Verdamp lang her (1981)
22. Frau, ich freu mich (1981)
23. Do kanns zaubere (1982)
24. Anna (1980)
25. Jraaduss (1981)
26. Wie 'ne Stein (Bob Dylan, 1982)
27. Hurricane / Stell dir vüür (Bob Dylan/1979)
28. Wahnsinn (The Troggs, 1979)
29. Häng de Fahn eruss (1980)
30. Et letzte Leed (1983)
Zugabe
31. Helfe kann dir keiner (1980)
Aber diese „Zeitreise“ hat auch andere Destinationen. Schon der erste Song des mehr als dreistündigen Konzerts ist so etwas wie eine unbekannte Insel: Das ruhige „Koot vüür Aach“ gehört wie zum Beispiel „Fuhl ahm Strand“ oder „Weisste noch“ zu den live kaum gespielten Songs aus dem BAP-Kosmos. Aber sie können gut mit den zahlreichen Standards der Frühphase mithalten. Auch, weil der Hauptdarsteller sie mit plastischen Anekdoten gekonnt einordnet.
Leichter hat er es natürlich mit den Klassikern. Etwa „Wellenreiter“ in einer entspannten Reggae-Version, bei dem der Mozartsaal aufsteht und den kompletten Gesang übernimmt – die Niedecken-Chöre in Aktion. Passend folgt „Müsli Man“, das daran erinnert, dass BAP-Texte früher häufiger eine alltagssatirische Seite hatten.
Emotionale Seite der Lieder, die mit vielen Biografien verknüpft sind
Der Großteil des Publikums hatte die Karten der vierstündigen Konzert-Marathons aus der Entstehungszeit der Lieder noch an der Kork-Pinwand fixiert. Dementsprechend sind auch Niedeckens persönliche und emotionale Lieder eng mit vielen Biografien seiner Fans verwoben.

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Und natürlich erinnern sich alle gern an die energetischen Rock-Exzesse mit Liedern wie „Wenn et Bedde sich lohne tät“. Das klingt heute mit Bläsern und noch professionellerer Band natürlich besser als einst im Mai 1982. Aber in der vermutlich verklärten Erinnerung war es damals ein ziemlicher Dampfhammer. Schließlich assoziierte man den Bühnenstier Niedecken seinerzeit eher mit Bruce Springsteen als mit seinem Idol Bob Dylan.
Ab „Ne schöne jrooß“ und „Verdamp lang her“ jagt ein Fan-Favorit den nächsten
Die Band ermöglicht die unterschiedlichsten Settings von sehr intim, fast kammermusikalisch – bis zur halben Bigband. „Kristallnaach“ oder die Ballade vom obdachlosen Stalingrad-Veteranen „Jupp“ können so dramatisch inszeniert werden. Die fröhlichen frühen Rock-'n'-Roll-Nummern rollen locker, Coverversionen von „Like A Rolling Stone“, „Hurricane“ oder „Wild Thing“ krachen amtlich.
Und irgendwann ist nur noch Hitparade angesagt, im letzten Drittel des 31 Songs umfassenden Programms, ab den gefeierten „Ne schöne jrooß“ und „Verdamp lang her“ jagt ein ewiger Fan-Favorit den nächsten. Zwischendrin gibt es einen anrührenden Balladen-Dreierpack um „Do kanns zaubre“.
Bis diese Reise mit der solo interpretierten Selbstermächtigungsnummer „Helfe kann dir“ leider endet. „Ich muss feststellen“, ruft der strahlende Hauptdarsteller, ihr seht alle 50 Jahre jünger aus. Die Zeitreise hat funktioniert!“ Tatsächlich hat selten ein Tournee-Titel so sehr gehalten, was er verspricht.
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