Pop

Wie Wolfgang Niedecken in Mannheim Seelenbalsam verteilt

Das ausverkaufte BAP-Konzert im Rosengarten glänzt nicht nur musikalisch mit sattem Rock, sondern relativiert auch die düstere Stimmung dieser Tage

Von 
Jörg-Peter Klotz
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Wolfgang Niedecken mit Axel Müller und Benny Brown im Mannheimer Rosengarten. © Thomas Tröster

Mannheim. Das Sinatra-Intro läuft aus, weiße Lichtkegel flackern wie Suchscheinwerfer über die dunkle Bühne am Samstagabend im Mannheimer Rosengarten. Großer Jubel brandet auf, als die Bandmitglieder von Niedeckens BAP ihre Positionen einnehmen. Der steigert sich, sobald Bandgründer Wolfgang Niedecken die Bühne betritt und in die Menge winkt. Die erhebt sich schon bei den ersten knackig-trocken rockenden Tönen von „Hück ess sing Band en der Stadt“.

Der Mozartsaal ist zwar bestuhlt, aber unten im Parkett sitzt kaum jemand. Dafür klatschen die 2250 größtenteils altgedienten Fans fast durchgängig. Nur die Textfestigkeit auf Kölsch wirkt nicht mehr ganz so ausgeprägt wie einst im Mai 1982. Der Ausverkauft-Status ist zurzeit keine Selbstverständlichkeit, auch vor der Pandemie reichte es dazu in der BAP-Hochburg Mannheim im regelmäßigen Tourbetrieb nicht immer. Aber jetzt wirken die Fans fast ausgehungert, vielleicht auch, weil viele Altmeister Niedecken gern wie geplant zu seinem 70. Geburtstag 2021 auf der Bühne gefeiert hätten.

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Oder es liegt am exzellenten neuen Album „Alles fliesst“ (2020): Davon kann nicht nur das zweite Lied „Jenau jesaat: Op Odyssee“ nahtlos an den energetischen Auftakt anknüpfen. Bemerkenswert dabei, wie zentral die Rolle des hochdynamischen Schlagzeugspiels von Popakademiker Sönke Reich inzwischen ist, im treibenden Zusammenspiel mit Bassist Werner Kopal, mit 27 Jahren das zweitdienstälteste BAP-Mitglied – länger dabei, als es Kult-Drummer Jürgen Zöller (1988-2014) war.

Dass Niedecken seit den Proben zu „Sing meinen Song“ in Mannheim 2016 den Luxus zu schätzen gelernt hat, ein Bläser-Trio am Start zu haben, zahlt sich aus: Der Sound hat beeindruckende Fülle mit viel Druck und vielfältigen Akzenten. Dazu tragen auch die Soli von Gitarrist Ulrich Rode und Axel Müller am Saxophon immer wieder bei. Benny Browns Trompeten-Outro nach drei Stunden Spielzeit beeindruckt nachhaltig. Dass er und Posaunist Clemens Braun vorübergehend einspringen, hört man nicht. Typisch Jazzer ...

Sorgen um die Demokratie

Fast ein Drittel der 30 Songs stammt von „Alles fließt“. Aber nicht nur dadurch wirkt das Konzert aktuell: Die Texte der zu Beginn dominierenden Klassiker aus der BAP-Hochzeit 1979 bis 1984 passen teilweise erschreckend gut zur politischen Situation: von „Drei Wünsch frei“ über „Zehnter Juni“ und „Stell dir vüür“ bis zu Niedeckens vielleicht wichtigstem Lied „Kristallnaach“. „Ich mache mir wirklich Sorgen um unsere Demokratie“, mahnt Niedecken vor diesem Höhepunkt seiner paradoxerweise so aktuellen Zeitreise.

Dessen Dramatik wird musikalisch noch übertroffen von einer Kombination der Kriegsdienstverweigerer-Hymne „Stell dir vüür“ mit Bob Dylans „Hurricane“. Wie die brillante Multiinstrumentalistin Anne de Wolff dieses „Mash-Up“ auf der Geige im Zusammenspiel mit den Bläsern zum absoluten Höhepunkt des Konzerts treibt, macht beinahe sprachlos. Da können nur die absoluten Klassiker in der Zugabe mithalten: „Verdamp lang her“ und „Do kanns zaubre“.

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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