Mannheim. Es geht ja nicht nur um Josef Thoraks „Schreitende Pferde“ in Bad Dürkheim und darum, dass sie nach einem sechs Jahre dauernden Gerichtsverfahren nun an die Bundesrepublik Deutschland übergeben werden. Es geht in der Berliner Ausstellung mit dem doppeldeutigen Titel „Die Liste der ,Gottbegnadeten’ - Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik“ vielmehr um das Werk von 114 Malern und Bildhauern und darum, wie diesen Profiteuren des Nazi-Regimes bis in die späten 1970er Jahre noch Aufträge und Ehren zuteilwurden.
Thorak, zu dessen Pferden die Ausstellung des Deutschen Historischen Museums eine Videodokumentation bereithält, findet sich auf dieser von Adolf Hitler und Joseph Goebbels zusammengestellten Liste ebenso wie Arno Breker, Bernhard Bleeker, Hermann Kasper oder der Landschaftsmaler Hermann Gradl aus Marktheidenfeld bei Wertheim. Und selbstverständlich befinden sich unter den insgesamt 1041 „gottbegnadeten“ Künstlerinnen und Künstlern auch Schriftsteller wie Hans Carossa oder Gerhart Hauptmann sowie Musiker wie Richard Strauss oder Wilhelm Furtwängler.
Kaum kritische Distanz
Aber darum geht es hier im Einzelnen gar nicht, sondern darum, wie es möglich war, dass diese „gottbegnadeten“, überwiegend männlichen Künstler nach dem Zweiten Weltkrieg nahezu nahtlos mit Werken für den öffentlichen Raum beauftragt wurden. Kaum einer von ihnen hat sich von seinen Erfolgen während der NS-Zeit distanziert, dennoch erhielten sie Aufträge von Bund, Städten, Gemeinden oder Kirchen.
„Gottbegnadet“, das hieß steuerliche Begünstigungen und ungehinderte Arbeitsmöglichkeiten, Freistellung von Wehrdienst und Arbeitseinsatz. Das hieß auch: öffentliche Aufträge für Gemälde, Mosaike, Fresken oder Skulpturen. Diese Künstler erhielten die Professuren an Kunstakademien, von den zuvor sogenannte entartete oder jüdische Künstler vertrieben worden waren.
Die Frage lautet nun: Warum konnten diese NS-Günstlinge ihre Lehrstühle nach Kriegsende behalten und durften mit ihren Arbeiten den öffentlichen Raum und die ästhetische Wahrnehmung der Nachkriegszeit prägen?
Man muss gar nicht die bekannten Bauwerke aufzählen, an denen - wie bei der Deckenbemalung des Hofbräuhauses in München oder des Kongresssaales im Deutschen Museum in der bayerischen Landeshauptstadt - derart belastete Künstler mitwirkten. Das eigentlich Erschütternde ist vielmehr, dass man nur vor die Tür gehen muss, um auf Werke dieses künstlerischen Erbes des Nationalsozialismus zu stoßen, so verbreitet ist es in Deutschland.
Die Liste der „Gottbegnadeten“
- Im August 1944 wurden infolge des „totalen Krieges“ auch Personen des kulturellen Lebens zum Kriegsdienst eingezogen. Im September 1944 erstellten Adolf Hitler und Joseph Goebbels die „Gottbegnadeten-Liste“.
- Verzeichnet wurden 1041 Bildende Künstler, Schriftsteller, Musiker, Architekten. 378 davon wurden vom Kriegs- und Arbeitsdienst befreit.
- Grundlage der „Gottbegnadeten-Liste“ war die „Führerliste“, die Hitler 1939/40 erstellte, um nach ihrer Maßgabe in Linz, Oberösterreich, seinem langjährigen Wohnort, ein Kunstmuseum auszustatten.
- Die Ausstellung „Die Liste der ,Gottbegnadeten’ – Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik“ ist bis 5. Dezember im Pei-Bau des Deutschen Historischen Museums in Berlin, Unter den Linden 2, zu sehen.
- Der von Raphael Gross und Wolfgang Brauneis herausgegebene Katalog ist im Prestel Verlag erschienen, hat 216 Seiten und 135 Farbabbildungen und kostet 34 Euro.
- Auf einer Forschungsdatenbank, die fortlaufend erweitert wird, sind ergänzende Informationen sowie eine interaktive Karte zu finden, auf der einschlägige Kunstwerke recherchiert werden können: https://www.dhm.de/gottbegnadete/karte loi
Transportierte Ideologie
In Mannheim zum Beispiel steht die 1950 geschaffene Skulptur „Jüngling mit Stab“ - ausgerechnet auf einem Sockel mit Gedenkspruch für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs. Gestaltet hat die Skulptur Bernhard Bleeker, der einst die „Führerbüste“ schuf, die seinerzeit in NSDAP-Gebäuden aufgestellt wurde.
Vor der Kunsthalle Mannheim stehen die Skulpturen „Tiger“ und „Schreitender Löwe“, die der Bildhauer Philipp Harth - bis 1930 Kunstlehrer an der Odenwaldschule - in den Jahren 1936 und 1940 schuf. 1941 wurde er indes wegen Kritik an der NS-Kunstpolitik von der Gestapo verhaftet. Aber von seinen Tiger-Skulpturen wurden Abgüsse bei NS-Propaganda-Ausstellungen in besetzten Gebieten gezeigt.
Genau dies macht ersichtlich, wie diese Kontinuität des Kunstschaffens wirkte: dass ein Werk, das von den Nationalsozialisten begünstigt worden war, in der Bundesrepublik fortgesetzt werden konnte, gefördert wurde und noch heute den Außenraum prägt. Insofern ist die Doppeldeutigkeit des Untertitels der Berliner Ausstellung zutreffend: Sind damit „Künstler des Nationalsozialismus“ gemeint oder aber ein „Nationalsozialismus in der Bundesrepublik“ mit seinen Künstlern? Zumal die Formensprache von auffällig vielen nackten, vom Ballast der Zivilisation entblößten Figuren oder einer natürlichen, nicht domestizierten Wildheit von Tieren - wie „Tiger“ - die Nazi-Ideologie transportiert. Und das Bild des einsam gegen die Welt kämpfenden, ungezähmten Wolfes aufgreift, wie Hitler es mit der Wolfsschanze und der Stadt Wolfsburg zelebrierte.
Es gibt weitere Beispiele, etwa in Darmstadt den 1965 errichteten „Einhorn-Brunnen“ nach dem Entwurf von Hermann Geibel, oder in Worms den 1966 geschaffenen „Nibelungenteppich“ im „Wormser“. Entworfen hat diesen Gobelin Hermann Kaspar, der das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg mitgestaltete und die Mosaike für die Neue Reichskanzlei in Berlin schuf. Auch das Haus der Deutschen Kunst in München schmückte Kaspar, und von 1937 bis 1939 hatte er die künstlerische Leitung der Festaufmärsche zum „Tag der Deutschen Kunst“ in München inne. Von 1938 bis zur Emeritierung 1972 war er Professor der Münchner Akademie der Bildenden Künste, trotz Protesten 1968.
Ein ganz spezieller Fall im Umgang mit Kunst aus der NS-Zeit zeigt sich in Speyer. Dort steht im Domgarten das von Bildhauer Ludwig Cauer aus Muschelkalk gestaltete Steinquartett der salischen Kaiser Konrad II., Heinrich III., IV. und V. samt Gattin oder Nebenfiguren. Die Tourist-Information Speyer hebt hervor, dass diese Figurengruppe im März 1937 von Reichsinnenminister Wilhelm Frick beauftragt worden war. Frick wurde als Kriegsverbrecher 1946 zum Tod verurteilt und hingerichtet. Wissenswert wäre überdies, dass Cauer gerade wegen dieser Figurengruppe 1941 - im Alter von 75 Jahren - Berufsverbot erhielt.
Nun stellt sich die Frage: Wie würde der öffentliche Raum aussehen, wenn nicht Künstler aus der Nazi-Vergangenheit Skulpturen und Brunnen entworfen hätten, sondern fairerweise die zuvor vertriebenen oder aber unbelastete jüngere Künstler? Haben die „gottbegnadeten“ Künstler das Verständnis von Kunst so nachhaltig beeinflusst oder beeinflussen sie es immer noch, dass wir unvermindert im Gefolge ihrer Kunstauffassung denken und schauen? Muss unsere Bilderwelt mithin noch entnazifiziert werden?
Gerade für Mannheim ist das eine besonders drängende Frage. Mit der Ausstellung „Neue Sachlichkeit“ prägte die Kunsthalle 1925 einen Stilbegriff, der im Gegensatz steht zu den meist klassizistisch orientierten, figürlichen Arbeiten der „Gottbegnadeten“. Genau dieser Stil wurde später durch die Beschlagnahmungen der Nationalsozialisten diffamiert, so auch in Mannheim.
Der Kontrast aus Abstraktion und Figürlichkeit bestand nach dem Krieg weiter, und die Gegner der Abstraktion waren es, die in Gemeinden, Städten, Stiftungen und Universitäten Künstler mit NS-Vergangenheit unterstützten. Entsprechende Netzwerke beispielsweise aus Architekten, die in Jurys saßen, gaben es überwiegend in Bayern, Berlin und Nordrhein-Westfalen, dort mit Großindustriellen als Mäzenen.
Aufarbeitung als Ziel
Aber wie kann, wie soll es jetzt weitergehen? Manche Städte haben entsprechende Werke bereits aus dem öffentlichen Raum genommen - die Stadt Wuppertal etwa Arno Brekers durchaus elegante Skulptur „Pallas Athene“, die 1957 dort aufgestellt worden war. Andere Städte planen Info-Tafeln zu fraglichen Kunstwerken im öffentlichen Raum, wieder andere Kommunen oder Museen verlagern derlei Werke vom öffentlichen Raum in ihre Depots oder zeigen sie in einem entsprechend didaktisch begleiteten Umfeld.
Was die Mannheimer Harth-Skulpturen angeht, stützt sich die Kunsthalle auf dessen kritische Haltung nach ihrer Vollendung. Dazu Inge Herold, Stellvertretende Direktorin: „Der Hinweis, dass der Künstler Philipp Harth in seinen Aufträgen von den Nationalsozialisten profitierte, ist richtig. Ab 1941 stand Harth jedoch nicht mehr in der Gunst der Nationalsozialisten, bis 1945 hatte er Berufsverbot. Dieser Fall zeigt, wie komplex der Sachverhalt ist. Deshalb ist es uns sehr wichtig, transparent mit der Vergangenheit unserer Sammlungswerke umzugehen. Ziel ist es, in der Sammlung Online und über andere Vermittlungswege differenzierter über betroffene Künstler*innen und deren Werke zu informieren“. Entsprechende Hinweise sind in der Sammlung Online aber noch zu ergänzen und die anderen Vermittlungswege zu definieren.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Skulpturen der NS-Zeit: Inhaltliche Aufarbeitung nötig