Kommentar Kunst ist nie unpolitisch

Manfred Loimeier plädiert für ein inhaltliche Aufarbeitung

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Manfred Loimeier
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Es überrascht nicht, denn es ist von der deutschen Justiz bekannt, von deutschen Universitäten ebenso; man kennt die Problematik seit den Diskussionen um Gustaf Gründgens im Theater und seit den Debatten um Heinz Rühmann im Film: Zahlreiche während des Nationalsozialismus angesehene Persönlichkeiten haben ihre Karriere nach Kriegsende fortgesetzt und wurden zu tragenden Figuren im System der jungen Bundesrepublik. Und bei nicht wenigen von ihnen beruhte die Karriere überhaupt erst auf ihrer Willfährigkeit zu Zeiten des NS-Regimes. Ihre Popularität schützte sie später vor ihrer Vergangenheit.

Nun erreicht dieses Thema auch die Museums- und Kunstszene beziehungsweise Städte und Gemeinden, denn mit dem – übrigens aus der NS-Zeit rührenden – Programm Kunst am Bau wurden von der öffentlichen Hand auch Kunstschaffende gefördert, deren Erfolgsbiografien auf Karrieren während des Nationalsozialismus beruhen.

Richard Scheibe zum Beispiel, dessen Skulptur „Die Morgenröte“ von 1937 lange den Außenbereich der Kunsthalle schmückte, ist so ein wendehalsiger Bildhauer. Vor dem Krieg schuf er ein Ehrenmal für den Demokraten Friedrich Ebert, während der NS-Zeit schon 1935 anlässlich der Wiedereingliederung des Saargebietes die Skulptur „Befreiung der Saar“, und nach dem Krieg, im Jahr 1953 – ein Hohn auf die Geschichte und die Opfer des Nationalsozialismus – das „Ehrenmal für die Opfer des 20. Juli 1944“ im Hof des Bendlerblocks Berlin. Wes Brot ich ess, des Lied ich sing . . . Scheibes Skulpturen sind weithin und zahlreich in der ganzen Bundesrepublik zu finden.

Mit dem kleinen Skandal um Werner Haftmann, den Mit-Kurator der ersten drei Documenta-Ausstellungen in Kassel, wurde im Vorjahr die Aufarbeitungen der NS-Vergangenheit in der Gegenwartskunst eingeleitet. Die kritische Beleuchtung einzelner Künstlerlaufbahnen ist das eine. Etwas anderes ist es aber, dass sich auch Öffentlichkeit und Verantwortliche in Kunsteinrichtungen und Bauausschüssen mit den Hinterlassenschaften dieser Künstler im öffentlichen Raum befassen müssen.

Auch hier gilt, dass nicht nur eine politische Diskussion, sondern vor allem eine inhaltliche Auseinandersetzung erfolgen müssen, wie mit den fraglichen Kunstwerken umzugehen ist. Eine bewusste Auseinandersetzung erfolgt nicht durch eine unüberlegte Entfernung, eher durch die Frage: Wie viel Nazi-Vergangenheit steckt noch in unserem Kunstverständnis?

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