Mannheim. Diese Bilder gingen um die Welt: Die Nazi-Verbrecher, ihre Verteidiger, die Ankläger, die Richter – und alle tragen Kopfhörer. Die Nürnberger Prozesse gegen die Hauptkriegsverbrecher der Nationalsozialisten vor 76 Jahren vor dem Internationalen Militärgerichtshof waren nicht nur die ersten Verfahren wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Weltweit erstmals wurde auch simultan gedolmetscht, woran nun eine Wanderausstellung im Marchivum erinnert.
New York, London, Athen, Genf – die von Elke Limberger-Katsumi, Mitglied des Internationalen Berufsverbands der Konferenzdolmetscher (AIIC), kuratierte, mehrsprachige Ausstellung „Ein Prozess – vier Sprachen“ ist schon in vielen Ländern gezeigt worden. Nun ist sie in Mannheim. Dass die von Mal Hombre musikalisch begleitete Eröffnung auf, wie er feststellt, „überwältigenden Zuspruch“ stößt, freut Marchivum-Direktor Ulrich Nieß besonders. Doch es gebe viele gute Gründe, diese Ausstellung in Mannheim zu zeigen, betont er ebenso wie Stadträtin Angela Wendt, die die Grüße des Schirmherrn, Oberbürgermeister Peter Kurz, überbringt. „Ein sehr spannendes Thema, das bisher vernachlässigt wurde“, lobt sie die Initiative zu der Ausstellung.
Zeiten und Preise
- Die Ausstellung „Ein Prozess - vier Sprachen. Wer waren die Dolmetscherinnen und Dolmetscher bei den Nürnberger Prozessen?“ ist bis 7. August im Marchivum im Ochsenpferchbunker zu sehen.
- Öffnungszeiten Dienstag und Donnerstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, Mittwoch 10 bis 20 Uhr.
- Die Ausstellung stammt vom Internationalen Berufsverband der Konferenzdolmetscher AIIC und wird durchgeführt vom Verein Konferenzdolmetschen – Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft.
- Eintritt einschließlich Stadtgeschichtliche Ausstellung Erwachsene 5 Euro, ermäßigt 2.50 Euro
- Die Ausstellung wird durch vier Vorträge und eine Podiumsdiskussion abgerundet. Im Anschluss an jede der Veranstaltung wird noch eine Führung durch die Ausstellung angeboten. Die Veranstaltungen finden im Friedrich-Walter-Saal des Marchivum statt und werden auf www.marchivum.de gestreamt.
Pionierrolle Mannheims
Nieß erinnert daran, dass Mannheim eine Pionierrolle bei der Dolmetscherausbildung zukommt. So hat der aus einer Mannheimer jüdischen Familie stammende Übersetzer, Deutsch-Lektor und Philologe Curt Sigmar Gutkind 1929 als Teil der Mannheimer Handelshochschule in der ehemaligen Reiß-Villa (E 7, 20) ein Dolmetscher-Institut eingerichtet. 1933 verschoben es die Nationalsozialisten aber an die Universität Heidelberg, wo es heute noch existiert. Gutkind musste ins Exil, kam auf der Fahrt nach Kanada ums Leben, weil ein deutscher Torpedo das Schiff traf.
Aber auch einer der 24 angeklagten Vertreter des NS-Regimes, denen die Alliierten vom 20. November 1945 bis 1. Oktober 1946 in Nürnberg den Prozess machten, war gebürtiger Mannheimer: Rüstungsminister Albert Speer, der zu 20 Jahren Haft verurteilt wird, aber „ausgesprochen geschickt“, so Nieß, der Todesstrafe entgeht und seine wahre Rolle auch noch lange nach der Entlassung verschleiert. Das Marchivum hat seiner Rolle bei den Nazi-Verbrechen eine Ausstellung gewidmet, und für Nieß ist die Dolmetscher-Ausstellung nun auch eine gute Einstimmung darauf, dass das Marchivum im Dezember in einer Etage des Ochsenpferchbunkers ein NS-Dokumentationszentrum eröffnet.
„Mannheim setzt sich ganz konsequent mit dem Thema Nationalsozialismus auseinander“ und stehe für eine weltoffene, tolerante Gesellschaft, nennt Sandra Liepelt vom Verein Konferenzdolmetschen – Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft – weitere Gründe, die Ausstellung ins Marchivum zu holen.
Heikle Herkulesaufgabe
Während ihrer Begrüßungsworte stehen drei Kolleginnen neben ihr, machen sich Notizen, tragen dann in Englisch, Französisch, Russisch vor. Konsekutives Dolmetschen, also nacheinander – das ist so üblich bis 1945, abgesehen von ein paar Versuchen beim Völkerbund und der Internationalen Arbeitsorganisation.
Bei den Nürnberger Prozessen wird alles anders – und so ein neuer Berufsstand begründet. „Sie mussten gleichzeitig hören und sprechen, in den vier Sprachen Deutsch, Englisch, Französisch, Russisch“, so Liepelt. Die Firma IBM habe die Technik zur Verfügung gestellt, und in Dreierteams hätten die Übersetzer „erstmals in dieser Form und Gleichzeitigkeit“ wiedergeben müssen, was Ankläger, Richter, Verteidiger, Zeugen und Angeklagte zu sagen hatten – und das elf Monate lang. Das sei nur mit langen Pausen gegangen, so Liepelt.
Als „besondere Herkulesaufgabe“ bezeichnet sie es, dass viele der Dolmetscher sehr jung waren, selbst unter den Nationalsozialisten gelitten hatten oder aus Familien stammten, wo Angehörige deportiert oder umgebracht worden waren. „Sie mussten dennoch das Leid und die abscheulichsten Taten, die schlimmsten Dinge wertfrei formulieren“. Das sei „eine fast unvorstellbare psychische Belastung“ gewesen. „Aber ohne Simultandolmetscher wäre der Prozess unmöglich gewesen“, hebt sie hervor.
Bedauerlich sei aber, dass die Rolle der Dolmetscher „weitgehend vergessen“ sei, „obwohl damit ein neuer Berufsstand ins Leben gerufen wurde“, sagt Liepelt. Nürnberg sei damit nicht nur zum Meilenstein der internationalen Strafgerichtsbarkeit geworden, sondern auch zum wichtigen Ort für die Konferenzdolmetscher. Die 27 mehrsprachigen Säulen der Ausstellung stellen ihre Arbeitsweise und, soweit sie recherchierbar waren, auch ihre Biografien vor, zu sehen sind auch einige wenige der Geräte von 1945.
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