Mannheim. Die Behauptung, die Oper und das NTM generell seien „zu wenig präsent in der Stadt“, ärgere ihn zunehmend. Der so sprach, ist Opernintendant Albrecht Puhlmann. Eine gute Viertelstunde beklagt er in einem baustellensituativen Rechtfertigungsreigen diffus Feindseligkeiten, falsche Behauptungen und, ja, „Inkompetenz“ bei den Leuten, die so sprächen. Diese Leute sind drei Redakteure dieser Redaktion, einige Gemeinderäte, Theaterfreunde und Bürger dieser Stadt, kurz: Menschen die dieses Haus seit 20, 50 und mehr Jahren lieben und begleiten.
An Selbstwertgefühl fehlt es dem gefühlten Generalintendanten nicht. An Einsichtbereitschaft schon. Erst durch die wiederholten Klagen „dieser Menschen“ hat das NTM nach und nach Initiative ergriffen, um die Präsenz zu verbessern.
Vor- und Ausreden
Von seinen Opern kann er dann nur knappe zwölf Minuten reden, wo es doch eigentlich eine Spielplanpressekonferenz zur Programmvorstellung sein soll. Das gehört dort eben so wenig hin, wie - zugegeben - in diesen Text. Also los geht’s! Und zwar am 21. September mit „Rhythm under the skin - Tanz und Percussion, wo das Tanzensemble von Stephan Thoss lautstark auf das Mannheimer Schlagwerk trifft. Der Tanzintendant mischt die Genres und Felder heuer gut durch. Auf Krachiges lässt er mit „Don José“ ein modernisiertes „Handlungsballett“ folgen, das einen etwas anderen Blick auf die Opernheldin „Carmen“ wirft.
Tanzensemble stark involviert
Thoss setzt darüber hinaus auch wieder auf choreographierende Gäste wie Johan Inger („Identity“) oder Roy Assaf und Alba Castillo (Where we belong“) - und gleich mehrfach auf sein Ensemble. In drei Produktionen choreographieren und improvisieren die Tänzerinnen und Tänzer des NTM selbst. In „Seasons in Dance“ widmen sie sich den Jahres - und Lebenszeiten des eigenen Berufsstandes.
Nach vorn blickt Christian Holtzhauer im Schauspiel stets mit Uraufführungen, gleich zu Beginn mit „Die Zukünftige“ von Svenja Viola Bungarten, einer ökologischen Schwestern-Dystopie, angelehnt an Kästners „Doppeltem Lottchen“. Das Schauspiel wartet 2023/2024 mit insgesamt zwölf Premieren auf, vier davon Uraufführungen und eine deutschsprachige Erstaufführung, nämlich „Generation Lost“ von Greg Liakopoulos über die Hoffnungen und Enttäuschungen der Generation der Millennials. Ewelina Marciniak, mit deren „Johanna“ es das NTM 2022 zum Berliner Theatertreffen schaffte, kehrt mit einer Krakauer Koproduktion zurück. „Altweibersommer“ erforscht vielversprechend das schwierige deutsch-polnische Verhältnis.
Hausautor stellt sich mit "Als die Götter und Göttinnen Menschen waren" vor
Der neue Hausautor Amir Gudarzi stellt sich mit „Als die Götter und Göttinnen Menschen waren“ in Mannheim vor und forscht in Mythen der Religionsgründung. Daniela Dröschers Roman „Lügen über meine Mutter“ bringt Gewicht und Gewichtiges in Sachen Körperbilder und deren psychosoziale Begleitumstände auf die Bühne. Wohl noch dramatischer wird es in „Krieg ist kein Spiel für Frauen“ zugehen, worin die russische Regisseurin Natasha Borenko mit Texten von Lidiia Golovanova zum Thema „Friedenssicherung“ arbeitet.
Zumindest thematisch hat Christian Holtzhauer auch Klassischeres im Bühnenkasten, den im Alten Kino Franklin Hausregisseur Christian Weise mit Shakespeare durchlüften darf. Das erotische Geschlechterverwirrspiel von „Was ihr wollt“ bietet ihm fraglos genügend Anreize für frivol-burleske Regie-Ideen, die er zum Saisonabschluss dann in der Halbwelt der „Dreigroschenoper“ von Bert Brecht und Kurt Weill zum Einsatz bringen kann.
Wale, Chemie und Toleranz
Melvilles „Moby Dick“ schwimmt unter Anleitung von Johanna Wehner nach Mannheim, wo er auf den Kampf des Menschen gegen die Natur angesetzt wird - ein Stück zur Stunde. Hochklassisches darf man selbst beim „Nathan“ nicht erwarten, den der Filmemacher, Autor und Regisseur Nuran David Calis nach Lessing-Motiven zum erweiterten Toleranzstück umarbeitet. Zwei neue Inszenierungen des Mannheimer Stadtensembles unter Beata Anna Schmutz runden den Schauspielreigen.
Ulrike Stöck vergisst in ihrer couragiert-emotionalen Vorstellung des Schnawwl-Spielplans zu sagen, dass sie ausschließlich Uraufführungen zeigen wird. Spannendes und Spielerisches für alle Altersklassen des jungen Publikums kreuzt sie mit den Genres und lässt im Turm der Alten Feuerwache tanzen, musikalisch Chemie brodeln, eine Schaum-Party steigen, nach Drachenwesen forschen und sogar das „Lügen üben“. Das klingt spannend …
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Theater ohne Theater