Das Interview

Roland Schimmelpfennig erzählt das Lied der Nibelungen für die Festpiele in Worms

Mit der Uraufführung von Roland Schimmelpfennigs „See aus Asche - Das Lied der Nibelungen“ beginnen am 11. Juli die Nibelungenfestspiele vor dem Wormser Dom.

Von 
Ralf-Carl Langhals
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Wagt den kritischen Blick und hat dennoch viel Humor: Dramatiker Roland Schimmelpfennig bei den Endproben zu seiner Uraufführung vor dem Wormser Dom. © Bernhard Zinke

Worms. Er zählt zu den bekanntesten deutschsprachigen Dramatikern – und ist auch in der Region längst kein Unbekannter. Nach Mannheim und Heidelberg zeigt nun Worms ein neues Theaterstück von Roland Schimmelpfennig. Im Vorfeld sprachen wir mit dem Verfasser von über 50 Dramen über seine anstehende Uraufführung, den Weg dahin - und seine literarischen Verfahren.

Herr Schimmelpfennig, sie sind als Dramatiker seit fast 30 Jahren ununterbrochen in einem eher kurzlebigen Geschäft erfolgreich. Was ist ihr Geheimnis?

Roland Schimmelpfennig: Dass Autoren bekannt werden und schnell wieder ausgetauscht werden mit neuen Namen, ist leider wahr. Es ist wirklich kein einfaches Geschäft. Ich habe das Schreiben einfach von Anfang an als mein wirkliches künstlerisches Ziel empfunden, Schreiben, das war - und ist - das, was ich im Leben machen will. Die ersten 20 Jahre meines Berufslebens habe ich dann fast ausschließlich dem Theater gewidmet. Nach meiner Ausbildung zum Regisseur und dem Beginn meiner Laufbahn als Regieassistent konnte und wollte ich mir ehrlich gesagt gar nichts anderes vorstellen. Mir war klar, dass es nicht einfach ist. Aber für mich war klar: Das ist das, was ich wirklich machen möchte.

Sie haben einen sehr individuellen Stil und bereichern das Burgunderensemble vor dem Dom mit sprechenden Gegenständen, etwa einem Lindenblatt oder der Rolle der Tarn- oder Nebelkappe. Das machen sie gar nicht selten. Ein Tick, ein Trick? Und wenn ja, wozu?

Schimmelpfennig: Eine bestimmte, für das Theater abgewandelte Form des „magischen Realismus“ ist natürlich Teil meiner Handschrift. In der Radikalität wie jetzt bei „See aus Asche“ ist das innerhalb meines Werks neu. Sprechende Lindenblätter hatte ich bis dahin noch nicht, auch nicht den sprechenden „Sonntagmorgen“ oder die „Nähnadel“. Bisher war es eher der Fall, dass die Figuren aus sich heraustreten, dass sie sich in der dritten Person selbst beschreiben, so dass aus Figur und Schauspieler ein sonderbares Mischwesen entsteht.

Wie immer geht es bei den Burgundern vor dem Wormser Dom heiß her. Das Ensemble von "See aus Asche - Das Lied der Nibelungen" bei den Endproben. © Bernhard Zinke

Wozu dient dieses Verfahren?

Schimmelpfennig: Das hat den positiven Effekt, dass der Zuschauer nicht mehr ein traditionelles „Verstellungsheater“ erlebt, sondern ihm ermöglicht wird, zu erkennen, was Theater per se sowieso ist. Nämlich, dass man dabei zuguckt, wie einer einem etwas vorspielt. Die Illusion ist ja im Theater immer wunderbar gebrochen. Das Publikum kann durch die heutigen Sehgewohnheiten mit dem Augenzwinkern eines solchen Verfahrens umgehen.

Wie wählen sie diese sprechenden Gegenstände aus?

Schimmelpfennig: Bei der Begegnung mit dem Nibelungenstoff stößt man auf Mythen, an denen man nicht vorbeikommt: da ist der Drache, natürlich, oder auch das Schwert, Balmung. Den Kostümfundus und die Requisitenkiste eines Mittelalterfilms wollte ich allerdings unbedingt vermeiden. Vielleicht kommen auch deshalb das Blatt und die Nebelkappe.

Sie haben den Nibelungen auch eine andere Blickrichtung eingeschrieben...

Schimmelpfennig: Das Wichtigste beim Umgang mit dem Stoff ist der heutige Blick auf die Frauenfiguren, darauf, was Helden sind. Der Blick auf den mehrfachen Verrat in der Geschichte, den Betrug und die Zerstörung, die angerichtet wird.

Das Lied selbst will ja nicht gesungen werden. Alle fordern Volker, den Spielmann auf, es zu tun, aber ständig reißen ihm die Saiten und die Finger bluten.

Schimmelpfennig: Richtig, der Sänger, der sich beim Singen des Liedes selbst miterfindet. Das ist eine schöne Dopplung, die in gewisser Weise auch bei Hebbel schon angelegt ist. Es war nie ein schönes Lied. Da irrte sich jeder, der den Stoff irgendwie vaterländisch aufladen wollte. Es ist eine hässliche Geschichte. Und auch nie ein Heldenlied gewesen.

Nibelungenfestspiele Worms, Uraufführung "See aus Asche - Das Lied der Nibelungen" von Roland Schimmelpfennig...Szene mit (v.l.) Lisa Nathalie Arnold (Lindenblatt), Andreas Grötzinger (Volker) und Denis Geyersbach (Giselher)..Bild: bjz 09.07.2025 © Bernhard Zinke

Liegen Brutalität und Machtpragmatismus dieses Epos‘ auf der Volksseele? Ist es ein „deutsches Schicksalslied“, das vom Mittelalter über wilhelminischen Militarismus zu zwei Weltkriegen führt?

Schimmelpfennig: Für mich ist es generell ein nordischer Stoff und nicht unbedingt nur ein deutscher. Aber spätestens durch Friedrich Hebbel und anteilig auch Richard Wagner ist der Stoff seither sehr nah bei uns Deutschen. Ab da kann man durch verschiedene Epochen beobachten, was totalitäre Regierungsformen damit veranstalteten ...

... und 1937 - 1939 auch in Worms damit veranstaltet haben.

Schimmelpfennig: Darüber denkt man natürlich als Autor nach, weil man sich in dieser Tradition zwangsläufig bewegt. Damit muss man sich auseinandersetzen. Es ist aber eine reizvolle Herausforderung, zu sagen: Das lassen wir so nicht stehen! Wir positionieren uns heute neu. Es dem Stoff an sich anzulasten, wäre aber nicht richtig. Der Stoff lebt von Anfang an von der massiven Ungerechtigkeit und fast Tarantino-artig von der Rache Kriemhilds und zuvor Brünnhilds. Beide Frauen rächen sich – und das ist toll - und in meiner Version, ich glaube, das darf man am Tag der Premiere verraten, wird es keinen Hildebrand geben, der Kriemhild aus irgendeinem falschen Gerechtigkeitssinn heraus auch noch tötet.

Der Autor und das Festival

Roland Schimmelpfennig, 1967 in Göttingen geboren, studierte Regie an der Otto-Falckenberg-Schule in München und war Mitglied der künstlerischen Leitung der Münchner Kammerspiele, der Berliner Schaubühne, des Wiener Burgtheater und der Berliner Volksbühne .

Sein Stück „Goldener Drache“ erhielt 2010 den Mülheimer Theaterpreis , wurde zum Berliner Theatertreffen eingeladen und bei der Kritikerumfrage von „Theater heute“ zum Stück des Jahres gewählt.

Der vielfach ausgezeichnete Dramatiker hat seit 1996 gut 50 Stücke geschrieben, am Mannheimer Nationaltheater etwa waren davon zu sehen: „Arabische Nacht“ (2001, Regie: Jens-Daniel Herzog ), „Vorher/Nachher“ (2003, R: H. Fuhrmann), „Auf der Greifswalder Straße“ (2006, R: Herzog), unter Burkhard C. Kosminski : „Start up“ (2007), „Das schwarze Wasser“ (2015), „An und Aus“ (2016), „Das große Feuer“ (2017).

Mit Regisseurin und Intendantin Karin Beier hat Schimmelpfennig am Deutschen Schauspielhaus Hamburg eine Antikenserie namens „Anthropolis“ ins Leben gerufen. Der mittlerweile abgeschlossene, fünfteilige Theben-Überblick im Netflix-Format zu Schimmelpfennigs Uraufführungen sorgte auch beim Heidelberger Stückemarkt 2024 und unlängst auch im Ludwigshafener Theater im Pfalzbau für Furore.

„See aus Asche“, sein Auftragswerk für die Wormser Nibelungenfestspiele , ist von 11. bis 27. Juli an 16 Terminen vor dem Nordportal des Wormser Doms zu sehen. Die gesamte Spielzeit ist bereits ausverkauft . rcl

Brünnhild ist bei Ihnen besonders groß geworden.

Schimmelpfennig: Sie ist ein übernatürliches Wesen, sie hört die Sterne singen, sie wohnt in einem Flammensee, an ihr ist alles anders, besonders. Sie wird aber von dieser sehr gewöhnlichen Wormser Männertruppe dennoch missbraucht und durch Betrug und Täuschung besiegt. Sie wird zerbrochen. Dann aber zeigt sie ihre Wunden fast mit Stolz. Sie glaubt, muss glauben, dass Gunter der Mann ist, den den Vorsehung für sie bestimmt hat. Das ist furchtbar mitanzusehen. Aber es gab an dieser Stelle keinen anderen Weg, als die Gewalt der Männer als das zu zeigen, was sie ist. Wir können uns diese Gewaltgeschichte nicht schönschreiben.

In ihr kommen viele Tiere vor, sind diese die besseren Menschen?

Schimmelpfennig: Mir war klar: den Drachen will ich in der Geschichte haben. Wenn man ihn aber zum Leben erweckt, dann hat das Konsequenzen, die man auch als Autor nicht mehr ganz steuern kann. Der Drache macht sich breit, nimmt sich Raum, spuckt Feuer, fordert in der Geschichte sein Recht ein - aber es gibt auch kleinere Mitspieler: Vögel, Eichhörnchen. Das Ganze ergibt das Bild eines magischen Waldes, in dem eigentlich alles in Ordnung ist, bis sich zwei wildgewordenen Typen um einen Goldschatz streiten. Ja, es ist die Beschreibung einer positiven Gegenwelt.

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Das Christentum ist im Stück ästhetisch präsent, Glocken rufen zum Kirchgang, die Orgel erklingt, aber ethisch ist es noch nicht ganz so weit, das Christentum, oder?

Schimmelpfennig: Wenn man beim Schreiben weiß, dass das Stück vor dieser unglaublichen Kulisse gespielt wird, fließt das natürlich ein. Das Stück spielt an der Umbruchstelle. Hagen und Runolt beklagen sich eingangs, dass sie am Karfreitag nicht jagen dürfen, denen liegen die alten Götter mehr. Modernere Figuren wie Gunter sind schon zum Monotheismus übergegangen. Das Christentum ist da, aber noch nicht fertig, noch nicht kompakt. Vermutlich ist dieser Zeitenübergang eine der wesentlichen Sprungfedern dieser Geschichte, auch in der Begegnung der nordischen Mythenwelt und Brunhild.

Sie erzählen diese bis zum blutigen Ende bei den Hunnen durch. Warum enden sie nicht mit Siegfrieds Trauerfeier und dem 4. Akt? Ihnen ist schon klar, dass Sie sich damit in Worms um einen Fortsetzungsauftrag bringen?

Schimmelpfennig: So habe ich es noch nicht betrachtet. Wichtiger als die Fortsetzung finde ich ja, die Geschichte immer wieder von vorne zu beginnen, auch wenn sie vielleicht auch einen ganz anderen Verlauf nehmen könnte -

... und der V. Akt war dann „nur geträumt“?

Schimmelpfennig: Oder so ähnlich. Nein, im Ernst. Und Etzels Halle musste natürlich in das Stück. Diesmal. Aber diese Geschichte kann man immer wieder neu und anders erzählen, das ist ja das Tolle daran - und macht auch das Wesen des Festivals aus.

Redaktion Seit 2006 ist er Kulturredakteur beim Mannheimer Morgen, zuständig für die Bereiche Schauspiel, Tanz und Performance.

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