Nibelungen-Festspiele

Nibelungenfestspiele in Worms: „See aus Asche“ mit Bezügen zur Gegenwart

„See aus Asche“ konzentriert sich nicht auf Facetten, sondern erzählt die komplette Nibelungen-Sage. Ein spektakuläres Bühnenbild darf in Worms nicht fehlen.

Von 
Uwe Rauschelbach
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Voller Vorfreude auf die Festspiele: Alexandra Kohlmann vom ROWE Mineralölwerk (Parnter), Kulturministerin Katharina Binz, Regisseurin Mina Salehpour und Petra Simon, Geschäftsführerin der Nibelungenfestspiele gGmbH. © Bernward Bertram

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Nibelungen-Festspiele in Worms präsentieren dieses Jahr „See aus Asche“ von Roland Schimmelpfennig.
  • Die Premiere findet vom 11. bis 27. Juli vor dem Wormser Dom statt.
  • Kiesberge vor dem Wormser Dom: Die Inszenierung unter Mina Salehpour verspricht ein spektakuläres Erlebnis zu werden.

Worms. An einem „See aus Asche“ werden die Wormser Nibelungenfestspiele ihr Publikum empfangen. Und man ahnt, was das zu bedeuten hat, wenn in lauen Sommernächten der Mond über der Bühne vor der Kulisse des Kaiserdoms aufgehen wird. Roland Schimmelpfennigs gleichnamiges Buch, das Mina Salehpour in diesem Jahr in Worms inszenieren wird, spart denn auch nichts aus, was den Stoff noch immer interessant macht: „Liebe, Verrat, Sehnsucht und Utopie“ sind für Wolfram Koch die Zutaten, aus denen die Nibelungensage gemacht ist.

Nibelungenfestspiele in Worms: Eine „künstlerische Familie“

Koch, der unter anderem den Frankfurter „Tatort“-Kommissar spielte und im neuen Stück in die Rolle des Hagen schlüpfen wird, steht für ein Ensemble, das mit der aus dem Iran stammenden Regisseurin seit jeher ein enges Arbeitsverhältnis verbindet. Bei der Vorstellung der achtköpfigen Schauspieltruppe in Worms präsentieren sich die Akteure als „künstlerische Familie“. Gleichwohl laufen die Vorbereitungen für die neue Festspielsaison bislang eher im Hintergrund. Der Probenbeginn ist erst für Ende Mai angesetzt. Und so bekennt Wolfram Koch, ob er für das Profil des intriganten Drahtziehers Hagen bereits eine Vorstellung habe, in schönster Kanzlermanier: „Nö.“ Immerhin gibt er, wie auch Jasmin Tabatai, die im „See aus Asche“ sowohl die Brunhild als auch den Drachen spielen wird, eine ungekünstelte Vorfreude auf das neue Stück zu erkennen.

Untat eines Einzelnen wird zur Sünde der ganzen Menschheit

Mit beiden Schauspielern haben auch Andreas Grötzinger als Volker, Eivin Nilsen Salthe als Siegfried, Hans-Werner Leupelt als Gunter, Kriemhild Hamann als – wer sonst? – Kriemhild und Denis Geyersbach als Giselher offensichtlich große Lust darauf, sich in die sechswöchigen, in der Regel durchaus strapaziösen Proben, zeitweise unter freiem Himmel, zu stürzen. Eine Sonderrolle kommt Lisa Natalie Arnold zu: Sie verkörpert das Lindenblatt, das den Schutzpanzer Siegfrieds durchlässig macht und jene Stelle markiert, die Hagen nutzt, um dem ahnungslosen Helden einen tödlichen Stoß zu versetzen. Roland Schimmelpfennig setzt mehrere Utensilien metaphorisch ein, etwa auch das Schwert oder die Tarnkappe. Das Blatt symbolisiert jene Schranke, die der Mensch überschreitet, um in eine archaische Welt einzudringen, die sich hiervon nicht mehr erholen wird. Auch der Drache, der zur Strecke gebracht wird, erscheint als Opfer einer Hybris, die sich an der Urnatur vergeht. So wird die Untat eines Einzelnen zur Sünde der ganzen Menschheit.

Nibelungenfestspiele in Worms



Die Wormser Nibelungenfestspiele zeigen das Stück „See aus Asche – Das Lied der Nibelungensage“ nach dem Buch von Roland Schimmelpfennig von 11. bis 27. Juli auf der Freilichtbühne vor dem Dom.

Die Regie führt Mina Salehpour, Dramaturg ist Thomas Laue. Das Team vervollständigen Andrea Wagner (Bühnenbild), Maria Anderski (Kostüme), Sandro Tajouri (Musik), Eivind Myren (Licht) und Kate Ledina (Video).

Das Schauspielensemble bilden Andreas Grötzinger (Volker), Wolfram Koch (Hagen), Jasmin Tabatabai (Brunhild/Drache), Eivin Nilsen Salthe (Siegfried), Hans-Werner Leupelt (Gunter), Kriemhild Hamann (Kriemhild), Denis Geyersbach (Giselher) und Lisa Natalie Arnold (Blatt).

Tickets unter nibelungenfestspiele.de oder über die Ticket-Hotline 01805/33 71 71. urs

Wieder sind es also jene Aktualitätsbezüge, nach denen sich die Nibelungensage von einer zunehmend verstörten Gegenwart befragen lassen muss. Doch das Buch des gefragten Schriftstellers und Dramatikers Roland Schimmelpfennig – seine Antiken-Adaption „Anthropolis“ hat zuletzt im Hamburger Schauspielhaus Furore gemacht – scheint diesmal einen weiterführenden Ansatz zu verfolgen, der die Übergänge von Realität und Utopie, Historizität und Fantasie zum Verschwinden bringt. „See aus Asche“ beleuchtet nicht, wie in zurückliegenden Inszenierungen häufig zu beobachten, einzelne Facetten dieses Stücks, es konzentriert sich nicht nur auf bestimmte Figuren, sondern erhebt den Anspruch, die komplette Sage zu durchforsten: von Siegfrieds Auszug, der Tötung des Drachens, der Erbeutung des Nibelungenschatzes und der Ankunft am Hof der Burgunder bis zu Kriemhilds Rache und dem Untergang am Hof von Hunnenkönig Etzel.

Gleichzeitig kursiert das Drama Schimmelpfennigs offenbar auf einem hohen Reflexionsniveau, wie eine kleine Szene verdeutlicht, die Roland Schimmelpfennig gemeinsam mit Schauspielerin Tabatabai liest, um auf das Stück Appetit zu machen: Siegfried und Brunhild begegnen sich zum ersten Mal, und es entspinnt sich ein Dialog, der das Brüchige und Fragwürdige dieses Verhältnisses in einer Weise problematisiert, die von geschlechterspezifischen Fragestellungen dieser Tage nicht weit entfernt scheint.

Die Regisseurin Mina Salehpour steht bei der Pressekonferenz zu dem neuen Stück der Nibelungen-Festspiele mit dem Titel „See aus Asche“ auf der Bühne. © Uwe Anspach/dpa

Aus Sicht des Künstlerischen Leiters und Dramaturgen der Nibelungenfestspiele, Thomas Laue, befindet sich Schimmelpfennig mit diesem Stück auf der „Höhe seines Schreibens“. Der Text lese sich, dem Duktus des Autors folgend, wie im Rausch, sei von enormer Fabulierlust charakterisiert und kreise um die Hauptfrage, um die es in Worms eigentlich immer gehe: Warum fügen sich Menschen solche Schäden zu, obwohl sie aus ihrer eigenen Vergangenheit lernen könnten, dass dies das Leiden in der Welt allgemein nur vergrößert? Aber auch Humor soll in der Inszenierung nicht zu kurz kommen; sie entzündet sich an jenen Nahtstellen, an denen sich Erzählhaftes mit Realem mischt, etwa wenn es im Stück um eine arbeitslose Balletttänzerin geht oder der Wormser Bahnhof einbezogen wird.

Weißgraue Kieshügel vor dem Nordportal des Doms in Worms

Thomas Laue, der mit Intendant Nico Hofmann bis 2028 in Worms unter Vertrag steht, klappt im Gespräch seinen Laptop auf und präsentiert einen Entwurf für das neue Bühnenbild, das Andrea Wagner kreiert: weißgraue Kieshügel vor dem Nordportal des Doms. Sie symbolisieren sowohl jene Metaphorik, die von der Unverfügbarkeit und Verletzlichkeit der Natur handelt, zugleich sind sie natürlich ein Hinweis auf den sagenhaften Schatz, den Hagen im Rhein versenkt hat. Ob er in den Kieshaufen zu finden sein wird, lässt Laue offen.

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Dass das rutschige Material auch bei Regen begehbar sein wird, davon hat sich der Theatermann hingegen überzeugt; in den Vorjahren wateten die Darsteller durch Fluten von Theaterblut und Schlamm. Für Thomas Laue ist Mina Salehpour jedenfalls die Richtige, um ein solches Stück in Szene zu setzen. Gelinge es der Regisseurin doch auf überzeugende Weise, literarische Stoffe spielerisch auf die Bühne zu bringen.

Nibelungenfestspiele: Tabatabai spielt in einer Doppelrolle die Brunhild und den Drachen

Tatsächlich sammelt Salehpour am Wiener Burgtheater und in Norwegen Erfolge. Mit ihrer Landsfrau Jasmin Tabatabai verbindet sie inzwischen eine freundschaftliche Künstlerbeziehung; auch die Schauspielerin bekennt, sich bei der ersten Begegnung geradezu „schockverliebt“ zu haben. Und „Nibelungenfan“ ist Tabatabai als Mitwirkende in einer früheren Wormser Inszenierung ohnehin, wie sie unterstreicht. Die Doppelrolle hat sich aus ihrer Sicht angeboten, seien Brunhild und der Drache doch wesensverwandt. Sie sei stolz darauf, so die Schauspielerin, in Worms „ein neues Kapitel schreiben“ zu können.

Beste Voraussetzungen also, die „alten Gesänge, die von irgendwoher wehen“, mit Hagen-Darsteller Wolfram Koch „in die Realität rauschen“ zu sehen. Dramaturg Laue interessiert nach wie vor die Frage: „Was ist an dieser Geschichte noch nicht erzählt?“ Dass es im Stoff noch Leerstellen gibt, die in Worms seit der ersten Festspielpremiere 2002 bislang unbeleuchtet geblieben sind, davon ist er überzeugt. Demnach ist am Wormser Bahnhof, den die Nibelungenfestspiele mal eben vorübergehend an den Dom verlegen, der Zug noch lange nicht abgefahren.

Freier Autor

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