Mannheim. Also das mit dem Fehlbetrag fürs Nationaltheater hat sich nach diesem Puccini-Coup doch hoffentlich erledigt. Die letzte Kostenexplosion für die Sanierung (62,5 Millionen Euro) dürften nun Ferrari, Gucci und Louis Vuitton übernehmen, spielen sie doch (auf der Bühne) im Leben des Gauners und Lebenskünstlers Gianni Schicchi und seiner Tochter Lauretta eine existenzielle Rolle.
Er, mit schütterer Mähne in seine Männlichkeit betonende weiße Hot Pants gepresst (autsch), fährt das geile rote Geschoss mit dem Pferdelogo in überhöhter Rasanz kreuz und quer durch la bella Firenze (Video: Thilo David Heins). Sie, It-Girl und Luxus-Luder in Personalunion, schleppt die neuesten Einkäufe mit stolz prangenden Markenlogos auf teuren Taschen auf die Bretter. Ad hoc gerät man in Versuchung, Puccinis Einakter gleich „Gianni Gucci“ zu nennen.
Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nennt man so etwas „product placement“. Im öffentlich-rechtlichen Theater nennt man so etwas Kapitalismuskritik. Das ist okay. Ob unter diesen Umständen jedoch eine Monetarisierung stattfinden kann? Fraglich. Allein die Spekulation ist natürlich Quatsch, ist Mannheim doch weder Mailand noch Paris noch New York und wissen die Firmen wohl kaum etwas von ihrem (Un)-Glück. Vielmehr sind es hier mal wieder die nimmermüden Lilo und Manfred Fuchs sowie der DAX-Schmierstoffgigant Fuchs SE, die diesen großen Abend unterstützen.
„Il trittico“ -Inszenierung in Mannheim: Vertrackte Partitur samt Foxtrott-Elementen
Aber Spaß beiseite. Von hinten betrachtet ist dieses Triptychon („Il trittico“) schon mal sehr lustig und gelungen. „Gianni Schicchi“ ist ja ein Geniestreich Puccinis – ein unkaputtbarer Klassiker, den man fast nicht tot-inszenieren kann. Und Nigel Lowery, Regisseur des Abends, macht daraus eine Art Kasperletheater und drapiert die scheinheilig trauernde Familie des toten Donati als bunte Commedia dell‘arte-Truppe hinter sukzessiv ansteigende Emporen. Dort rutschen und hampeln sie mit Beinchen herum, dort hecheln acht Heuchelnde dem Erbe des Toten nach. Lowerys leichte Regiehand tut Wunder, und Roberto Rizzi Brignoli leistet mit dem Orchester Großes: Es leuchtet, wuselt und werkelt, prächtig, beweglich und bestens mit der Bühne koordiniert wird die kleinteilig-vertrackte Partitur samt Foxtrott-Elementen zum plastisch irisierenden Relief.
„Il trittico“ in Mannheim
- Das Werk: Uraufführung von „Il trittico“ fand 1918 an der Met in New York statt. Die Einakter, „Il tabarro“, „Suor Angelica“ und „Gianni Schicchi“ sind dramatisch, tragisch und lustig.
- Die Handlung: In „Il tabarro“ verschärfen sich die Spannungen zwischen Michele und seiner Frau Giorgetta, die eine Affäre mit dem Arbeiter Luigi hat. Die Eifersucht endet in einem tödlichen Drama. „Suor Angelica“ erzählt die Story einer Nonne, die im Kloster das Geheimnis eines unehelichen Kindes trägt, von dem sie erfährt, dass es gestorben ist. Vor Kummer begeht sie Selbstmord. In der finalen Komödie manipuliert „Gianni Schicchi“ das Testament des reichen Donati nach dessen Tod, um sich selbst Großteile des Erbes zu sichern, während er der Familie vorgaukelt, in ihrem Interesse zu handeln.
- Die Termine: 21., 23., 25., 29., 31. Mai sowie 3. und 5. Juni (Info und Karten: 0621/1680.150).
Vielleicht verschießt Lowery in den ersten Minuten etwas zu viel Pulver. Eine Lachsalve folgt da der anderen. Es ist irrsinnig witzig. Über 50 Minuten lässt sich dieses Niveau aber nicht halten. Dennoch: sehr unterhaltsame Oper auf einer Art Matrix der Impertinenz.
Die drei heterogenen Einakter fasst der 1960 geborene Londoner als Abstieg und Fall der Gefühle zusammen: von (todbringender) menschlicher Eifersucht in „Il tabarro“ über (todbringende) Hoffnungslosigkeit in „Suor Angelica“ mit „Gianni Schicchi“ dann hin zu dem, was sich aus Puccinis Sicht wohl ernsthaft gar nicht mehr ausdrücken ließe - das eigentlich Hässliche in uns, in unserem innersten Kern: Gier, Sucht, Neid – alles, was aus uns erbärmliche Kreaturen macht. Folglich wird hier am Ende auch der Tod in Form eines Skelettmenschen den Übeltäter Schicchi abholen. Klar bekommt er mildernde Umstände in der Hölle. Und Bartosz Urbanowicz ist ein genialer Schicchi, er spielt den neureichen Italiener so genial wie er singt – mit luxuriösen Obertönen und bassbaritonaler Buffo-Qualität.
Im dunklen „Il tabarro“ ist der Verismo-Stil Puccinis am augenfälligsten. Hafenatmosphäre. Alles ist dunkel, schwarz und erbärmlich. Eine schnöde Imbiss-Bude bleibt das Alkohol liefernde Zentrum der sich langsam um sich selbst drehenden Welt (und Bühne), deren einzige Möbel billige Monoblock-Stühle sind. Der eifersüchtige und betrogene Kahn-Kapitän Michele (gefühlvoll und prächtig gesungen von Evez Abdulla) fragt sich hier, ob die von ihm als Wirklichkeit empfundene Welt tatsächlich existiert. So ohne Liebe. Als er den Betrug seiner Frau Giorgetta erkennt und deren Liebhaber zur Rede stellt, bringt er diesen Luigi um. Normalerweise. Nicht bei Lowery. Hier steht der erste Suizid an. Michele ersticht sich selbst und baut im Freitod schon die Brücke zur suizidalen „Suor Angelica“, dem zweiten Einakter des Abends.
Sung Min Song, schon als Alfredo in der „Traviata“ auffällig, macht das gut. Sein Luigi entfaltet tenorale Aureolen und wirkt lediglich punktuell überfordert, wo das Orchester im Tuttiforte agiert. Damit hat wiederum Leah Gordon kein Problem, die schön und mühelos (mit etwas viel Vibrato) Dramatik entfalten kann.
Jesusfigur – mal schäkernd, mal das Kreuz tragend
Gordon ist auch „Suor Angelica“. Es ist der schwierigste Teil des Abends. Nicht nur vom Thema her in der exklusiv von Frauen gesungenen Oper. Lowery versucht hier auch einen roten Faden einzuziehen mit einer Jesusfigur, die mal schäkernd, mal Kreuz tragend über die Bühne schlappt. Lowery spricht im Interview auch von den Passionsfestspielen Oberammergau, mit denen dies hier allerdings nichts zu tun hat. Jesus ist ja der uneheliche (!) Sohn der Frau, die die Ordensschwestern am meisten verehren: Maria. Die Ironie des Schicksals ist, dass Angelika im Kloster ist, weil sie einen unehelichen Sohn hat, also hatte, denn er soll gestorben sein, wie sie von der erdig, brustig und mitleidslos klingenden Tante (Julia Faylenbogen) erfährt. Das scheint eine kluge Idee, funktioniert am Ende aber nur mäßig und wird von Puccinis unfassbar berührender Musik aufgefangen.
25 exzellente Solisten plus Chor (Alistair Lilley) stehen hier auf der Bühne. Alles auf sehr hohem Niveau. Sängerischer Höhepunkt ist sicher Seunghee Khos „O mio babbino caro“. Die populäre Arie der Lauretta klingt bei ihr fast makellos modellhaft, perfekte Registerwechsel, unangestrengte Höhe, durchweg kultiviert und vor allem wieder mal stilistisch perfekt ausgearbeitet. Eine Sensation. Auch Rafael Helbig-Kostka (Rinuccio) hat man so gut noch nicht gehört, voller Schmelz um einen gesunden Kern, lediglich in den Spitzentönen (b´) seiner Arie „Avete torto!“ hört man Anstrengung.
Ein toller Abend also im Opernhaus am Luisenpark. Und das mit der Finanzierung – ein kurzer Anruf in Maranello, Florenz oder Paris, das wäre doch einen Versuch wert.
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