MM. Sopranistin Leah Gordon singt in Giacomo Puccinis Dreiakter „Il trittico“, den Regisseur Nigel Lowery am Mannheimer Nationaltheater inszeniert, die Rollen der Giorgetta und der Angelica. „Il trittico“ umfasst die Stücke „Il tabarro“ (Der Mantel), „Suor Angelica“ (Schwester Angelica) und Gianni Schicci. Im Gespräch macht Leah Gordon deutlich, welche Sonderrolle „Il trittico“ gegenüber anderen Puccini-Opern wie „Tosca“ oder „Turandot“ für sie einnimmt.
Frau Gordon, auffallend ist, dass Sie in den ersten beiden Einaktern von Puccinis Triptychon die Giorgetta und die Angelica singen, nicht aber die Lauretta im dritten Akt. Warum eigentlich?
Leah Gordon: Das war in erster Linie eine Entscheidung von Regisseur Nigel Lowery. Aber hinzu kommt: Die Lauretta ist für einen leichten lyrischen Sopran geschrieben, was nicht meinem Stimmfach entspricht. Dennoch hätte ich mich der Herausforderung, alle drei Frauenrollen zu singen, natürlich gestellt. Asmik Grigorian hat das bei den Salzburger Festspielen, soweit ich weiß als erste Sängerin überhaupt, geschafft.
Worin läge für Sie der Reiz?
Gordon: Es sind drei völlig unterschiedliche Welten, die man in „Il trittico“ betritt. Die Rollen verlangen von einer Sängerin, völlig gegensätzliche Temperamente zu verkörpern und das über die Stimme mit differenzierten Farbnuancen zum Ausdruck zu bringen.
Es gibt wenige Arien im Triptychon. Ist das nicht schade für eine Sopranistin?
Gordon: Nein. Denn ich bin als Sängerin durchaus sehr gefordert. „Il trittico“ ist mehr Musiktheater als Oper, deshalb muss man sich auf andere Formen der Darstellung einlassen.
Kommt es dabei eher auf die schauspielerische Darstellung an als auf den Gesang?
Gordon: Ich würde das Schauspiel in „Il trittico“ nicht vergleichen wollen mit Film oder Theater. Meiner Meinung nach muss sich die darstellerische Leistung in erster Linie in der Form des Gesangs zeigen.
Wie aktuell sind Puccinis Frauenfiguren, wie sie im Triptychon skizziert werden?
Gordon: So aktuell wie damals und zu allen Zeiten. Giorgetta liebt ihren Mann, aber nach dem Verlust ihres Kindes sind sie in eine Krise geraten. Giorgetta sucht einen Weg, um damit weiterzuleben. Der Mann verharrt dagegen in seiner Trauer, er ist in der Vergangenheit gefangen und für seine Frau nicht mehr erreichbar. Giorgetta hat einen Traum vom Leben, sie sehnt sich nach Berührung und nach Leidenschaft, nach etwas Licht in der Dunkelheit. Für mich ist es nachvollziehbar, warum sie dann eine Affäre mit einem anderen Mann beginnt.
Welche der beiden Figuren liegt Ihnen mehr: Giorgetta oder Angelica?
Gordon: Mit Giorgetta konnte ich mich auf Anhieb identifizieren. Dagegen hatte ich zunächst Probleme, mich der Angelica anzunähern, die im Kloster lebt. Ich singe gerne Rollen von Frauen, die kämpfen, die Kraft aufbringen, um ihr schweres Schicksal zu meistern. Es sind Frauen, die nicht gleich aufgeben. Angelica dagegen nimmt sich unmittelbar das Leben, als sie die Nachricht bekommt, dass ihr uneheliches Kind gestorben sei. Das war für mich zunächst schwer nachzuvollziehen. Doch im Verlauf der Probenarbeiten ist mir Angelica immer mehr ans Herz gewachsen. Inzwischen kann ich sie in meine Arme nehmen und habe ein großes Verständnis für sie entwickelt. Ich liebe sie auf eine bestimmte Art und Weise.
Premiere von „Il trittico“ im OPAL
Die Premiere von Giacomo Puccinis dreiteiliger Oper „Il trittico“ ist am Sonntag, 18. Mai, 17 Uhr (Kurzeinführung 16.15 Uhr) im Opernhaus am Luisenpark (OPAL).
Sie wird in italienischer Sprach e mit deutschen und englischen Übertiteln aufgeführt.
Regisseur ist Nigel Lowery. Es spielen das Nationaltheater-Orchester und es singt der Opernchor des Nationaltheaters. Die musikalische Leitung hat Roberto Rizzi Brignoli .
In den Gesangsrollen sind neben Leah Gordon als Giorgetta und Angelica auch Evez Abdulla (Michele), Sung min Song (Luigi) sowie Julia Faylenbogen (La zia principessa), Bartosz Urbanowicz (Gianni Schicci) und Seunghee Kho (Lauretta) zu hören. urs
Was können wir über die Situation der Frauen lernen, wie sie Puccini zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschreibt?
Gordon: Puccini hat die Frauen geliebt, das ist sicher keine neue Erkenntnis. Die Sopran-Rollen zeigen sehr weibliche, zur Schwäche neigende Figuren, die Schutz suchen, aber in bestimmten Situationen auch Stärke zeigen können.
Gehen Sie bei den Aufführungen nach den ersten beiden Einaktern nach Hause, weil Sie im dritten nichts mehr zu tun haben? Oder fiebern Sie bis zum Ende mit?
Gordon: Ich möchte den dritten Teil unbedingt sehen, weil das bisher wegen der zeitlich geteilten Proben noch nicht möglich war. Aber ich werde am Premierenabend den seltenen Luxus genießen, eine Stunde Zeit zu haben, um mich für die anschließende Premierenfeier fertig machen zu können.
Wie haben Sie die Probenarbeiten bisher erlebt?
Gordon: Als sehr motivierend. Nigel Lowery legt nichts starr fest, sondern lässt genügend Freiheiten in der Zusammenarbeit mit den Akteuren, damit sich das Stück Schritt für Schritt entwickeln kann. Dadurch ist es ein sehr lebendiges Stück geworden. So, wie Kunst überhaupt sein sollte.
Ihr bisheriges Gesangsrepertoire ist breit gefächert und kaum zu überblicken. Welchen Stellenwert nimmt da „Il trittico“ ein?
Gordon: Mit der Tosca, der Turandot, mit der Giorgetta und der Angelica habe ich binnen eines Jahres vier Puccini-Partien gesungen. In „Il trittico“ sind andere gesangliche Ausdrucksformen verlangt, da Puccini die theatralischen Momente gegenüber dem reinen Operngenre verstärkt hat und wir dennoch auf einer Opernbühne stehen.
Wird Puccini als Komponist von Schlagern unterschätzt?
Gordon: Wird er das? Ich weiß nicht … Es gibt durchaus eine grundsätzliche Skepsis allem scheinbar Schönem oder Leichtem gegenüber, als sei das künstlerisch weniger wert. Damit würde man Puccini aber nicht gerecht.
Welchen roten Faden verfolgen Sie bei Ihren Plänen für die Zukunft?
Gordon: Ich möchte Rollen singen, die ich wirklich verkörpern kann. Dabei habe ich immer die Vorstellung, die jeweilige Figur verteidigen, Verständnis für sie erwecken zu wollen. So könnte ich niemals die Carmen oder die Mimi aus „La Bohème“ singen. Eher schon Rollen in Opern von Wagner oder Strauss – Isolde, Brünhilde, Elsa, Sieglinde oder Elektra würden mich sehr reizen.
Welche künstlerischen Ziele haben Sie darüber hinaus?
Gordon: Ich möchte jüngeren Sängerinnen die Erfahrung vermitteln, dass bei einer Opernaufführung nicht der Körper, sondern die Stimme das entscheidende Ausdrucksorgan ist. Außerdem könnte ich mir vorstellen, auch einmal Opern zu inszenieren. Erste Erfahrungen habe ich damit bereits gemacht.
Menschen sind Augenmenschen. Muss man auf der Bühne da nicht eher mehr bieten, wie es im modernen Regietheater ja auch versucht wird?
Gordon: Nein. Oper hat es in der Regel mit historischen Stoffen zu tun, und die Menschen, die eine solche Opernaufführung besuchen, wollen in diese vergangenen Welten eintauchen. Es ist nicht nötig, die historischen Bezüge zu kappen und alles in die heutige Zeit zu versetzen. Opern wollen in erster Linie zeigen, wie zeitlos die Themen sind, die vom Menschsein in all seinen Facetten handeln. Bin ich da altmodisch? Ich glaube nicht. Ich empfinde mich eher als Visionärin.
Wie würden Sie reagieren, wenn Calixto Bieito anriefe, ob Sie in einer seiner Inszenierungen mitwirken würden?
Gordon: Ich bin offen für alle Menschen, die ebenso offen für andere sind.
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