Mannheim. Der Bühnenboden ist weiß, im hinteren linken Eck begrenzt er leicht ansteigend den Raum im Mannheimer Eintanzhaus. Rechts hinten liegen zwei Stühle mit den Lehnen zum Publikum ausgerichtet. Im Vordergrund warten weitere Stühle auf Einsätze, ebenso zwei Anzugjacken, die inmitten des Tanzbodens im Kegellicht zweier Scheinwerfer ausgebreitet sind. Nun beginnt eine von Kevin O’Day für Veronika Kornová-Cardizzaro und Alba Nadal choreografierte Begegnungsreise, die unter dem Titel „The Goings-on“ das Premieren-Publikum eine knappe Stunde in Bann hielt und stürmischen Applaus erntete.
Die Drei kennen sich lange. O’Day war von 2002 bis 2014 Ballettdirektor und Intendant des Mannheimer Nationaltheaters, mit seinem nach ihm benannten Ensemble schuf er unvergessene Werke wie die „Goldbergvariationen“, „Robert, Richard & Johann - Per Du mit drei deutschen Meistern“ oder „Per Du mit Wolfgang, Arnold und Joseph“.
Noch länger als O’Day ist Kornová-Cardizzaro in Mannheim. Als 17-Jährige erhielt die gebürtige Tschechin an der Mannheimer Akademie des Tanzes ein Stipendium der Birgit-Keil-Stiftung, wurde dann vom damaligen NTM-Chef Philipp Talard engagiert, von O’Day übernommen und 2008 mit dem Arnold-Petersen-Preis ausgezeichnet. Nach 17 Jahren als Solistin wechselte sie 2016 in die freie Szene der Metropolregion über. O’Day und die Spanierin Alba Nadal kennen sich vom Badischen Staatstheater Karlsruhe, wo sie – nach 14 Spielzeiten aus Kopenhagen kommend – 2019 dem Ballettensemble beitrat. O’Day war damals Artist in Residence.
Struktur durch geniales „Köln Konzert“
Der gebürtige US-Amerikaner vertraut auf gute Bekannte, denn für seine Intentionen sind langjährige Erfahrung die Grundlage. Ihm geht es in „The Goings-on“ um das Prinzip von Veränderungen, Übergängen und Transformationen, um Prozesse des Entdeckens, aber auch um Struktur.
Die geniale Basis dafür liefert das legendäre „The Köln Konzert“ des Jazz-Pianisten Keith Jarrett. Am 24. Januar 1975 entstand es unter schwierigsten Bedingungen um Mitternacht als improvisiertes Solo-Klavier-Konzert im Kölner Opernhaus. Das Album wurde das erfolgreichste des US-Amerikaners, der am 8. Mai seinen 80. Geburtstag feiert. O’Day hat die strukturgebenden vier Teile des Konzerts beibehalten, die Musik aber etwas gekürzt. Sie spiegelt wandelnde Gefühlslagen, wirkt fröhlich-spielerisch, elegisch, aber auch emotional, stürmisch und eruptiv. Genauso verlaufen die Begegnungen zwischen den O’Days Intentionen kongenial interpretierenden Tänzerinnen.
Die strahlen anfangs pure Lebensfreude aus. Die meist großen Bewegungen mit viel Bodenberührungen und weitschwingenden Armen werden mit sich verändernder Musik plötzlich hastig, eckig, zerfahren, finden aber wieder zurück zu einer nun eher gereiften Körpersprache. Abwechslung bringen neben dem klugen Lichtspiel die Requisiten. Wenn die beiden auf den hinteren Stühlen mit dem Rücken zum Publikum nahezu auf dem Boden sitzen, tanzen nur die Arme, beim Sitzen auf „normalen“ Stühlen sind es nur die Beine. In der ersten Hälfte tragen beide Anzüge, die durchtrainierte, etwas kleinere Nadal schlüpft danach in ein sportliches Trikot, die groß gewachsene Kornová-Cardizzaro in ein feminineres weites Kleid.
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