Interview

Provinz in der Provinz: „Ladenburg war ein Riesengeschenk“

Ein Gespräch mit Leon Sennewald und Vincent Waizenegger von der Band Provinz über ihr Open Air in Ladenburg und den Nutzen des Bandpools der Popakademie.

Von 
Jörg-Peter Klotz
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Provinz schauen voraus auf Ihr Open Air auf der Ladenburger Festwiese (von links): Moritz Bösing, Leon Sennewald . Vincent Waizenegger und Robin Schmid. © Rufus Engelhardt/Shana Purnama

Ladenburg. Provinz in der Provinz: Am 30. August spielt das Indie-Pop-Quartett in der liebenswerten Römerstadt Ladenburg mit ihrem aktuellen Nummer-eins-Album „Pazifik“ im Fokus. Die dortige Festwiese hat die Band in guter Erinnerung – von einem frenetisch gefeierten Picknick-Konzert unter Corona-Bedingungen 2021, an das sich Drummer Leon Sennewald und Frontmann Vincent Waizenegger im Vorab-Interview gern erinnern. Damals überschritt die Kapazität 1200 Plätze mit Abstand, jetzt werden mehr als 7000 Fans erwartet.

Herr Sennewald, Herr Waizenegger, nach LaBrassBanda und den Fantastischen Vier an diesem Wochenende spielen Sie mit Provinz am Samstag darauf in Ladenburg. Sie haben in den letzten Jahren die großen Festivalbühnen erobert, sind permanent in den Charts, das aktuelle Album „Pazifik“ landete erstmals auf Platz eins – ist es da inzwischen ungewohnt, in kleineren Städten aufzutreten?

Leon Sennewald: Ungewohnt vielleicht, aber auch total besonders. Wir spielen tatsächlich nicht oft in kleinen Städten. Ladenburg ist da schon eine Ausnahme – und wir haben gute Erinnerungen. Vor vier Jahren waren wir dort schon einmal.

Vincent Waizenegger: Ja, das war mitten in der Pandemie.

Sennewald: Genau. Damals war es ein Picknickkonzert – mit Abständen, maximal zwei Haushalten pro Picknickdecke, ganz seltsame Regeln. Aber für uns war das eine extrem wichtige Erfahrung. Wir hatten gerade Songs draußen, die Band war noch jung, und plötzlich war Pandemie. Eigentlich der schlechteste Zeitpunkt, um loszulegen. Und trotzdem haben wir gesagt: Wir machen weiter. Dass wir in Ladenburg spielen durften, war da ein Riesengeschenk.

Was reizt Sie mehr: die ganz großen Festivals oder diese kleineren Open Airs wie in Ladenburg?

Waizenegger: Alles hat seinen Reiz. Festival bedeutet Eskalation, Euphorie, alles sehr intensiv. Aber es ist auch ein Stück weit fremdbestimmt. Bei eigenen Konzerten kannst du die Atmosphäre genau so gestalten, wie du es willst. Dieses Jahr haben wir uns bewusst entschieden, nur eigene Shows zu spielen. Da ist man näher dran am Publikum, die Stimmung ist persönlicher. Aber irgendwann wird die Lust auf Festivals sicher wiederkommen.

So sah das Picknickkonzert mit Provinz 2021 unter Corona-Bedingungen in Ladenburg aus. © Marcus Schwetasch

Was erwartet die Fans auf der Festwiese für ein Programm?

Waizenegger: Wir bringen natürlich unser neues Album mit. Die Shows sind darauf zugeschnitten. Es gibt ein neues Bühnenbild, viele neue Songs – aber wir spielen natürlich auch ältere Stücke. Und wir nehmen die visuelle Ebene sehr ernst. Selbst die Farbwelt des Albums, das Blau, spiegelt sich auf der Bühne wider.

Viele sehen Provinz inzwischen als eine Art Stimme Ihrer Generation. Ihre Songs greifen Themen auf, die weit über die im Deutschpop handelsüblichen Liebesgeschichten hinausgehen – vom Krieg bis zur sozialen Spaltung. Fühlen Sie sich als Sprachrohr Ihrer Altersgruppe – und empfinden Sie das als Druck?

Sennewald: Es ist kein Druck, eher ein Privileg. Wir fühlen aufgrund unserer Reichweite schon Verantwortung gegenüber den Menschen, die unsere Musik hören. Es kommen viele junge Leute zu unseren Konzerten, und wir wollen, dass sie merken: Hier ist kein Platz für Rassismus, hier wird niemand ausgeschlossen. Wir wollen einen respektvollen, offenen Raum schaffen. Und uns abgrenzen von Personen mit Gedanken, die dem rechten Spektrum zuzuordnen sind. Bei der Menge an Menschen, die inzwischen zu unseren Konzerten kommen, sind Songs wie „Draußen ist Krieg“ dabei wichtig, weil sie deutlich machen: Wir können uns nicht einfach wegducken. Auch wenn Social Media uns leicht in Blasen einschließt, ist es wichtig, rauszuschauen, Nachrichten zu gucken und Haltung zu zeigen. Man sollte sich nicht abschotten, auch wenn es mit Social Media wie TikTok leicht ist, sich eine Höhle zu bauen.

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Waizenegger: Gleichzeitig geht es auch um uns selbst. Wir sind mit dem Gefühl groß geworden, dass die Welt immer komplizierter wird. Ein Teil unserer Musik ist deshalb Ventil – manchmal frustriert, manchmal voller Sehnsucht, manchmal versöhnlicher. Es geht um die Suche nach Orientierung, und darin erkennen sich viele wieder.

Ihre Generation ist ja wirklich in einer merkwürdigen Situation. Lange herrschten in Europa Frieden und Wohlstand, und plötzlich jagt seit 2015 eine Krise die nächste – Flüchtlingsbewegungen, Pandemie, Klimakrise, Krieg. Mitten in Ihrer Jugendzeit, die eigentlich unbeschwert sein sollte. Wie nehmen Sie das wahr?

Waizenegger: Ich habe das Gefühl, man kann sich der Politik gar nicht mehr entziehen. Früher hat man sich über Musikrichtungen definiert, wer Punk hört, wer Hip-Hop hört. Heute geht es viel stärker um politische Einstellungen. Man diskutiert ständig, wird früher politisiert. Es ist nicht mehr so, dass man sich aussuchen kann, ob man politisch interessiert ist – die Themen drängen sich auf. Und es gab auch mal so ein bisschen Neid auf andere Generationen davor. Weil ich dachte: Uns wird nicht die Zeit gegeben, die wir jetzt brauchen würden, um zu checken, wer wir eigentlich sind und was wir überhaupt wollen.

Sennewald: Was ich spannend finde: Unsere Generation ist auch sehr früh nostalgisch. Viele sehnen sich nach einer „guten alten Zeit“, obwohl wir selbst noch gar nicht so alt sind. Aber weil die Kindheit für viele von uns behütet war – bis ungefähr 2015 – und dann Schlag auf Schlag Krisen kamen, entsteht so eine Wehmut. Fridays for Future, Corona, der Krieg in Europa – wir sind mit Krisen aufgewachsen, das prägt.

Provinz in Ladenburg

  • Provinz sind seit 2019 zunehmend erfolgreich – und waren am Anfang ein Fall von „Vetternwirtschaft“: Im 4700-Seelen-Städtchen Vogt (Landkreis Ravensburg) machten die beiden Cousins Vincent Waizenegger (Lead-Gesang) und Robin Schmid (Keyboard) zusammen Musik. 2012 kam mit Bassist Moritz Bösing noch ein Vetter dazu. Der befreundete Schlagzeuger Leon Sennewald komplettierte das Quartett 2017. Heute sind die Bandmitglieder zwischen 23 und 33 Jahre alt.
  • 2018 wurden sie für die 20. Generation des Förderprogramms Bandpool der Mannheimer Popakademie ausgewählt - unter anderem mit den Lokalmatadoren von ClockClock, die in puncto Erfolg allmählich aufschließen.
  • 2019 folgte ein Plattenvertrag beim Major-Label Warner Music. Ihr Debütalbum „Wir bauten uns Amerika“ erschien 2020 und erreichte Platz vier der Charts. Auf „Zorn & Liebe“ (2022, Rang zwei) folgte im Februar 2025 „Pazifik . Mit ihrem dritten Longplayer grüßten Provinz erstmals von der Spitze der Albumcharts.
  • Provinz, spielen am Samstag, 30. August, auf der Ladenburger Festwiese – zum zweiten Mal nach einem Picknick-Konzert in der Pandemie 2021. Ab 19 Uhr eröffnet die Linzer Songwriterin Magda das Open Air.
  • Karten kosten im Vorverkauf unter delta-konzerte.de 68,05 Euro (inklusive Gebühren). Abendkasse: 70 Euro . jpk

Macht das Ihre Musik bewusster, vielleicht auch versöhnlicher? Im Hit „Hymne gegen Euch“ habt Ihr noch 2021 recht aggressiv der Boomer-Generation die Leviten gelesen?

Sennewald: Wir haben das gar nicht gezielt gesteuert, aber es stimmt schon: Manche Songs sind weicher, harmonischer geworden. Vielleicht, weil wir das Gefühl haben, dass draußen schon genug Härte herrscht. Da braucht es nicht noch eine weitere Stimme, die draufhaut. Gleichzeitig wollen wir politisch klar sein, klare Worte finden. Es ist ein Balanceakt: Haltung zeigen, ohne die Hoffnung zu verlieren.

Schon früh in der Karriere wurden Provinz für den Bandpool der Popakademie ausgewählt. Viele wissen nicht genau, was es mit diesem Förderprogramm für junge Acts auf sich hat. Was genau hat es Ihnen gebracht?

Waizenegger: Vor allem Struktur. Am Anfang ist man Musikerin oder Musiker, will einfach Songs schreiben und auftreten. Aber sobald man das professionell macht, kommt eine Welt von Aufgaben dazu, die man überhaupt nicht auf dem Schirm hat. Der Bandpool ist da eine Art Crashkurs. Man lernt die Branche kennen, versteht, wie Labels, Management oder Booking funktionieren, und vernetzt sich mit anderen Bands in ähnlichen Phasen.

Sennewald: Musikalisch waren wir damals schon recht klar. Aber von allem anderen hatten wir keine Ahnung. Wir haben mehrere Jahre versucht, in den Bandpool zu kommen, und erst im letzten Anlauf hat es geklappt – ausgerechnet im Jahr unseres Abiturs. Zum Glück! Danach ging es echt schnell.

Provinz kommen mit großer Show zum Open Air nach Ladenburg. © Rufus Engelhardt

Was versprechen Sie dem Publikum in Ladenburg für einen Abend in diesen anstrengenden Zeiten?

Sennewald: Einen Abend voller Energie und Nähe. Wir freuen uns, dorthin zurückzukehren, wo wir in einer schwierigen Zeit schon einmal so viel Unterstützung gespürt haben. Und wir hoffen, dass es diesmal wieder so ein ekstatischer, besonderer Moment wird.

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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