Mannheim. Bekannt ist Philipp Hochmair, weil er im Fernsehen häufig in „Tatort“, „Bella Block“ oder „Charité“ zu sehen ist oder auch selbst als Serien-Detektiv „Blind ermittelt“ und korrupte Minister unter „Vorstadtweibern“ spielt. Berühmt ist der gebürtige Wiener aber für seine fulminante Schauspielarbeit auf großen Bühnen. Mit Inszenierungen am Burgtheater, dem Hamburger Thalia Theater oder am Deutschen Theater Berlin überzeugt er die Kritik, mit Musikalität und ganz eigenen Literaturbearbeitungen seine Fans. Mit der Band Die Elektrohand Gottes tritt er am Sonntag bei den Internationalen Schillertagen am Nationaltheater Mannheim (NTM) zu einem „Schiller Balladen Rave“ an – Zeit für ein Gespräch …
Herr Hochmair, das NTM kündigt Sie mit den Worten an: „Hier wird es schillernd und krachig.“ Muss mir das Angst machen?
Philipp Hochmair: Keineswegs, wir experimentieren mit klassischer Literatur und Elektro-Beats. Das macht Spaß und soll im besten Fall Angst nehmen.
Da bin ich beruhigt. Wie kommen Sie gerade auf Schiller?
Hochmair: Schon sehr früh haben mich Schillerballaden fasziniert. Ich habe die eine oder andere Ballade auswendig gelernt und gespürt, welche Wucht und Kraft darin steckt. Und jetzt habe ich eine Rockband, die Elektrohand Gottes, mit der ich diese Balladen performen kann. Ursprünglich wurde das Bandprojekt für „Jedermann Reloaded“ gegründet und das Folgeprojekt heißt „Schillerballaden Rave“. Ziel war es, atmosphärisch einen Rave auf die Beine zu stellen, bei dem man die brillanten Schillerballaden original und in voller Länge hört.
Also ein Experiment zunächst?
Hochmair: Ja. Wir haben das an verschiedenen Orten ausprobiert, und dabei hat sich nach und nach etwas entwickelt. Wir haben das Burgtheater und große Open-Air-Bühnen gerockt, indem wir eine Bühnenperformance mit den großen Schiller-Balladen zusammengeführt haben.
So wie Sie, der seine Schillerliebe schon vor bald 20 Jahren unter Nicolas Stemann als „Don Karlos“ und als Franz Moor in den „Räubern“ bewies. Das performative Konzert-Format war aber bisher immer im Theater zu sehen, oder?
Hochmair: Ja, es ist lustigerweise immer im Theaterkontext aufgeführt worden. Es bleibt eine Theaterinszenierung, die sich formal des Raves bedient, aber im eigentlichen Sinne ein Theaterstück ist.
Sie haben ein Händchen für Literaturbearbeitungen. Mit Hofmannsthals „Jedermann“ und Goethes „Die Leiden des jungen Werther“ feiern sie seit Jahren Erfolge. Stimmt es, dass sie im Klassenzimmer angefangen haben?
Hochmair: So ging es los. Das Klassenzimmer ist für mich sowieso im Idealfall ein Experimentierfeld, eine Brutstätte der Kreativität. Auch ich selbst hatte meinen ersten Auftritt im Klassenzimmer, wo ich mit 16 spontan eine Goethe-Ballade vorgetragen habe. Trotz Pausenklingelns blieben alle Mitschüler sitzen – da wusste ich, dass ich Schauspieler werden will. Als mit 23 dann mein erstes Angebot darin bestand, mit Nicolas Stemann „Werther mobil“ für Schulen zu machen, ging eine Reise los, die bis heute andauert.
Philipp Hochmair
- Philipp Hochmair, (* 1973 in Wien) ist ein österreichischer Schauspieler und Frontmann der Band Die Elektrohand Gottes.
- Hochmair studierte von 1993 bis 1997 unter anderem bei Klaus Maria Brandauer und Artak Grigorjan Schauspiel am Max Reinhardt Seminar in Wien sowie in Paris am Conservatoire national supérieur d’art dramatique.
- Im Kino kennt man ihn etwa aus Oliver Hirschbiegels „Das Experiment“, Philipp Stölzls „Ich war noch niemals in New York“ oder Händel Klaus’ „Kater“.
- Sein „Schiller Balladen Rave“ mit der Elektrohand Gottes findet am Sonntag, 25. Juni, 19 Uhr, im Alten Kino Franklin statt, Karten: 0621/1680 150. rcl
Die Produktion hat immer noch Kult-Charakter. Mittlerweile tourt die „Klassenzimmerproduktion WERTHER“ durch die Lande, gar international und mehrsprachig?!
Hochmair: Ja, es macht mir immer noch Spaß und ist ein perfekter Ausgleich zur Film- und Fernsehkarriere und dem Drehalltag. Es treibt mich seit Jahrzehnten an, diese Literatur aus der Bildungsbürgerecke herauszureißen. Wenngleich ich auch feststellen muss, dass es gar keine Bildungsbürgerecke mehr gibt …
Oh, je! Ein Motivationsdilemma?
Hochmair: Keineswegs. Es ist ein Bild, das wir aus unserer Kindheit noch kennen, dass Lehrer oder Großeltern kauzige, saure Leute waren, die sich eingebildet haben, uns „den Schiller“ einprügeln zu müssen. Doch das gibt es nicht mehr. Deshalb sehe ich das jetzt als mein Ziel, diese Faszination von Texten wachzuhalten und weiterzugeben –und in unser Leben zu rufen. Und weniger, dem Bildungsbürgertum etwas auszutreiben oder wegzunehmen, das heute vermutlich Sie und ich sind, weil wir diese alte, besondere Sprache lieben.
Durch Musik und Raves?
Hochmair: Ja, auch so. Ich hatte ein kurioses Erlebnis, bei der Auflösung des Großelternhauses. Da standen antike Goethe- und Schillerbände in Leder und Frakturschrift in ihren Schutzhüllen wie Backsteine in den Regalen. Und die Frage war, wo ist Schiller – was ist Schiller heute? Ein totes altes Buch im Regal? Wie kann man diese Wahnsinnssprache ins Heute herüberretten und lebendig halten? Meine Antwort ist Schiller Rave – Schiller Balladen Rave.
Bürger-Ballast, bleischwere Bildungs-Monstranzen in Lehrer-Regalen aus deutscher Eiche?
Hochmair: Fast genau – und mein Großvater war in der Tat Lehrer. Aber im Ernst: Über 70 Jahre hat darin keiner mehr gelesen und es wollte sie danach auch keiner haben. Ich musste sie entsorgen, diese Bücher sind buchstäblich aus der Welt gefallen. Schillerballaden mit Techno zu verbinden, ist gar nicht das Ding, sondern diesen Schiller-Schatz in der heutigen Welt lebendig zu halten, das ist mein Job – und Schiller meine Triebfeder und mein Feuer, das mich seit Jahrzehnten nährt.
Das Setting des Abends hat Baustellen-Kolorit. Weil der Rave so schön laut ist?
Hochmair: Als wir den Abend planten, wurde in Berlin durch Bau-Boom und Billigkredite derart viel gebaut, dass die knallorangefarbenen Warnwesten der Bauarbeiter das Stadtbild prägten …
… und Krach machten …
Hochmair: Genau, aber wir fanden das inspirierend, und ich dachte: „Wenn jetzt alle im Chor Schillers ,Die Glocke’ sprechen würden – das wäre ein magischer Moment, auf einer Großbaustelle, als einem kreativen Ort, wo ein Werk entsteht, etwas umgewälzt, Neues geschaffen und die Welt verändert wird.“ Das haben wir dann auf die Bühne übertragen. Ich bin der Arbeiter am Text, und die Musiker werken an den Musik-Mischmaschinen.
Die sind dann somit Stilmittel der Rezeption?
Hochmair: Zumindest meines. Es ist weniger eine Rebellion gegen irgendein bestimmtes Schillerbild oder eine bestimmte tradierte Rezeption. Ich kann mit meiner Band vielmehr spürbar machen, welche unglaubliche Energie in dieser Sprache liegt, wie viel Gutes, Kluges, Versöhnliches und Menschliches daran ist. Und wir wollen den Beweis erbringen, dass man diese Energie noch heute erleben und nutzen kann. Gemeinsam und mit Spaß!
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