Kein Platz für Rassismus

Orchesterchefin: "Wir müssen zuerst unser Unwissen anerkennen"

Im Rahmen von „Kein Platz für Rassismus“ spielt das interkulturelle Bridges Kammerorchester im Mannheimer Capitol Werke aus der Bosporus-Mittelmeerregion - die Künstlerische Leiterin Johanna-Leonore Dahlhoff spricht im Interview über Brücken, kulturelle Vorurteile und Phänomene unterschiedlichen Musikhörens

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Baut musikalische Brücken: Johanna-Leonore Dahlhoff. © Salar Baygan

Frau Dahlhoff, Musik verbindet ja ohnehin. Braucht es da Brücken, wie Sie sie mit Bridges schlagen wollen?

Johanna-Leonore Dahlhoff: Tatsächlich wird die Redewendung „Musik verbindet“ sehr schnell und allgemein verwendet. Dabei verbindet Musik nicht einfach von alleine. Im Gegenteil: Je nach dem, aus welcher Musiktradition wir kommen, können wir direkt Verbindungen zu einer Musik aufbauen – und zu einer anderen nicht. Ich bin westlich klassisch ausgebildet. Als ich das erste Mal arabische Musik der berühmten Sängerin Uum Kolthoum gehört habe, konnte ich nicht viel damit anfangen, während andere von uns mit entsprechender musikalischer Vorbildung emotional sehr berührt waren. Ebenso ging es mir anfangs mit klassischer persischer Musik oder traditioneller japanischer.

Kennen Sie umgekehrte Fälle?

Dahlhoff: Ja, ich habe mal jemandem, dessen musikalische Sozialisation überwiegend arabisch ist, Bachs Goldberg-Variationen vorgespielt – er hat meine Begeisterung für das Stück nicht teilen können.

Aber die Bewunderung gerade für Bach ist doch international.

Dahlhoff: Das ist eine sehr westliche und bildungsbürgerlich geprägte Sichtweise. Es gibt musikalische Merkmale, die in bestimmten Stilistiken als besonders schön empfunden werden, in anderen als No-Go.

Klassische westliche Musik drängt immer nach Polyphonie und Mehrstimmigkeit. Arabische Musik besteht meist aus Rhythmus und Melodie – ohne Akkorde und andere Stimmen. Wie kriegen Sie das auf eine Brücke?

Dahlhoff: Die Brücke ist nicht da. Wir bauen diese Brücke selbst: durch gegenseitiges Zuhören, Kennenlernen, Anerkennen und Ausprobieren. Unsere Mitglieder waren bereits Expertinnen und Experten in einem bestimmten Stil, während sie andere Stile kaum kannten, bevor sie zu uns kamen. Die Anerkennung des eigenen Unwissens ist die Voraussetzung für den ersten Spatenstich. Dann beginnt die eigentliche Arbeit.

Menschen, die in Deutschland aufgewachsen sind, scheinen häufig ein Bedürfnis danach zu haben, Musik verstehen zu wollen.

Kämpfen Sie manchmal mit Scheren im Kopf, also mit Gedanken von Leuten, die meinen: Die westliche Musik ist der östlichen überlegen – ihrer Komplexität wegen?

Dahlhoff: So offen hat das bisher niemand zu uns gesagt. Aber bewusste oder unbewusste Vorurteile sind ab und an zu spüren. Was unsere Orchestermitglieder angeht, so gibt es bei einigen westlich ausgebildeten Musikerinnen und Musikern immer wieder Überraschungsmomente – etwa, wenn es darum geht, komplexe arabische oder persische Rhythmen zu erlernen oder anzuerkennen, dass ein Viertelton nicht irgendein „schiefer“ Ton zwischen einer schwarzen und weißen Klaviertaste ist, sondern präzise Intonation und Gestaltung erfordert.

Woher kommen Ihre Mitglieder?

Dahlhoff: Aus 15 Nationen und vier Kontinenten. Unsere Musik ist nicht vorwiegend eurozentristisch geprägt, sondern wir stellen die Musikstile der Traditionen sowie genreübergreifende Werke gleichberechtigt nebeneinander: Die Musiktraditionen, aus denen die Orchestermitglieder stammen oder mit denen sie sich beschäftigen, prägen unser Programm und formen unsere individuelle, transkulturelle Klangsprache, die sich daher ständig weiterentwickelt.

Und mit welchen Instrumenten?

Dahlhoff: Zum westlichen Orchester kommen schon bei den Stimmgruppen Instrumente, die im Orchester normalerweise nicht zu finden sind. Die bulgarische Kaval oder die mongolische Pferdekopfgeige. Und dann prägen unseren Klang auch Zupfinstrumente aus dem arabischen, europäischen, persischen und südamerikanischen Kulturraum. Diese Mischung stellt einen hohen Anspruch an unsere Kompositionen und Arrangements.

Dahlhoff und das Konzert

  • Johanna-Leonore Dahlhoff: Sie studierte Flöte und Musiktherapie und gastiert weltweit als Solistin und Kammermusikerin. Nach Stationen in Ecuador, USA, Japan lebt sie seit 2010 in Frankfurt und widmet sich neben ihrer Konzerttätigkeit dem Arrangieren und Komponieren. Seit April 2016 ist sie künstlerische Leiterin von Bridges – Musik verbindet.
  • Bridges Kammerorchester: Es vereint Musikerinnen und Musiker und ihre Instrumente aus verschiedensten Regionen. Die Mitglieder sind Spezialisten etwa für europäische Klassik, klassische arabische wie persische Musik, Jazz oder osteuropäische Folklore.
  • Konzert im Capitol: Am 16. März, 20 Uhr, spielt das Bridges Kammerorchester im Rahmen von „Kein Platz für Rassismus“ in Mannheim (Kartentelefon 0621/3 36 73 33). Es dirigiert Bar Avni. Solist: Alon Sariel (Mandoline).

 

Wo Sie schon von persischer oder arabischer Kunstmusik sprechen: Welche Unterschiede vom Wesen her – also wenn wir das Material und die Struktur weglassen und nur auf charakterliche, psychologische und philosophische Aspekte blicken – gibt es da?

Dahlhoff: Hier öffnen sich Dimensionen. Kunstmusik – egal in welcher Region der Welt – ist ja neben der Persönlichkeit des Komponisten oder der Komponistin zum einen immer geprägt vom religiösen, politischen und gesellschaftlichen Zeitgeschehen unter gleichzeitigem Einfluss musikhistorischer Entwicklungen. Zum anderen ist die Frage entscheidend, wer sie wo und wann in welchem Kontext hört. Daher möchte ich aus meiner europäischen und gleichzeitig individuellen menschlichen Perspektive heraus keine generellen Unterschiede zwischen arabischer, europäischer, persischer oder irgendeiner anderen Kunstmusik – noch dazu über alle Epochen hinweg – als allgemeingültig darstellen.

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Aber Ihre Erfahrungen...

Dahlhoff: Was mir durch viele Gespräche und Beobachtungen immer wieder auffällt: Menschen, die in Deutschland aufgewachsen sind, scheinen häufig ein Bedürfnis danach zu haben, Musik verstehen zu wollen. Zu Recht wird daher die Frage gestellt, inwieweit Musik überhaupt zu verstehen ist. Außerhalb von Deutschland – und dabei teilweise geografisch sehr nah – scheinen Menschen häufiger mit der Fähigkeit aufzuwachsen, Musik unmittelbar zu erleben, zu fühlen. Anstatt nach einem Konzert darüber zu sprechen, was sie über den strukturellen Aufbau eines Musikstücks denken, sprechen sie darüber, was sie beim Hören des Stücks gefühlt haben. Ich habe dazu keine Studien gemacht, das ist meine persönliche Erfahrung.

Was werden Sie in Mannheim, wo Sie ja mit Ihrem Ensemble unter dem Banner „Kein Platz für Rassismus“ auftreten, spielen?

Dahlhoff: Hier fokussieren wir auf die Bosporus-Mittelmeerregion mit einem türkisch-arabischen Samai, zwei Werken unseres Cellisten Gabriel Mientka, die sich mit dem musikalischen „Melting-Pot“ Istanbul/Konstantinopel beschäftigen, und einem Stück unseres Oud-Spielers Hesham Hamra, das dem Jasmin-Geruch von Damaskus und den Musikrichtungen der Stadt gewidmet ist. Außerdem haben die Orchestermitglieder Eleanna Pistikaki und Dennis Merz eine Balkan-Suite arrangiert. Und für unseren Mandolinisten haben Andrés Rosales und ich zwei berühmte Mandolinen-Konzerte von Vivaldi für unsere transkulturelle Besetzung arrangiert. Und: Wir improvisieren viel, und da haben wir eine große Bandbreite an Stilen – von folkloristischen Elementen über die Imitation europäischer Kunstmusiken bis hin zu experimentellem Jazz.

Erklären Sie die Musik? Erläutern Sie das Programm auf der Bühne?

Dahlhoff: Ich und wechselnde Mitglieder des Orchesters moderieren immer. Oft sprechen unsere Komponistinnen oder Arrangeure selbst über ihre Werke und ihre Motivation, für dieses Orchester zu schreiben. Wir suchen die Nähe zum Publikum und wollen Brücken schlagen zwischen den teils sehr unterschiedlichen Stilistiken. Überhaupt sind wir ein nahbares Orchester: Wir laden das Publikum ein, uns auch nach dem Konzert anzusprechen und Fragen zu stellen.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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