Guten Tag, Herr Volle, wo sind Sie?
Michael Volle: In einer Wohnung eine Minute von der Wiener Staatsoper.
Sie klingen immer noch ein bisschen Schwäbisch …
Volle: Ich werde 63 – ich kriege das nicht mehr ganz weg. Auf der Bühne hört man hoffentlich nichts davon.
Das kann ich bestätigen. Sie kommen ja demnächst nach Mannheim mit der Pianistin Olga Zado. Wie kommt die Zusammenarbeit?
Volle: Während Corona hat meine Kollegin Sonya Yoncheva einen Live-Stream organisiert. Ein großer Uhren-Sponsor hat das unterstützt, da kam auch, da hatte ich nichts dagegen, ein bisschen Geld in die Kassen. Das war alles mit Klavier, und da war auch Olga Zado dabei. Sie hat mich später angerufen und gesagt: „Du, ich habe da in Mannheim was Neues kreiert, willst du mit mir die „Winterreise“ machen?“ Da habe ich Ja gesagt, zumal das in meiner alten Heimat Mannheim stattfindet. Außerdem ist sie eine sehr gute Pianistin.
Was zeichnet sie aus?
Volle: Es ist immer erstaunlich und beglückend, wenn man sich nicht kennt, sich trifft und so etwas Intimes wie Lied macht, wo man ohne viel Worte gleich schwingen muss und gleich Musik macht – und das war mit ihr auch der Fall.
Sie haben vorhin gesagt, Sie hätten nichts dagegen gehabt, dass Geld in die Kasse kommt. Haben Sie nicht genügend Geld als Star?
Volle: (lacht) Es ist ein ganz schlechtes Kapitel, diese Coronazeit oder wie mit uns Künstlern umgegangen wurde. Ich spreche da eher für Kolleginnen und Kollegen. Ich gehöre zum Glück zu einer Gruppe von Künstlern, die aufgrund des Status in der Musikwelt auch in der Coronazeit hin und wieder auftreten durften. Aus markttechnischen Gründen hat man da für Aktionen natürlich auch die großen Namen gerufen. Das ist ein knallhartes Geschäft. Und dass Opernsänger reich sind, wie ein deutscher Opernintendant 2020 gesagt hat, stimmt nicht und hat uns sehr geschadet. Es gibt Kolleginnen und Kollegen, die mussten zum EDEKA an die Kasse gehen, um über die Runden zu kommen oder die Altersvorsorge anknabbern. Wir selbstständigen Künstler hängen vollkommen in der Luft, ohne Gewerkschaft.
Aber der Intendant muss doch wissen, dass es sehr wenige sehr reiche Sänger gibt und alle anderen zwischen gut leben und schlecht leben angesiedelt sind.
Volle: Mich hat das nicht nur schockiert, sondern auch böse gemacht.
Tatsächlich verdienen Gesangssolisten an Opernhäusern teils doch weniger als Chorsänger, oder?
Volle: Ja, und, by the way, eigentlich müsste man das System total infrage stellen. Man muss auch wissen: Wenn wir auftreten, dann gehen mehr als 50 Prozent an Steuern und Abgaben weg. Wir haben keinerlei Anrecht auf Kurzarbeitergeld oder Ähnliches. Manche Opernhäuser, das weiß ich durch mir bekannte Anwälte, haben sogar Verträge nachgebessert, damit nur niemand Anrecht auf Ersatz hat, wenn mal eine Vorstellung wegen Corona ausfällt. Also das ist ein ganz dunkles Kapitel. Ich weiß nicht, wie das weitergeht – und die nächste Krise kommt, keine Frage.
Das System in den Öffentlichen Theatern ist so gestrickt, dass mehr als 90 Prozent des Etats in Festgehälter von Verwaltung, Technik, Werkstätten und die Kollektive fließt. Bewegliche Finanzmittel gibt es nur sehr wenige.
Volle: Man kann ganz provokant sagen: Die Theater haben sich teils in der Coronakrise gesundgespart, weil, und das weiß ich aus dem Kanzleramt, die Subventionen blieben ja zu 100 Prozent bestehen. Die haben zwar Verluste an Eintrittsgeldern gehabt, aber trotzdem gab es da kein Minus nach Corona. Irgendetwas stimmt da nicht.
Sprechen Sie für alle Theater?
Volle: Ich will da niemanden ungeprüft anklagen, aber da müsste man mal sehr genau nachhaken. Das ist ein ganz weites Feld. Aber ich habe keine Hoffnung, dass sich da etwas ändern wird. Wir haben uns ja zusammengetan und wollten etwas gegen diese falschen Verträge unternehmen. Gerade jetzt wird deshalb etwa gegen die Salzburger Festspiele geklagt. Das unterstütze ich sehr im Namen der Gerechtigkeit. Nur der erste Antrieb verpuffte, weil die Leute sehr schnell schauen mussten, wie sie zu Geld kommen. Und jetzt ist von der Solidarität nichts mehr zu spüren, weil jeder – verständlicherweise – nach den eigenen Brötchen schauen muss.
Die „Winterreise“ handelt ja auch von einem vergessenen alten, armen und ungeliebten Mann, der hoffnungslos durch den Winter wandert. Was ist Ihnen wichtig?
Volle: Ich fühle da einen sehr deprimierten Grundton eines Menschen, der sehr ernüchtert, enttäuscht, verletzt durchs Leben geht, hin und wieder ganz wenig positive Momente erlebt, zum Beispiel im „Frühlingstraum“, der unfassbar schön beginnt und von den schreienden Krähen abrupt unterbrochen wird. Das ist eine Dichte an Emotionen, Bildern und Gefühlen, die ihresgleichen sucht. Das Schwere ist, dass man nicht larmoyant wird, dass der Pianist schon in den ersten Takten des „Gute Nacht“ bestimmt, wie die 24 Lieder vonstatten gehen. Das sollte ein Gehen sein am Anfang. Ein Mensch, der durch die Landschaft tappt, über dünnes Eis, den Bach drunter sieht und so – ein unfassbares Kompendium starker Bilder.
Die Menschen waren früher kleiner, ihre Schritte schneller, Sie sind groß, Ihr Gehen und das Tempo müssten da langsamer sein …
Volle: … (lacht) Ich versuche mir vorzustellen, wie ich gehe, wenn ich bedrückt bin. (Volle singt den Beginn). Das ist der Startschuss für die 75 Minuten, die zum „Leiermann“ führen – ja, eine große Wanderung. Absolut!
Wie halten Sie’s mit dem Charakterisieren, der Farbgebung, dem Riskieren hässlicher Töne? Wird das mit dem Singen schwerer Opernpartien schwieriger?
Volle: Nein, es ist für mich das größte Glück, beim Lied zu spüren, dass die Stimme trotz Wagner, Verdi, Puccini und Strauss bei Bach oder Schubert immer noch funktioniert, und zwar in einer Art, dass ich damit spielen kann, dass ich nicht mehr Kraft aufwenden muss, um die Stimme im Piano zum Klingen zu bringen. Im Lied muss man viele Schattierungen, Farben und Dynamik machen, und ich scheue mich nicht etwa in „Der greise Kopf“ auch Ausbrüche zu machen, aber ansonsten ist das ein gedeckter Duktus, und mir macht das eine Riesenfreude, diesem Kosmos nahe zu kommen.
Gehören Sie zu denen, die das Wort Krähe singen, wie Krähen krähen?
Volle: Das Wort nicht. „Eine Krähe war mit mir aus der Stadt gezogen“ – da ist nichts mit Lautmalerei.
Aber dann kommt der Krähenruf.
Volle: Ja, das stimmt, aber ich werde das nicht verunstalten. Wenn jemand in dieser Epoche des klassischen Lieds den Ausdruck über die Schönheit des Tones stellt, so ist das sehr subjektiv. Ich bin da eher vorsichtig, weil ich über den Ausdruck die Ebene des Schönklangs nicht verlieren möchte.
Schubert als Opernkomponist ist ja quasi deutscher Belcanto!
Volle: Stimmt, da steckt viel Belcanto drin, ich habe ja nur „Fierrabras“ in Zürich gesungen, und wenn ich mich da an die Tenor- und Sopranarien erinnere – unfassbar schön.
Wie politisch ist die „Winterreise“ eigentlich?
Volle: Also sozialpolitisch ist das zeitlos. Ganz klar. Auch wenn der Erzähler nicht verstoßen wurde wegen Herkunft, Geschlecht oder sonst was, aber Außenseiter sind bei uns nach wie vor nicht gern gesehen. Um das Allein-Sein und Ausgestochen-Sein zu sehen – da muss ich nur vor die Tür gehen. Ob in Mannheim, Wien oder Berlin.
Haben Sie dann beim Singen auch aktuelle Bilder im Kopf?
Volle: Nein, ich weiß auch nicht, ob ich da überhaupt an was denke. Ich mache das jetzt 33 Jahre, und wenn ich etwas singe, dann bin ich da drin, vollkommen. Ich gerate da in einen emotionalen Zustand, der es mir erlaubt, in der Sache zu sein, so, wie wenn ich Sachs, Don Giovanni oder Scarpia singe. Das ist in den Muskeln, in den Gedanken.
Von der Zeitlosigkeit der „Winterreise“ haben sie schon gesprochen. Mitunter wurde sie auch als Kritik an der Metternich-Regierung gelesen. Was denken Sie?
Volle: Ich kenne mich da nicht gut aus, aber ich glaube, dass ihm das menschliche Drama wichtiger war, als politisch etwas zu kritisieren.
Was Anderes: Klassische Musiker gelten ja gern als ein bisschen gestrig. Sie haben keine Website, wie fast jeder heute. Warum nicht?
Volle: (lacht) Ich bin kein Mensch des Internets, ich lasse die Leute ein kleines bisschen auf Instagram teilhaben an dem, was ich mache. Ich bin da ein bisschen altmodisch, möchte keine Zeit verlieren.
Sie brauchen es auch nicht.
Volle: Nein, aber Musiker sind schon auch öffentliche Menschen, ich verstehe schon, wenn Leute sich da informieren wollen, wo man singt. Es gibt eben so viel im Leben neben dem Singen, was genug Zeit in Anspruch nimmt, da will ich nicht so viel Zeit mit so was verlieren.
Sind Sie ein Technikfeind?
Volle: Nein, aber faul.
Absurd ist ja auch, dass gerade die Jugend ein besseres Klima will und doch mit all den Geräten mit die meiste Energie verbraucht und damit ebenso die Erde kaputtmacht wie die Generationen davor …
Volle: … (stöhnt laut auf) Ach, es gibt so viele Themen, die so kompliziert, schwierig und bedrohend sind. Irgendwie läuft alles aus dem Ruder. Da sind wir in der Klassik auf unserem schönen Eiland noch gut dran. Wir können uns abschotten und in Schönem schwelgen. Ich knabbere da auch sehr daran, was etwa meine vier Kinder und deren und allgemein die Zukunft angeht. Das macht mir sehr zu schaffen, keine Ahnung, aber so darf es nicht weiter gehen.
Mit Volle auf „Winterreise“
Michael Volle: Der Bariton Michael Volle, 1960 in Freudenstadt in eine schwäbische Pfarrersfamilie hineingeboren, machte viel Haus- und Kirchenmusik, studierte bei Rudolf Piernay und trat sein erstes festes Engagement (1990-1994) in Mannheim an. Es folgten Stationen in Bonn, Düsseldorf, Köln, Zürich, München. Der gefragte Bariton arbeitete mit allen großen Dirigenten zusammen, an allen großen Häusern weltweit und wurde mit zahlreichen Preisen geehrt.
Die Winterreise: Franz Schuberts Liederzyklus nach Texten Wilhelm Müllers gilt als Höhepunkt des klassischen Lieds. Michael Volle singt das rund 75 Minuten dauernde Werk mit Pianistin Olga Zado (Bild: Irina Kovaleva) am Mittwoch, 7. Dezember, 20 Uhr im Rosengarten (Musensaal). Restkarten unter mannheimer-philharmoniker.de oder telefonisch unter 0621/437 350 22.
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